Herkunft

Das große Brodeln

Wenn pünktlich zu Beginn der Karpfenzeit der 48 Hektar große Teich unterhalb des südsteirischen Schlosses Waldschach in die Gleinz ausrinnt, beginnt das Wasser zu tanzen. Tausende Karpfen drängeln dann Richtung Auslauf und werden von flinken Händen in Hälterbecken umgezogen. Ein Naturschauspiel der besonderen Art.

 

Von hier oben werden dem Betrachter die Dimensionen der Teichlandschaft da unten erst richtig bewusst. In rund 80 Teichen spiegelt sich der nassgraue Oktoberhimmel über dem wuchtigen Schlossgebäude, dessen älteste Mauern seit dem 11. Jahrhundert im steirischen Boden wurzeln. Die Fischzucht dagegen ist erst seit zwei Generationen Teil der langen Geschichte des Guts Waldschach. Alexander Menzel, der Vater des heutigen Schlossherrn, begann damit in den 50er Jahren eher aus der Not heraus, weil die herkömmliche landwirtschaftliche Nutzung nicht wirtschaftlich genug war.

Zucht Deluxe

Heute gehört der Fischzuchtbetrieb zu den größten und innovativsten in ganz Österreich. Die Teichanlagen wurden über die Jahre ständig erweitert und ein Bruthaus für Warmwasserfische errichtet. Ein eigenes Labor sowie die Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Wassergüte in Wien ist längst selbstverständlich. Alle Teiche sind außerdem mit Belüftungsanlagen und befestigten Abfischvorrichtungen ausgestattet, die zum Teil sogar eigene Wasserversorgungsleitungen haben.

„So professionell arbeiten in der Karpfenzucht nur wenige Betriebe in Österreich“, meint auch Helfried Reimoser auf dem Damm zwischen dem größten der Teiche und den einige Meter tiefer gelegenen Abfischanlagen. Der Geschäftsführer des steirischen Teichwirteverbands steht genau über dem Ablauf des riesigen Gewässers, das mittlerweile fast trocken liegt. Schon vor zwei Wochen wurde er geöffnet und seither strömt das Wasser stetig in den kleinen Fluss Gleinz ab. Die Karpfen schwimmen dabei durch den Ablauf in ein eigens errichtetes System aus Kanälen, in denen es vor Fischleibern regelrecht brodelt. „Für das Tierwohl ist es ganz entscheidend, dass die Fische nicht überworfen werden. Sie können sich so nicht verletzen und sind wesentlich weniger Stress ausgesetzt“, erklärt der Fischereimeister aus sicherer Entfernung das Prozedere. Mit Überwerfen meint er die traditionelle Methode, die Karpfen mit dem Kescher aus dem Wasser zu holen. Hier erledigen diesen Job weniger romantisch, dafür umso effizienter zwei große Schaufelbagger, die Korb um Korb zentnerschwere Ladungen mit Fisch aus dem kalten Wasser ziehen. Bedeutet die Enge in den Betonkanälen nicht auch Stress für die Tiere? „Sobald das Wasser kälter ist, schränken die Fische ihre Schwimmaktivitäten ein, damit ist das aufgrund der kurzen Zeit, die sie in den Kanälen verbringen, auch kein Problem“, meint dazu Reimoser.

Eingespielte Truppe

Auch der Gast merkt schnell, dass die Männer, die am meterlangen türkisblauen Sortiertisch arbeiten, eine eingespielte Truppe sind. Flink werden die Karpfen nach Qualität und Gewicht getrennt, während sie über die Oberfläche schlittern. „Der Tisch muss ganz glatt sein. Es darf keine scharfen Ecken und Kanten oder gar Nägel geben. Außerdem ist die ausreichende Wasserzufuhr extrem wichtig für die Tiergesundheit“, sagt Reimoser. Dafür haben findige Tüftler hier sogar ein eigenes Doppelbehältersystem entwickelt. Über einen Zulauf fließt das Wasser über eine innere, gelochte und eine äußere, dichte Wanne schließlich über Hähne in Auffangbehälter. So ist gewährleistet, dass die Fische zu jeder Zeit in Frischwasser schwimmen. Genauso durchdacht geht es beim Abfischen generell zu. Die Wassertemperaturen zwischen großem Teich und Zielgewässer unterscheiden sich selten um mehr als ein Grad, die Transportbehälter sind groß dimensioniert und innen abgerundet. Außerdem ist in jedem davon ein regelbarer Sauerstoff-Ausströmer am Boden fixiert, der durch fein vorgelochte Gummischläuche dafür sorgt, dass die Fische nie zu wenig und nie zu viel Sauerstoff bekommen.

So viel Aufwand macht sich in der Fleischqualität bemerkbar. „Wenn wir die drei Sommer gereiften Karpfen nach einem Jahr im großen Teich mit etwa zwei bis drei Kilo Gewicht abfischen, ist das Fleisch schön kompakt und saftig“, freut sich Reimoser, während er einen besonders schönen Spiegelkarpfen mit schimmernden Schuppen und glänzenden Augen in die Höhe wuchtet. Denn als Geschäftsführer des steirischen Teichwirteverbands nimmt er die Qualitätskontrollen bei allen Mitgliedsbetrieben nicht auf die leichte Schulter. Neben dem schonenden Abfischen spielen für die einzigartige Produktqualität der regionalen steirischen Spezialität noch eine Reihe weiterer Faktoren eine wichtige Rolle. Etwa, dass die Fische aus nur einer Auf-zuchtstation vor Ort stammen, weil dadurch das Risiko des Schädlingsbefalls erheblich minimiert wird, oder dass die Teichwirte beim Besatz streng darauf achten, dass nicht zu viele Fische im Wasser schwimmen: „Wenn die Karpfen nach zwei Sommern in kleineren Teichen schließlich in den großen Teich eingesetzt werden, sollte jedem von ihnen eine Teichfläche von mindestens zehn Quadratmetern zur Verfügung stehen. So findet jeder Karpfen genügend Planktonkrebse, Würmer und Insektenlarven, mit denen er seinen Eiweißbedarf natürlich decken kann.

Dadurch besteht auch selten die Gefahr, dass der Teich kippt und die pH- und Nitrit-Werte außer Kontrolle geraten. Die Ausscheidungsstoffe der Fische bleiben schließlich im Teich und müssen von Bakterien zersetzt werden. Die exakte Regelung der Besatzdichte ist damit ein weiterer Grund, warum die Teiche im Herbst ganz abgefischt werden, um sie dann im Frühjahr mit einer exakt bestimmten Anzahl Fische neu zu besetzen. Hohen pH-Werten oder Schädlingen mit dem Einsatz von Chemikalien oder Medikamenten entgegenzuwirken, kommt deshalb keinesfalls in Frage. „Wir haben das auch auf natürliche Art im Griff. Das letzte gröbere Schädlingsproblem ist schon Jahrzehnte her“, lacht Reimoser.

Einzige Einmischung der Züchter in den natürlichen Kreislauf bleibt die Beigabe von Getreide als zusätzli-chem Aufbaufutter. Abhängig von der Wassertemperatur werden etwa 1 – 2 % des Fischgewichts über Futterstationen im Wasser abgegeben. Gerste eignet sich dafür besonders, weil die Fische davon ein festes und mageres Fleisch bekommen.

Neue Karpfenküche

Die so erzeugte rein österreichische Qualität schätzen mittlerweile immer mehr Gäste. „Wir verbuchen natürlich besonders zu Weihnachten eine steigende Nachfrage“, meint dazu Eva Keferböck, Prokuristin des oberösterreichischen Fisch-Spezialisten Eisvogel, der die Karpfen des steirischen Teichwirteverbands vertreibt. „Aber wir merken auch, dass sich speziell bei jüngeren Menschen ein Trend Richtung neue Karpfenküche bemerkbar macht. Die Fische werden rein regional und ökologisch einwandfrei gezüchtet und müssen nicht erst über hunderte Kilometer zum Gast transportiert werden. Obendrein sind die Karpfen auch noch gesund“, sagt sie. Mit einem Fettanteil von etwa fünf Prozent ist das Karpfenfleisch entgegen häufig geäußerten Vorurteilen eher mager. Es enthält außerdem viele Mineralstoffe, Eiweiß, Vitamine und gesunde Fettsäuren. Und woher kommt dann die Meinung, Karpfen würden „mooseln“, hätten also einen unangenehmen schlammig-brackigen Beigeschmack? „Das stammt aus einer Zeit, in der die Teiche weniger gut gepflegt waren, beispielsweise nicht ganz ausgelassen, zu kurz belüftet und nicht gekalkt wurden“, erklärt Keferböck. „Viele etwas ältere Menschen haben daran leider noch Kindheitserinnerungen und assoziieren Karpfenküche außerdem mit nur einer sehr eingeschränkten Zahl an Gerichten. Dabei kann man Karpfen auch anders zubereiten: Dünsten, sulzen, selchen, sie mit Kräutern, Oliven, Muscheln oder Sardellen kombinieren – die Möglichkeiten sind wahnsinnig vielfältig.“

 

Frische garantiert

Entscheidend ist dabei, dass die Tiere möglichst frisch verarbeitet werden. Eisvogel hat dafür mit dem Teichwirteverband und Partner KRÖSWANG ein spezielles Logistiksystem entwickelt. Je nach Bedarf fischen die Züchter ihre Karpfen aus ihren eigenen Hälterbecken und liefern sie in speziell konstruierten Fischbehältern zu Eisvogel ins oberösterreichische Molln. Dort verbringen die Fische noch mindestens zehn Tage in den unternehmenseigenen Quellwasserteichen, um die Qualität nochmals zu steigern. „Wenn über KRÖSWANG dann eine Bestellung bei uns eingeht, garantieren wir die fangfrische Lieferung in weniger als 24 Stunden“, ist Keferböck stolz. Geht die Bestellung bis am frühen Nachmittag ein, ist die Ware in der Regel am nächsten Nachmittag beim Kunden. „Schneller schafft das in Österreich kein anderer Produzent“, ist sich die Eisvogel-Prokuristin sicher.

Dann muss sie zwei keuchenden Arbeitern in grellgelben Plastikoveralls ausweichen, die einen riesigen Eimer mit zappelndem Fisch auf eine mächtige, alte Waage wuchten. Hinter dem rostigen Ungetüm führt Paul Menzel Buch über den heutigen Fang. Insgesamt hat der Besitzer der Teichwirtschaft Gut Waldschach und Präsident des steirischen Teichwirteverbands heuer 80 Tonnen Karpfen aus seinen Seen gefischt. Entsprechend zufrieden scheint er trotz Arbeitsstress: „Wir hatten dieses Jahr einen wirklich guten Fang mit sehr gesunden Fischen. Außerdem sehen wir in der Karpfenzucht definitiv noch Wachstumspotenzial“, sagt er, während er mit dem Bleistift konzentriert Zahlen in Kolonnen notiert. Mittlerweile züchtet seine riesige Teichwirtschaft mit 16 Arten rund 160 Tonnen Fisch und ca. 50 Mio. Stück fressfähige Brut pro Jahr. Wer hätte vor bald 60 Jahren gedacht, dass sich aus den damals vier revitalisierten Teichen seines Vaters ein solcher Erfolg entwickeln könnte? Die neue Begeisterung der Österreicher für ein seit Jahrhunderten hier heimisches Produkt wie den Karpfen hatte sicher ihren Anteil daran.

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