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Deutschkurs

Frankfurt ist multikulti, weltgewandt, reich und immer hungrig auf Neues. Davon profitiert eine Gastrobranche, deren Protagonisten sich in den letzten Jahren wieder verstärkt mit ihrer deutschen Küchenidentität auseinandersetzen. Das Ergebnis ist dabei nie plump retro, sondern so weltoffen wie die Bankenmetropole am Main selbst.  

18 der insgesamt 19 Wolkenkratzer in Deutschland streben in der Innenstadt Frankfurts gen Himmel. Darunter Ikonen der seit 1945 hier intensiver als anderswo betriebenen Vertikalarchitektur. Die berühmten Türme der Deutschen Bank beispielsweise, der Main Tower oder der Tower 185. Bevölkert werden diese gläsernen Ausrufezeichen ökonomischer Prosperität von allem, was in der Finanzwelt Rang und Ruf zu verteidigen hat: Europäische Zentralbank, UBS, BNP Paribas oder Goldman Sachs sind nur die bekanntesten. Sie alle beschäftigen am größten deutschen Finanz-Handelsplatz tausende Angestellte. Dazu kommen die Europa-Hauptquartiere zig weiterer internationaler Unternehmen, eine Messe mit Weltruf, der größte deutsche Flughafen und ein wuchtiger Innenstadt-Bahnhof, der täglich Massen an Pendlern wie Touristen auf die Kaiserstraße spuckt.

„Frankfurt zeichnet schon immer eine überdurchschnittlich hohe Multikulturalität, aber auch Kaufkraft aus. Dadurch merken wir Gastronomen Entwicklungen wie die Teuerung und ein geändertes Ausgehverhalten nicht ganz so stark wie der ländliche Raum“, bestätigt Lena Iyigün, Vorstandsvorsitzende des Vereins Initiative Gastronomie Frankfurt die positiven Auswirkungen dieser speziellen Ausgangslage: „Vor ein oder zwei Jahren wurde im Rahmen einer Studie erhoben, dass 2.400 Gastrobetriebe in Frankfurt Steuern zahlen. Gemessen an der Fläche ist das die höchste Dichte in ganz Deutschland“, meint sie nicht ohne Stolz. Die kulinarische Vielfalt von der Döner-Bude übers Szenelokal bis hin zur rein veganen Sterneküche in Ricky Sawards Seven Swans mache dabei den besonderen Reiz aus: „Das findet man hier zwischen Hauptbahnhof, Römer und Sachsenhausen alles auf engstem Raum. Unsere Gäste können in der Früh im Nordend in einem hippen Café starten, dazwischen alles von Äppelwoi bis mongolische Küche ausprobieren und abends bei einem Glas im Franziska im Henniger-Turm mit Blick auf die Skyline den Tag beschließen.“

Problem frühe Sperrstunde

Trotzdem ist in der Metropole am Main nicht alles in Butter. Beleg dafür ist, dass es die IGF überhaupt gibt: „Wir sehen uns als pragmatische und hippe Ergänzung zur DEHOGA, die die Themen in Frankfurt seit acht Jahren unbürokratisch direkt mit der Politik angeht“, meint Iyigün, die mit dem Café Glauburg im Nordend selbst einen gut gehenden Topbetrieb führt. „Die vielen kleineren Cafés sind eine wichtige Säule für die gastronomische Grundversorgung hier in der Stadt“, erklärt sie: „Aber die meisten unserer Mitgliedsbetriebe sind im Abendgeschäft zuhause, in dem vor allem der Fachkräftemangel zu spüren ist. Junge Menschen steigen immer seltener über den klassischen Weg einer dualen Ausbildung ins Gastgewerbe ein. Wir haben viele Quereinsteiger, aber kaum Fachkräfte. Das größte Glück sind deshalb für uns Mitarbeiter aus dem Ausland. Leider ist die Ausländerbehörde aber chronisch unterbesetzt, man wartet zum Teil ein dreiviertel Jahr auf eine einfache Visumsverlängerung“, wundert sich Iyigün über die widersprüchliche Situation. Die trägt allerdings auch dazu bei, dass selbst Konkurrenten am Gastromarkt gemeinsam an einem Strang ziehen: „Der große Zusammenhalt zeichnet uns Frankfurter Individualgastronomen sicher aus“, unterstreicht die IGF-Vorsitzende. Es gebe sogar eine eigene WhatsApp-Gruppe, wo posten kann, wer dringend einen Handwerker braucht oder einen Bewerber weitervermitteln kann.

Eldorado für Zeitgeistgastro

Als Beleg dafür, dass dieses ungewohnte Miteinander im Alltag auch gelebt wird, kann gelten, dass selbst die lokalen Gastro-Giganten dabei mitmachen. Beispielsweise die Gekko-Gruppeum die beiden Unternehmer Micky Rosen und Alex Urseman. Neben ihren Roomers Hotels betreiben sie gleich mehrere Lokale und gehören damit zum in Deutschland noch raren Typus der Erfolgsgastronomen internationalen Zuschnitts, die gleich ein ganzes Portfolio unterschiedlichster gastronomischer Trendkonzepte unter dem Dach einer Gruppe vereinen. Einer ihrer frühen Dauerbrenner ist das Moriki, das sie schon 2013 in einem der Deutsche-Bank-Türme aufsperrten. Beim kulinarischen Konzept arbeiteten sie mit Starkoch The Duc Ngo aus Berlin zusammen und so wundert es kaum, dass dabei ein spannender Mix asiatischer Weltküchen herausgekommen ist, den spendable Banker einfach lieben mussten. Mittags zwischen Trades und Besprechungen leicht zu konsumierende Sushi-Happen treffen hier auf modernisierte Asia-Classics wie „Black Tiger Ebi“, eine Riesengarnele auf Kräutersalat mit einem Klecks Trüffelmayo und Yuzu. Ein rundum stimmiges Konzept, das die „New York Times“ sogar als „the place to go in Frankfurt“ beschrieben haben soll. Heute, zehn Jahre später, versucht man sich nach gleichem Bauplan an einer Coverversion dieses Hits. Für das Burbank ist wieder The Duc Ngo als kulinarisches Mastermind an Bord. Doch nun geht die Reise nach Kalifornien, wo sich seit jeher asiatische, mexikanische und amerikanische kulinarische Ansätze unverkrampft vermischen. Also steht auf der Karte Sashimi neben Guacamole und Grillspezialitäten neben an Mac´n´Cheese erinnernde Käse-Udon-Nudeln. Ziemlich verwirrend. Den Gästegeschmack trifft es trotzdem.

„DIE VIELEN KLEINEN CAFÉS SIND EINE WICHTIGE SÄULE DER GASTRONOMISCHEN GRUNDVERSORGUNG. “
(LENA IYIGÜN, VORSTANDSVORSITZENDE, INITIATIVE GASTRONOMIE FRANKFURT E. V.)

Horizont globale Gastro

Beide Konzepte stehen damit für eine ganze Kategorie edler Frankfurter Zeitgeist-Gastronomie, die sich stark an dem orientiert, was international gerade angesagt ist. Neu ist dieser Ansatz nicht. Der heimische Star-Gastronom Christian Mook verfolgt ihn bereits seit der Eröffnung seines M Steakhouse im Jahr 1997. Das Lokal in der Feuerbachstraße war damals eines der ersten gehobenen Steakhäuser nach US-Vorbild und sein Erfolg der Grundstein für die Mook Group mit Jahresumsätzen in zweistelliger Millionenhöhe. Allein in Frankfurt besitzt Mook fünf Lokale. Neben dem M Steakhouse noch den Ivory Club, in dessen Gastraum bevorzugt im Tandori-Ofen zubereitete indische Küche serviert wird. Außerdem das luxuriös französische Mon Amie Maxie und das fast 2.000 Quadratmeter große, panasiatische Zenzakan mit seinen mannshohen Buddhafiguren und Kirschblüten-Deko. „Ich eröffne, was ich selbst gerne besuchen würde“, meint Mook dazu und reist deswegen regelmäßig in die weite Gastrowelt, um sich Inspirationen zu holen. Denn: „Ich habe gelernt, dass meine Gäste immer anspruchsvoller werden und sich mittlerweile weltweit hervorragend auskennen. Meine Mitbewerber sitzen daher nicht mehr nur in Deutschland, sondern auch in London, Dubai, Las Vegas und New York“, ist er sich sicher.

Vor dem Hintergrund dieser Aussage umso spannender ist, was er sich für sein Franziska ganz oben im Henninger Turm in Sachsenhausen überlegt hat. Denn in dem Rooftop-Restaurant mit Chef´s Table ist seine Inspirationsquelle ausgerechnet die Küche seiner Großtante Franziska, die schon in Mooks Kindheit die deutsche Küche mit allerlei globalen Einflüssen mischte. „Sie war eine Pionierin der Fusionsküche“, lacht Mook: „Sie belegte beispielsweise Pizza mit Ahler Wurscht oder servierte hausgemachte Ravioli mit Handkäsefüllung.“ Bei Mook und Küchenchef Milosz Troka wird daraus „Progressive German Vintage Cuisine“, eine modern interpretierte deutsche Küche, die sich weder durch Konventionen, Zutaten noch Techniken limitieren lässt. Also steht beispielsweise ein sphärisierter Handkäse-Chip mit Zwiebel-Gel und Schnittlauch als Amuse auf der Karte. „Das ist die hessische Antwort auf Ferran Adriàs alginierte El-Bulli-Olive“, erklärt Mook: „Durch einen raffinierten Dehydrationsprozess ist er nicht nur unglaublich geschmacksintensiv, sondern auch extrem filigran. Schon beim ersten Kontakt mit dem Gaumen implodiert die Struktur förmlich“, schwärmt der Gastronom. Das Blutwurst-Gyoza ist da schon bodenständiger und kommt mit Sauerkraut-Air und Trüffel-Senf an den Tisch. Spannende Ideen sind außerdem die Wurst Wellington Royal, eine getrüffelte Weißwurst im Blätterteigmantel mit Edelpilz-Duxelle, Spinat und Kalbsknochen-Jus oder der Wagyu-Sauerbraten vom Kagoshima A5 Tri-Tip mit Schattenmorellen, Grünkohl & Bubenspitzle.

Äppelwoi Anachronist

Darf man also wieder stolz auf deutsche Küche sein? „Es gibt kaum ein Land, in dem die eigene Landesküche so wenig geachtet wird wie hier in Deutschland“, meint dazu Frank Winkler, der mit seiner Frau Pia die Daheim-Gruppe leitet. Nach einer Karriere mit eigenem PR-Beratungsunternehmen übernahm er 2014 die historische Apfelwein-Schankwirtschaft Lorsbacher Thal und führt sie seitdem so erfolgreich, dass sich heute mit der Affentorschänke und dem Daheim in der Kleinmarkthalle zwei weitere Betriebe in seinem Portfolio befinden. „Deutsche Gastwirtschaften findet man hier in Frankfurt immer seltener, echte Apfelweinlokale gibt es keine zehn“, schildert er die aktuelle Lage: „Gefühlt sind mittlerweile 80 % der Restaurants Italiener. Mit den Daheim-Restaurants habe ich mich deshalb bewusst für eine Nische entschieden und lasse regionale, hessische Küche servieren.“ Eine Aussage, die stutzig macht. Hat deutsche Küche in Deutschland wirklich so wenig Stellenwert? Dagegen spricht Winklers Erfolg, der allerdings daher rührt, dass sein Konzept bis ins Detail durchdacht ist. Er verzichtet komplett auf Convenience, setzt auf sauberes Küchenhandwerk und bezieht seine Produkte direkt aus der Region. Außerdem hat er eine modernisierte Version deutscher Gemütlichkeit als Markenkern definiert – deswegen der Begriff „Daheim“ als Gruppendach. Egal ob Geschäftsesser, Touristen oder Einheimische: Alle lieben die heimelige Atmosphäre in den historischen Gasträumen und eine Küche, die die Tradition gekonnt ins Heute holt. Bestes Beispiel ist die „Häppchenreise“ durch die hessische Hausmannskost, im Rahmen derer sich die Gäste vier kleine Gerichte auswählen und dann am Tisch auch teilen können. Klassiker wie Handkäs mit Musik sind dabei oder original Frankfurter grüne Sauce mit Kräutern vom Riedhof in Nieder-Erlenbach und dazu ein gekochtes Wachtelei. Oder eine Wurstsalätchen vom original Frankfurter Würstchen mit Apfelweinkäse-Streifen und herrliche Miniatur-Buletten aus bestem Kalbinnen-Fleisch auf Kartoffelstampf mit einer eigens vom Hausherrn kreierten Zwiebelmarmelade.

Dazu gibt es das wohl größte Sortiment Äppelwoi der ganzen Welt. Rund 300 verschiedene Positionen des herb-säuerlichen Getränks lagern im eigenen Keller. Darunter auch sehr hochwertige Spezialitäten wie der Holzapfel von Jörg Geiger, den Winkler seinen Gästen zu Gänseleber ans Herz legt. Beliebter ist allerdings der eigene Hauswein, für den die Äpfel auf Streuobstwiesen vor den Toren Frankfurts selbst eingesammelt werden. „Das ist wie beim gemischten Satz in Österreich. Jede Apfelsorte steuert ihr spezielles Geschmacksprofil bei, der Boskop zum Beispiel die Gerbstoffe. Wir lassen nach dem Auspressen ca. 15.000 Liter bei uns im Keller durchgären und bekommen so einen sehr trockenen, säurebetonten Wein mit schönen Apfelaromen, der perfekt zu unserer deftigen hessischen Küche passt.“

Neue Frankfurter Schule

An einer ähnlichen Aufwertung heimischer Kulinarik und der Weiterentwicklung typisch regionaler Geschmacksprofile versuchen sich in Frankfurt derzeit auch viele junge Gastronomen. Kulinarisch sind sie dabei noch ambitionierter. Bei Anton de Bruyn im Neo-Bistro Emma Metzler gibt es beispielsweise Dampfnudeln, Lardo und eingemachten weißen Spargel oder Blutwurst mit Schwarzkohl und Apfel-Hopfencreme. Regionale Produkte treffen dabei auf traditionelle Gerichte und Inspiration aus der ganzen Welt. Ähnliches passiert auch im Carte Blanche, wo jeden Abend ein Überraschungsmenü serviert wird, oder in der Heimat, wo das Küchenteam um Gregor Nowak als Hauptspeise beispielsweise Bergkäse-Maultasche mit Frankfurter Kräutern, Pak Choi, Wildem Brokkoli und Morcheln servieren lässt. Dazu können die Gäste aus einer mächtigen Weinkarte mit vorwiegend deutschen Gewächsen wählen. Spannend.

Selbst im Fine-Dining-Segment, in dem in der Stadt klassisch französische Ansätze wie La Fleur, Villa Merton oder Main Tower überwiegen, gibt es mit dem Gustav einen Zweisterner, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, typisch deutsche Geschmackswelten auf die Teller zu bringen. Seit 2015 kocht dort Jochim Busch an seiner ganz speziellen Version Hochküche. „Unser Ansatz ist sehr stark von der Natur inspiriert. Ich sammle zum Beispiel Produkte und Ideen auf Spaziergängen mit meinem kleinen Sohn. Außerdem sind wir in sehr regem Austausch mit unseren regionalen Produzenten, um immer die je nach Saison besten Produkte für die Speisen auf unserer Karte auswählen zu können“, erklärt er. Und wie bezieht er dabei klassisch deutsche Küche ein? „Die deutsche Geschmackswelt bewegt sich für mich zwischen rauchig, säuerlich, fettig und salzig. Deswegen legen wir beispielsweise viel in Salz und Essig ein und verwenden keine Zitrusfrüchte. Wir übersetzen diese Aromen in die heutige Zeit und unseren eigenen Küchenstil, wenn man so will.“ Ein Beispiel für diesen Ansatz sei der Versuch, bei einem seiner Gerichte die typische Brathering-Aromatik anklingen zu lassen. Dafür nimmt er ein Forellenfilet in Sashimi-Qualität, melliert es, brät es ganz kurz scharf an und legt es dann in einen Wurzelgemüse-Sud mit klassischen Gewürzen, Essig und eingelegten Dill-Zweigen. „Das Fleisch bleibt dadurch innen roh, wir rufen aber bekannte Geschmäcker auf und entwickeln sie viel feiner weiter“, erklärt er und nennt als Ziel: „Wir wollen mit dem Gustav auch mithelfen, eine eigene Küchen-DNA und kulinarische Identität in Deutschland nach vorne zu bringen.“ Sieht so aus, als wäre Frankfurt die perfekte Stadt dafür.

3 KONZEPTE

Best of Frankfurt

Burbank

Asiatischer Sunnyboy

Wer im Burbank in der Gutleutstraße einen Tisch ergattert, wähnt sich an der Westcoast irgendwo zwischen San Francisco und L. A. – vor allem auf der wunderschönen Terrasse, die sie hier selbstredend „Patio“ nennen. Wie bei aktuell vielen zeitgeistigen Konzepten hat im Burbank kulinarisch der Berliner The Duc Ngo die Finger mit im Spiel. Für die Gekko Group entwickelte er ein Konzept, das dem schon etwas abgelutschten Pan-Asia-Trend neues Leben einhaucht. Dafür fügt er seiner Geschmacksgleichung zusätzlich amerikanische und mexikanische Anklänge hinzu. Also gibt es ein sauberes Baja California Steak vom Blue Fin Tuna mit Salsa Verde genauso wie Signature California Rolls, Ceviche, Korean Fried Chicken oder einen Taco de Pollo. Hoffentlich behalten die Gäste bei so viel Länderküchen-Vielfalt den Überblick!

Orfeos Erben

Lichtbild von einem lokal

Das Kino ist tot. Es lebe das Kino! Das könnte der Leitspruch des Orfeos Erben sein. Das Lokal in einer alten Gussfabrik ist eine Kinoinstitution aus den 1980ern, in der Filmemacher wie Jim Jarmusch, Emir Kusturica oder Aki Kaurismäki ihre Werke präsentierten. Dann kam das Kinosterben und ein neues Konzept musste her. Heute können Cineasten in der Hamburger Allee noch immer Filme sehen, davor oder danach aber zusätzlich im angeschlossenen Restaurant verdammt gut essen gehen. Weiteres Standbein sind ein Seminarraum und Events, die wegen der hochwertigen AV-Technik im Haus virtuelle und hybride Formate genauso ermöglichen wie technisch aufwändigere Produkt-Präsentationen. An der Bar können Gäste anschließend darauf anstoßen, dass selbst kleine Kinos so eine Zukunft haben.

Seven Swans

Vegane Avantgarde

Was Ricky Saward mit seinem Seven Swans direkt am Mainkai geschafft hat, ist mehr als nur beachtlich. Jahrelang hatte er sich durch die Sterneküchen Deutschlands gekocht, bis ihm die Nobelprodukte zum Halse heraushingen und er eine neue Herausforderung brauchte. Zuerst kochte er deshalb vegetarisch. Heute ist er sogar der einzige vegane Sternekoch Deutschlands. Er kreiert Gerichte, in denen nicht nur kein Fleisch und kein Fisch, sondern auch keine Avocados, kein Kakao, keine exotischen Gewürze und keine Zitronen vorkommen. Nur Salz aus Berchtesgarden verwendet der Spitzenkoch noch. Ein Gang besteht deshalb aus maximal drei Komponenten, aus denen das geschmackliche Maximum herausgeholt werden muss, um das Ziel einer „puren, kreativen und komplexen Gemüseküche“ zu erreichen. Einzigartig.

Interview

„Wir haben eine deutsche Küchen-DNA.“

Jochim Busch kocht im Gustav erfrischend anders als seine Sternekollegen und zitiert mit Zutaten aus der Region geschmacklich dabei die deutsche Küchenklassik.

Deutschland hat sehr viele Sternelokale, aber nur wenige beschäftigen sich mit deutscher Kulinarik. Würden Sie sich wünschen, dass es mehr sind?

Das ist ein freies Land und jeder kann machen, was er will. Als wir 2015 aufgesperrt haben, gab es außer uns nur das Nobelhart und Schmutzig in Berlin. Heute verfolgen schon viel mehr Köche einen ähnlichen Ansatz. Ich finde asiatisches Essen auch toll, aber man sollte nicht vergessen, wo man herkommt.

Wie würden Sie Ihr Konzept einem Kollegen beschreiben?

Unsere Küche ist sehr stark von der Natur inspiriert. Wir wollen den Lebensmitteln unserer Region in unserer Küche eine Bühne geben. Ich sammle zum Beispiel Produkte und Ideen auf Spaziergängen mit meinem kleinen Sohn. Außerdem sind wir in sehr regem Austausch mit unseren regionalen Produzenten, um immer die je nach Saison besten Produkte für die Speisen auf unserer Karte auswählen zu können. Wir arbeiten beispielsweise mit drei Gärtnereien direkt aus der Umgebung von Frankfurt zusammen oder dem Obsthof Schwarz am Steinberg, wo wir gerade beim Johannisbeer-Sträucher-Schneiden geholfen haben.

Wieso das denn?

Aus den Zweigen machen wir Auszüge, die wir das ganze Jahr in unserer Küche verwenden. Wir ziehen das Holz in Öl aus und erhalten so das typische Johannisbeer-Aroma ohne den Fruchtanteil, dafür mit viel mehr Gerbstoffen. Das lässt sich perfekt in der süßen wie herzhaften Küche einsetzen. Wir benutzen dieses Aroma beispielsweise in einer Sauce mit gelber Beete. Die Blätter legen wir zusätzlich in Salzlake ein und benutzen sie wie andere Küchen Weinblätter. Wir verfolgen in dieser Hinsicht einen sehr ganzheitlichen Ansatz.

Und was hat das jetzt mit typisch deutscher Küche zu tun?

Sehr viel! Vor allem geschmacklich. Die deutsche Geschmackswelt bewegt sich für mich zwischen rauchig, säuerlich, fettig und salzig. Deswegen legen wir beispielsweise viel in Salz und Essig ein und verwenden keine Zitrusfrüchte. Wir übersetzen diese klassischen Aromen in die heutige Zeit und unseren eigenen Küchenstil, wenn man so will.

Haben Ihre Gäste das von Anfang an verstanden?

Ganz am Anfang war der ein oder andere noch verwundert. Aber wir haben schnell gelernt, unsere Gäste nicht zu überfordern. Außerdem konnten wir unser Konzept nach der Eröffnung ständig weiterentwickeln. Den ersten Stern gab´s dann gleich im ersten Jahr, den zweiten 2019. Seitdem haben wir viele internationale Gäste, natürlich Geschäftsleute und am Wochenende sind auch die Einheimischen bei uns zu Besuch.

Die Teuerung durch die Mehrwertsteuer-Anhebung ist für das Gustav also kein Thema?

Nicht wirklich, die spezielle Situation in Frankfurt hilft natürlich dem Fine-Dining. Problematischer ist die Personalsituation. In der Küche hilft uns zwar unser Renomée, neue Talente zu finden, außerdem ist die Fluktuation niedrig. Aber der Service ist derzeit bei uns ein großes Problem.

Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Konkurrenz durch die großen Gastrogruppen in der Stadt?

Das ist ein ganz anderes Segment, für uns also keine Konkurrenz. Die Lokale, die in Frankfurt kulinarisch für Furore sorgen, sind jedenfalls alle inhabergeführt.

Herr Busch, vielen Dank für das Gespräch!

 

Jochim Busch

Begonnen hat Busch seine Karriere im Restaurant Furisto in Reutlingen. Erste Fine-Dining-Erfahrungen folgten ab 2011 unter Andreas Krolik im Brenners Park-Restaurant. 2012 ging er dann  als Souschef mit Krolik nach Frankfurt ins Gourmetrestaurant im Tigerpalast. Seit 2015 ist er Küchenchef im Gustav und hat dort zwei Sterne erkocht.

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