

Panorama
Beisl Royal
Fotograf Horst A. Friedrichs und Autor Stuart Husband beleuchten in ihrem Bildband Great Pubs das ganze Spektrum englischer Wirtshauskultur. Dabei wird klar, wie vielfältig es im zweiten Wohnzimmer der Briten heute zugeht und wie essenziell liebgewonnene Traditionen trotzdem bleiben.
Einen britischeren Ort als ein Pub gibt es nicht“, lacht Horst A. Friedrichs, als er erklären soll, warum er sich als Deutscher dazu bereit erklärt hat, für ein Buch über diese spezielle Gastrogattung durchs ganze Land zu reisen. Seit über 25 Jahren lebt der Topfotograf schon in London und weiß deshalb längst: „Pubs sind das Wohnzimmer der Engländer, dort offenbart sich ein wichtiges Stückchen britische Seele.“ Die schönsten Vertreter ihrer Gattung sind meist in dunkles Holz gekleidete Zufluchtsorte mit knackendem Kaminfeuer, in denen nur selten Uhren zu finden sind. Denn Väter wollen hier bei einem Pint das Geschrei zuhause vergessen – und Angestellte den gerade erst überstandenen Arbeitstag mit dem unguten Chef. Retortenmusik ist in den knarzenden Gasträumen meist genauso tabu wie Fernseher. Dafür rinnen aus den Zapfhähnen unzählige Varianten an feinstem Bier. Echtes britisches Ale zum Beispiel, das bei idealer Temperatur im hauseigenen Keller noch nachreift und für das die Landlords und Landladys einen irren Aufwand betreiben müssen. „Ein Pub zu führen, ist knallharte Arbeit“, erklärt dazu Fotograf Friedrichs. Denn nicht nur die Fässer werden oft gewechselt. Auch die Bierpumpen müssen jede Woche fachmännisch gelüftet und gereinigt werden. Vielleicht sind die Wirtinnen und Wirte auch deshalb so stolz auf ihren Job.
Die meisten von ihnen fallen in die Rubrik Unikat. Der Tresen wird Abend für Abend zu ihrer Kommandobrücke, von der aus sie das soziale Leben ihres kleinen Reichs überwachen. „Die Menschen machen einen guten Pub“, meint dazu Friedrichs: „Arm oder reich, alt oder jung: Pubs sind eine gastronomische Institution für alle. Und die Landlady oder der Landlord sind mit trockenem Humor, Schrulligkeit und ihrem teils sehr bestimmten Auftreten immer am Steuer.“
My pub, my rules
Ex-Soldat Kevin Moran vom The Nag´s Head im Londoner Edel-Stadtteil Belgravia ist eines der extremeren Beispiele dieses Typs. Wer bei ihm das Mobiltelefon nicht in der Tasche lässt, wird im besten Fall angeschrien. Wenn es nicht so gut läuft, einfach rausgeschmissen. Auch andere Exzentriker reizt es offenbar, Pub-Wirt zu werden. Menschen wie Ivor Braka, der als „Rock´n´Roll-Kunsthändler“ Stars wie Lucien Freud oder Damien Hirst früh entdeckt hat. Sein The Gunton Arms in Thorpe Market betreibt er deshalb hauptsächlich, weil er seine Vision eines perfekten Pubs verwirklichen möchte. Die Gestaltung der Innenräume ist überraschend klassisch. Dafür haben es die Bilder an den Wänden in sich. In einer Ecke finden sich homoerotische Zeichnungen von Tom of Finland. Und ein Ölbild von Jonathan Yeo, das auf den ersten Blick Herbstlaub zeigt, offenbart auf den zweiten versteckte weibliche Genitalien. „Ich wollte interessante, erstklassige Kunst an einem Ort zeigen, an dem man sie eigentlich nicht erwartet“, meint dazu Braka. Und: „Vor allem wollte ich einen Ort schaffen, an dem Menschen zusammenkommen. Hier treffen Lords und Ladies auf Landarbeiter und Dorfbewohner. Sie kommen an der Bar immer mit jemandem ins Gespräch, und so etwas wird in England ja immer seltener.“
Dabei überzeugt das Gunton Arms nicht nur mit seinen Drinks, sondern auch durch hervorragendes Essen. Küchenchef Stuart Tattersall gart es gerne direkt auf einer Stahlplatte in einem mächtigen Kamin. „In einem echten Pub gibt es an sich maximal eingelegte Eier, Vinegar Crisps oder Krabben-Chips“, klärt Friedrichs auf: „Doch in den letzten 20 oder 30 Jahren hat sich in ganz England kulinarisch unglaublich viel getan. Immer mehr Gastropubs können mit ihrer Speisekarte heute wirklich überraschen.“
Das Marksman Public House der beiden Köche Tom Harris und Jon Rotherham Im Londoner Hipster-Stadtteil Hackney beispielsweise. Auch sie halten die demokratischen Pub-Traditionen hoch, servieren aber junge britische Küche mit besten heimischen Zutaten und schenken dazu auch spannende Weine aus. Der englische Starkoch Tom Kerridge hat es im Örtchen Marlow upon Themse mit seinen drei Pubs sogar geschafft, vom Michelin ausgezeichnet zu werden. Sein The Hand & Flowers ist das einzige Pub der Welt mit sagenhaften zwei Sternen.
Das beweist, dass Pubs nicht als Relikte abgetan werden dürfen, die sich nicht weiterentwickeln sollten. Denn ein gutes Pub kann vielerlei Formen annehmen, solange es im Kern unprätentiöse und entspannte Geselligkeit fördert. In Great Pubs gibt es dafür viele Beispiele, wie die folgenden Seiten zeigen.



Das Pub von Kunsthändler Ivor Braka ist ein düster-romantisches Gesamtkunstwerk. Alles im ehemaligen Haus des Gutsverwalters des gregorianischen Anwesens Gunton Park hat er selbst eingerichtet. Dazu gibt es Neon-Kunst von Tracey Emins und allerlei Anzügliches an den Wänden.
„ICH WOLLTE EINEN ORT SCHAFFFEN, WO MENSCHEN ZUSAMMENKOMMEN: LORDS UND LADYS, LANDARBEITER UND DORFBEWOHNER.“ (IVOR BRAKA, THE GUNTON ARMS, THORPE MARKET, NORFOLK)



Das The Butcher´s Tap and Grill von Tom Kerridge ist eines von drei Pubs des Starkochs in Marlow upon Themse, die voll auf gehobene Küche setzen. Für Kerridge auch deshalb ein Muss, weil in England ein Pub-Sterben eingesetzt hat, das Landlords und Landladys nur mit modernisierten Konzepten aufhalten können.



Im Marksman Public House auf der Hackney Road servieren die Köche Tom Harris und John Rotheram in klassischem Pub-Ambiente moderne britische Küche ohne Allüren.


Die Royal Vauxhall Tavern ist seit fast 150 Jahren für ihre Dragshows berüchtigt. Immer montags bewegen hochbegabte Crossdresser unter dem Gejohle des Publikums die LIppen zum Playback. Mittlerweile ist der Pub deshalb sogar denkmalgeschützt.
„PUBS SIND VON NATUR AUS DEMOKRATISCHER ALS RESTAURANTS.“ (TOM HARRIS & JOHN ROTHERAM, MARKSMAN PUBLIC HOUSE, HACKNEY)


Das Dublin Castle zeigt, wie wichtig Pubs in England für junge Bands sind: Madness feierten hier ihren Durchbruch, Amy Winehouse war gerne Gast und Blur, Coldplay oder die Libertines traten im geräumigen Hinterzimmer auch schon auf. Noch heute gibt es an fünf Abenden Livemusik. Das Guinness fließt dabei natürlich in Strömen.
„ES IST SCHWIERIG, HIER HAUSVERBOT ZU BEKOMMEN. DA MUSS MAN SICH SCHON INS ZEUG LEGEN.“ (HENRY CONLON, THE DUBLIN CASTLE, CAMDEN TOWN)


„EIN GASTWIRT MUSS ZUGLEICH DEMOKRAT, AUTOKRAT, AKROBAT UND FUSSABSTREIFER SEIN.“


Seit vier Jahrzehnten finden im The Palm Tree in der Londoner Grove Road Jazz-Sessions statt – aktuell mit Helen (80) und Bandleader Jack (91). Horst Friedrichs hat es aber auch der psychedelische Teppich dort angetan. Vielleicht ist der Pub auch deshalb auf der UNESCO-Liste der immateriellen Kulturgüter.

Authentischer als im 1830 im viktorianischen Stil erbauten Peveril of the Peak geht es kaum. Stars, Fußballfans, Studenten, Arbeiter: In Manchesters Great Bridgewater Road ist jeder willkommen. Und wer echten Manchester-Dialekt hören möchte, kommt am besten zu den regelmäßigen Folk-Abenden.
„UNSER WAHLSPRUCH DAMALS WIE HEUTE: KEEP IT SIMPLE.“ (NADIM HAMAD, PEVERIL OF THE PEAK, MANCHESTER)