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Deutsche Welle

Kaum zu glauben: die jungen Pariser stehen auf Currywurst, Döner und Bier. Zum Glück haben aber längst auch andere Nationalküchen dem Gastrouniversum an der Seine neue Impulse gegeben – allen voran jene Japans. in kaum einer anderen europäischen Stadt ist die Bandbreite kulinarischer Genüsse deshalb so groß.

Warum buchen Abermillionen Touristen jedes Jahr einen Flug nach Paris? Eiffelturm, Louvre, die Bouquinistes am Seine-Ufer, der Jardin de Luxembourg: Natürlich gibt es viel zu bestaunen in Frankreichs kultureller wie politischer Herzkammer. Noch mehr lebt die Millionenmetropole allerdings davon, sich als Weltstadt für Gourmets und Genussmenschen zu vermarkten. Nirgends streut der Guide Michelin so freigiebig seine Sterne aus, nirgends sind die Wartelisten länger. Über 70 Restaurants haben mindestens einen Stern und unfassbare zehn Etablissements dürften ihre Häuserfronten sogar mit dreien schmücken. Dieser Überfluss an Nobeladressen wird flankiert von autochthonen Gastrokonzepten wie den altehrwürdigen Brasserien, eng bestuhlten Bistrots und den berühmten Cafés à Coin an vielen Straßenecken, die verlässlich jedes Paris-Klischee erfüllen, das sich dank einer ganzen Nationalbibliothek voll frankophiler Bücher und Filme längst jedem Touristen unauslöschlich in die Großhirnrinde geätzt hat.

VIELE JUNGE PARISER SIND BEGEISTERT VON DEN FREIZÜGIGEN BERLINER CLUBS.“ (NIKLAS RIEHM, GASTRONOM, KIEZ BIERGARTEN, PARIS)

Vom Au-Pair zum Gastronom

Dass die gut geölten und bestens funktionierenden Stereotype die Freude an Innovation in der Pariser Gastroszene nicht schon längst erstickt haben, liegt einerseits an der Weltoffenheit der heimischen Gäste. Andererseits aber auch an jenen ausländischen Besuchern, für die Paris schon immer ein Sehnsuchtsort war und die deshalb einfach dageblieben sind. Niklas Riehm ist einer von ihnen. Als Au-Pair kam der Hamburger mit 18 an die Seine und heuerte danach in einem irischen Pub direkt neben dem Moulin Rouge an, um der Stadt nicht den Rücken kehren zu müssen: „Das O´Sullivans am Rande des Rotlichtviertels Pigalle war mein Einstieg in die Pariser Gastro“, erinnert er sich: „Als Ausländer war das ganz praktisch, weil natürlich viele Touristen unter den Gästen waren. Gut erinnern kann ich mich noch an die Rugby-WM in Frankreich. Da war der Laden an den Spieltagen zum Bersten voll und ich durfte meinen ersten Thekendienst machen. Wir haben damals an einem Abend 50.000 Euro nur mit Guinness umgesetzt und mir wurde klar, dass mir diese Arbeit liegt“, lacht er heute über seine erste Gastroerfahrung in Frankreich.

Im O´Sullivans traf Riehm am St. Patrick´s Day 2013 auch seinen späteren Geschäftspartner Maxime. „Er war zum Tarot-Spielen da und wir haben uns lange über seine Zeit in Berlin unterhalten. Dadurch kam die Idee auf, in Paris gemeinsam einen typisch deutschen Biergarten zu eröffnen. Sowas gab es damals noch nicht.“ Viele hielten das für eine Schnapsidee, etwa der große deutsche Getränkehändler, dem Riehm davon erzählte.

Doch der Hamburger hatte bei den jungen Parisern, die er im Pub bediente, schon länger eine neue Einstellung zum einst wenig geliebten Nachbarn wahrgenommen: „Als ich 2006 hier ankam, hat man Deutschland fast immer im Kontext des Zweiten Weltkriegs gesehen. Das änderte sich aber ab 2010, weil sehr viele junge Pariser nach Berlin zum Feiern geflogen sind. Die kamen von ihren Party-Wochenenden im Berghain, dem Kit Kat Club oder dem Kater Holzig zurück und waren begeistert davon, wie freizügig es dort zugeht. Und natürlich haben sie dabei auch Spätis, Bier und Currywurst kennen gelernt“, grinst der Gastronom.

 

Furnisseur de Gemütlichkeit

2014 eröffneten er und sein Geschäftspartner deshalb den ersten Kiez Biergarten. Dort wird in lässigem Berliner Hipster-Ambiente alles serviert, was die Pariser von ihren Aufenthalten in der deutschen Hauptstadt kennen: Currywurst, Bratwurst, Hamburger, Schnitzel und natürlich die gesamte Bandbreite deutscher Biere von Augustiner über Astra bis Tannenzäpfle. „Fournisseur de Gemütlichkeit“ nennt Riehm das Konzept in der Unterzeile, also etwa „Gemütlichkeits-Lieferant“. Das Konzept war die letzten Jahre so erfolgreich, dass es mittlerweile mit dem Kiez Kanal am Quai de la Loire einen zweiten Standort gibt und mit dem Kiez Kiosk sogar ein Lebensmittelgeschäft, wo man von 200 Sorten Bier angefangen über Backmischungen bis Gummibärchen alles kaufen kann, was Franzosen kulinarisch mit Deutschland assoziieren. Durch die Gründung von Berlin Distribution will Riehm nun sogar den Schritt zum Großhändler für deutsche Produkte wagen. „Ich merke, dass es immer mehr Konzepte mit deutschem Einschlag gibt, davon möchte ich profitieren“, erklärt er und fragt dann: „Wer hat vom Goldrausch am meisten profitiert?“ Kunstpause, Grinser. „Die, die Schaufeln und Siebe verkauften.“

Was er damit meint, zeigt ein Blick auf die momentan erfolgreichen Konzepte für junges Publikum, die von Franzosen geführt werden. Mit der Berliner Wunderbar gibt es eines, das man so auch in Kreuzberg, Mitte oder Friedrichshain finden könnte. Die Idee dazu hatten Maxim Sluga und sein Freund Will genau dort. „Wir wollen das Berliner Erlebnis nach Paris bringen“, meint Sluga und bucht deshalb auch die DJs von Techno-Lables wie Innervision oder Katermukke in den Keller einer der Wunderbars. Dass er damit Erfolg hat, beweist, dass es in Pigalle, Chatelet und Bastille mittlerweile drei Standorte gibt.

Bitte mit Alles

Noch augenfälliger wird der kleine Berlin-Hype im Stadtbild durch die vielen Döner-Läden mit Deutschland-Bezug. Lúks Gourmet Kebab, Impact BerlinerKebab, Gemüse oder Sürpriz sind nur ein paar Beispiele. In Letzterem, gleich bei der Porte Saint-Denis, sind sogar die Saucen mit „Kräuter“, „Knoblauch“ und „scharf“ auf Deutsch angeschrieben und Angela Merkel posiert auf goldgerahmten Postern mit riesigen Messern und Dönerspieß. Die Idee dazu hatten Stéphane Brass und Benedikt Schiller, die sich aus Frankfurt kennen und zusammen in Berlin gelebt haben. „Wir haben einfach irgendwann das Auto vollgepackt mit dem Plan, Berliner Döner nach Paris zu bringen", erzählen sie. Mission erfüllt: Drei Jahre nach ihrer Ankunft haben sie bereits den zweiten Dönerladen und die lokalen Zeitungen feiern ihr Konzept neben dem hervorragenden Döner auch deshalb, weil sie „echte“ Berliner seien und in dem schmucken kleinen Laden Technobeats wummern.

 

Ein Japaner an der Seine

Interessant, dass die kulinarisch so verwöhnten Pariser diesen nicht sehr distinguierten teutonischen Kulturtransfer scheinbar begeistert abfeiern. Doch die Gastroszene der Weltstadt ist auch nicht mehr so selbstzentriert wie noch vor zehn oder 20 Jahren. Längst haben viele Gastronomen aus unterschiedlichsten Herkunftsländern in diesem kulturellen Schmelztiegel ihre Spuren in der hochklassigen Gastronomie hinterlassen. Das Le Tagine mit seinen genialen nordafrikanischen Gerichten ist eines von vielen Beispielen oder das Mosuke von Mory Saeko mit einem wilden Mix aus afrikanischen, asiatischen und französischen Einflüssen. Schließlich das Waly Fay, einer der ganz wenigen Läden in Europa, wo man authentische westafrikanische Küche serviert bekommt.

Den größten Einfluss auf die Lokalszene und die Küchenbrigaden in Paris haben aber momentan zweifellos die Japaner. Sie sind keine Immigranten aus französischen Ex-Kolonien, die die Not aus der Heimat vertrieben hat. Sie motiviert die Begeisterung für den klassisch-französischen Küchenstil, wenigstens einige Jahre im Mutterland der Haute Cuisine zu arbeiten und bei den besten französischen Köchen zu lernen. Viele starten danach mit ihren eigenen Konzepten durch. So gibt es hier selbstverständlich die besten Ramen des Kontinents, zum Beispiel im Menkicchi Ramen Shop in der Rue Sainte-Anne. Das beste Sushi im Suhi B oder echte Tonkatsu Sandos und Soba-Gerichte bei Katsuaki Okiyama in seinen Abri-Restaurants. Noch spannender wird es, wenn sich französische und japanische Köche und Gastronomen zusammentun. Dann entstehen Konzepte wie das Les Enfants du Marché von Michael Grosman und Masahide Ikuta mit seiner französisch-asiatischen Marktküche. Oder das Dersou, in dem der bei Alain Ducasse ausgebildete Taku Sekine, Gerichte wie rohe Bonito-Flocken in Gaszpacho oder Perlhuhn mit einem scharfen Rote-Beete-Püree serviert, zu denen sich Mixologist Amaury Guyot Mini-Cocktails wie einen Gin-Bergamotten-Haselnuss-Mix oder einen Sake-Blend mit Mohnsamen-Topping ausdenkt. 

Star der Japan-Expats in Paris ist aber zweifellos Kei Kobayashi. Er hat geschafft, was selbst vielen einheimischen Topköchen ein Leben lang verwehrt bleibt. Mit seinem Restaurant KEI in der Rue Coq Héron hält er seit 2020 drei Sterne. Kobayashi lebt schon seit 1999 in Frankreich und arbeitete im ganzen Land. Bei Gilles Goujon in der L'Auberge du Vieux Puit in Fontjoncuse, in der Priory in Villeneuve-lès-Avignon, im Restaurant Le Cerf in Marlenheim und schließlich für sieben Jahre unter Alain Ducasse im Pariser Ex-Drei-Sterne-Flaggschiff Plaza Athénée.

„ALS ICH DEN DRITTEN STERN BEKAM, DACHTE ICH, DAS KANN DOCH GAR NICHT SEIN.“ (KEI KOBAYASHI, EXECUTIVE CHEF, KEI RESTAURANT, PARIS)

Haute Cuisine ohne Schnörkel

Wer nun erwartet, er würde im eigenen Restaurant seine kulinarische Herkunft über japanische Aromen und Produkte in das Menü einfließen lassen, liegt völlig falsch. Kobayashi drückt seine fernöstliche Küchen-Philosophie vielmehr in ultragenauem Handwerk, der kulinarischen Reduktion aufs Wesentliche und der absolut kompromisslosen Qualität der Produkte aus. Ein Beispiel aus dem aktuellen Menü ist ein Salatkunstwerk, bei dem Salat, Kräuter, Blüten und Gemüse in einem luftigen, fast gugelhupfförmigen weißen Wölkchen arrangiert sind. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um einen intensiv schmeckenden Tomatenschaum, dem Rauke-Creme und einige Stücke Räucheraal mächtig Üppigkeit verleihen. Insgesamt entsteht so mit einem „einfachen Salat“ ein unglaublich vielschichtiges Aromenbild, das den Genießer immer neue Geschmacksnuancen entdecken lässt.

Schnörkellos ist dagegen der Fleischgang. Das große Stück Entrecôte vom japanischen Kagoshima-Rind ist auf den Punkt gegrillt und lässt viele Gäste schon ob seiner Qualität auf die Knie sinken. Dazu eine klassische Demi-glace, ein Stück gegrilltes Fett und etwas Kräuterpesto. Separat wird noch ein Tartar des Über-Beefs serviert, das mit blumigen Kräutern und Kartoffelkroketten an den Tisch kommt. Herrlich alte Schule und in seiner Fleischlastigkeit ein fast schon aus der Zeit gefallener Gang – aber handwerklich perfekt und geschmacklich in der absoluten Topliga. Perfekter französisch hat ein Japaner wohl nie gekocht.

Das beschäftigt offensichtlich auch die in Frankreich geborenen Top-Kollegen in der Stadt. Yannik Alléno etwa. Der dreht in seinem L´Abyss in einem herrlichen Stadtpalais an den Champs-Elysées den Spieß einfach um und lässt seinen Sushi-Meister Yasunari Okazaki von ihm inspirierte japanisch-französische Fischhappen auf Zwei-Sterne-Niveau servieren. Etwa jodig-milchigen Hechtrogen mit Algentempura auf Artischokentofu oder Bouchot-Muscheln, auf einer Rolle aus Weißkohl und Noriblatt und ein Sakegelée, das in einer Creme mit Belon-Austern und weißen Bohnen serviert wird. Spannender kann sich ein solches Länderspiel wohl kaum gestalten.

 

195 Euro für ein Gericht

Im Stockwerk darüber beweist Alléno in seinem eigenen Dreisterner, dass er sogar noch einen Gang zulegen kann, wenn er alleine kocht. Etwa beim „L’Agneau de lait des Pyrénées“, ein Milchlamm, das in drei Gängen serviert wird. Den Auftakt macht eine Pastete mit Lamm und Quitte, dazu erfrischender Portulak mit einer Brennnesselöl-Vinaigrette. Es folgt Milchlamm, das in einer Teigkruste in einem heißen Steingefäß auf Fichtennadeln fertig gart und schließlich vom Service mit einer Sauce aus Trüffeln und in Essig marinierten Zwiebeln angegossen wird. Wow. Zum Schluss stellt der Ober dann noch aus Polenta hergestellte Ravioli auf den Tisch, die mit Lammrückenmark gefüllt sind und mit einer Muskatnuss-Sabayon übergossen werden.

Das ist große Küchenkunst. Keine Frage! Aber die Preise sind heftig. 195 Euro werden allein für diesen A-la-Carte-Hauptgang berechnet. Ohne Getränke. Bei den hochdekorierten Kollegen Guy Savoy, Alain Passard, Arnaud Doukele, Thierry Marx, Hélène Darroze oder Pierre Gagnaire sind die aufgerufenen Preise ähnlich astronomisch und vierstellige Summen am Ende eines Abends die Normalität.

Wer spannende französische Kulinarik entdecken möchte, ohne die Bank zu sprengen, kommt deshalb bei den vielen aufstrebenden jungen Köchen der Stadt besser weg. Seit Stéphane Jégo und Yves Camdeborde vor Jahren mit ihrem Bistronomie-Gedanken der leistbaren Hochküche einen Trend losgetreten haben, ist viel passiert. Die junge Köchegeneration will lieber nicht mehr darüber sprechen, setzt die Idee dahinter aber trotzdem gekonnt um. Adrien Ferrand and Sommelier Félix Le Louarn vom Eels etwa, die wohl derzeit eines der angesagtesten Bistrots von Paris führen. In diesem hellen, kompakten Esszimmer mit seinen Backsteinwänden und der offenen Küche lassen die beiden innovative Gerichte servieren, die stark auf Zitrusnoten, saisonalen Produkten und frischen Kräutern basieren. So zum Beispiel bei Ferrands Signature Dish, bei dem er geräucherten Aal mit Granny Smith Apfel und gegrilltem weißen Spargel kombiniert, der in einer Bergamotten-Vinaigrette angerichtet ist. Einfach schön. Und das Tasting Menü gibt es im Eels schon ab 65 Euro pro Person. Nur einen Platz zu bekommen ist ähnlich schwierig wie bei anderen Topbistrots der Stadt – beispielsweise dem Septime oder dem Frenchie

Ob dieser unfassbar hohen Qualität und Vielfalt kann man als Paris-Gast eigentlich gar nicht glauben, dass die jungen Städter wirklich gerade mehr auf Döner, Currywurst und Bier vom Späti abfahren sollen.

 

3 Konzepte – Paris, Mon Amour

1 – Ze Kitchen Galerie

Cuisine Asiatique

Starkoch William Ledeuil ist ein weiteres Beispiel dafür, wie groß die Verehrung asiatischer Küchen und Aromenwelten in der Pariser Kochelite mittlerweile ist. Seit ca. 20 Jahren ersetzt er in seiner Ze Kitchen Gallery mit einem multikulturellen Team die Zutaten in französischen Gerichten mit solchen aus Thailand, Japan, Vietnam und Indien. Kokosnussmilch statt üppiger Sahne, Thai-Basilikum statt Petersilie und Ingwer, Galangal und Wasabi für Würze und Punch. Dazu ist er ein Meister im Einsatz von Zitrusnoten, vor allem in seinen Saucenkreationen, dem Herzstück der französischen Küche. Das ultrazarte Spanferkel aus der Gascogne im aktuellen Menü begleitet beispielsweise eine Würzsauce aus Chilipfeffer und Orangenquat. Letzteres ist eine Kreuzung aus Mandarine und Kumquat. Abgefahren.

 

2 – Mokonuts

Lovestory Parisienne

Das Mokonuts ist das Resultat der Liebesgeschichte von Moko Hirayama und Omar Koreitem. Die japanische Rechtsanwältin übersiedelte aus den USA nach Paris. Ihr Mann ist dagegen im Libanon geboren, in Paris aufgewachsen und hat schon für das Daniel in New York gearbeitet, wo sich beide kenenlernten. Ähnlich vielschichtig ist deshalb die Küche in dem winzigen Laden: Ein sehr persönlicher Mix aus französischen, levantinischen, amerikanischen und japanischen Elementen. Also gibt es göttlichen Labneh, dem die eigene Zatar-Mischung gehörig Tiefe gibt. Aber auch die ungewöhnlichen Pitas, Tartes Tatins und Cookies von Hirayama. Letztere zum Beispiel in der Version Miso-Sesam-Chcoloate-Chip. Damit steht das Lokal für eine ganz Reihe Pariser Restaurants, die aktuell die französische Küche um neue Geschmackswelten bereichern.

 

3 – L´adresse

Gastro-inkubator

Geniale Idee! Mit dem L´Adresse betreibt die Agentur Fulgurances eine Art Inkubator, wie man ihn aus der Start-up-Szene kennt. Junge Köchinnen und Köche, die davon träumen, ein eigenes Lokal zu eröffnen, dürfen hier für je vier Monate ausprobieren, wie es ist, ein Team zu leiten, Veranwortung zu tragen und Gäste mit den eigenen Kreationen zu überzeugen. Vorteil für die Agentur, die auch ein Kochmagazin herausbringt: Sie bleibt am Puls der Zeit und schafft sich ein Netzwerk von Topköchen für die eigenen kulinarischen Events, die sie für Marken wie Google, Ruinart oder Volkswagen veranstaltet. Aktuell kocht in Paris die Italienerin Laura Santosuosso, die bald schon in Mailand ein zeitgenössisches Bistrot eröffnen möchte. Das Konzept ist so erfolgreich, dass es mit dem Laundromat jetzt auch einen Ableger in New York gibt.

Interview

„Wir sind 98 Prozent authentisch.“

Der Hamburger Niklas Riehm betreibt in Paris zwei deutsche Lokale und einen Kiosk. FRISCH erzählt er, wie die Gastroszene dort funktioniert.

 

Dein Gastrogeschäft ist seit 2014 stetig gewachsen, Niklas. Ist deutsche Kulinarik wirklich trendy!?

Brezeln gibt es jedenfalls mittlerweile in jedem Carrefour. (lacht) Ich habe dazu eine kleine Statistik gemacht. 2014 gab es in ganz Frankreich vier deutsche Lokale, Ende 2022 waren es schon 22. So groß wie der Hype um Irish Pubs wird´s aber sicher nicht werden.

 

Du willst trotzdem einen Großhandel für deutsche Produkte betreiben?

Ja, ich habe ja schon den Kiosk mit 200 Sorten Bier und allem Möglichen anderen. Für mich als Deutscher ist das leichter zu organisieren, weil ich meine Kontakte habe. Und wie das Konzept Wunderbar zeigt, gibt es mittlerweile sogar viele Franzosen, die ein „deutsches“ Lokal eröffnen.

 

Wie war das bei dir selbst am Anfang?

Für uns war die Standortsuche am schwierigsten. In Paris ein Lokal mit Platz für einen Biergarten zu finden, ist fast unmöglich. Wir sind dann mit dem ersten Kiez Biergarten im Künstlerviertel Montmartre gelandet, wo wir einen kleinen Innenhof nutzen können.

 

Nicht gerade ein Biergarten, wie wir ihn uns vorstellen …

Das vielleiht nicht. Wir sind aber zu 98 % authentisch, würde ich sagen. Wir mischen nur alles, was Deutschland für Franzosen ausmacht. „Kiez“ steht ja genauso für Hamburg wie für Berlin und den Begriff Biergarten assoziieren unsere französischen Gäste mit dem Oktoberfest in München. Mit dieser Positionierung können wir alle abholen: die Hipster, die Oma aus dem Elsass und den Tisch mit deutscher Beteiligung, den wir fast jeden Tag haben.

 

Ist ein solches Lokal als Ausländer zu eröffnen eigentlich einfach?

Ein Wagnis ist es immer. Ein wesentlicher Vorteil in Frankreich ist allerdings, dass die Ablöse, die du hier einem anderen Gastronomen für ein Lokal zahlen musst, ein juristischer Wert ist. Der so genannte Fonds de Commerce. Der lässt sich steuerlich geltend machen und durch ihn wird auch die Verhandlung mit der Bank bei der Kreditvergabe etwas leichter. Außerdem kann man eine GmbH, in Frankreich nennt man sie SARL, schon mit einem Stammkapital von einem Euro gründen. Allerdings wird das in der Regel durch Rechtsanwälte vorbereitet und durchgeführt. Und das ist wiederum relativ kostspielig.

 

Wo siehst du aktuell die größten Herausforderungen für dein Geschäft?

Sicher im Bereich Personal. Ein Kellner kann hier 2.500 Euro netto im Monat verdienen. In der französischen Gastronomie geht sich das aus, wenn der Ober für einen Tischumsatz von 70 Euro 30 Sekunden braucht. Aber unser Konzept ist für französische Gäste erklärungsbedürftig. Da kann eine Bestellung über 30 Euro zwei Minuten dauern. Und das geht sich dann schon schlechter aus.

 

Hast du es auch mal mit Gastroprofis aus Deutschland oder Österreich probiert?

Natürlich. Die können in Paris ja auch ohne Probleme arbeiten. Aber die meisten sind leider nach drei Monaten wieder weg.

 

Vielen Dank für das Gespräch! 

 

Niklas Riehm

Der Hanseat kam mit 18 Jahren als Au-Pair nach Paris, arbeitete danach lange für die Pub-Kette O´Sullivans, wo er zum Schluss die Position als Assistant Manager bekleidete. Seit 2014 ist er mit seinem Kiez Biergarten selbstständiger Pariser Gastronom und betreibt mit dem Kiez Kiosk auch ein deutsches Lebensmittelgeschäft in der Stadt. Mit Berlin Distribution soll nun ein Lebensmittelgroßhandel folgen.

 

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