Trends

Emma’s Erben

Tante Emmas Laden ist nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Aber er kommt wieder. Denn seit ein paar Jahren schicken sich engagierte junge Menschen an, Emmas Erbe anzutreten und mit neuen Ideen und Konzepten auf erfolgreiche Beine zu stellen.

Totgesagte leben länger, heißt es, und wenn man mit offenen Augen durch die Stadt spaziert, durch die schmalen Gassen abseits der breiten Einkaufsstraßen, dann trifft man wieder deutlich öfter auf sie. Auf die neuen kleinen Greißlereien und Tante-Emma-Läden, wie die Krämerladen da und dort genannt werden. Sie sind wieder da, selbstbewusst, mutig und mit einer großen Portion Pioniergeist ausgestattet. Heute bieten sie nicht mehr das Notwendigste von allem, sondern sorgsam Ausgesuchtes von bewusst Ausgewähltem. Feinkostläden im besten Sinn, aber nicht nur. Denn eines der neuen Erfolgsrezepte lautet, seine Kunden auch gleich mit selbst zubereiteten Speisen aus dem eigenen Sortiment zu verwöhnen. Emmas Erben bieten ein Rundum-Genuss-Erlebnis, das den Zeitgeist nicht besser treffen könnte.

Direkter Draht

Am Meidlinger Markt im 12. Wiener Gemeindebezirk herrscht reges Treiben. In den letzten Jahren haben sich hier einige hippe Stände und Lokale angesiedelt, deren Anziehungskraft weit über die Bezirksgrenzen hinausstrahlt. Eines davon ist das Heu & Gabel von Katharina und Mario Schinner-Krendl, eine genussvolle Mischung aus Lebensmittelgeschäft und Gastronomie. „Wir sind eine Greißlerei mit regionaler Bio-Feinkost und einem Stadtheurigen“, erklärt Katharina Schinner-Krendl. „Unseren Kunden ist es wichtig zu wissen, wo die Produkte herkommen, die sie kaufen, denn den Qualitätsunterschied zur Massenproduktion sieht, riecht und schmeckt jeder sofort.“

In der Vitrine und den Regalen findet sich eine fein sortierte Auswahl an Schinken, Würsten, Käsen, Brot, Backwerk, diversen Milchprodukten bis zur traditionellen Fasslbutter, dazu noch Nudeln, Marmeladen, Honig, Senf, Sojaprodukte, Frucht- und Obstsäfte, Wein und Edelbrände. „Alle Produkte beziehen wir direkt von den Produzenten, dieses Naheverhältnis ist uns ganz wichtig“, sagt Katharina Schinner-Krendl. Wer lieber gleich genießen möchte, statt nur einzukaufen, der nimmt im Heu & Gabel einfach an einem der gemütlichen Tischchen Platz und gönnt sich leckere Frühstücksplatten, Brettljausen oder täglich wechselnde Mittagsgerichte. „Jeden Freitag wird bei einem Dinnerabend groß aufgekocht, dazu laden wir auch immer wieder unsere Produzenten ein, damit unsere Kunden unsere Produkte noch besser kennenlernen“, weiß Katharina Schinner-Krendl, wie sie für ihre Kunden immer wieder neue, attraktive Akzente setzt. 

 

Natürliche Reife

Den direkten Kontakt zu den Produzenten ihrer Bio-Lebensmittel pflegt auch Alexandra Liberda. Vor knapp zwei Jahren erst hat sie ihr Augora Fermente im 6. Wiener Gemeindebezirk eröffnet und sich auf fermentierte Lebensmittel spezialisiert. „Das Thema der Fermentation begleitet mich schon mein Leben lang“, erzählt die Oberösterreicherin, „das hat als Kind beim Krautstampfen in Großmutters Küche begonnen und bis heute nichts an Faszination eingebüßt.“ Auch wenn Alexandra Liberda zwischendurch Archäologie studiert und in der Telekombranche Karriere gemacht hat, jetzt dreht sich in ihrem Leben wieder alles um Sauerkraut & Co. Zweifel, dass sie mit diesem Konzept nur eine sehr kleine Zielgruppe ansprechen könnte, hat sie nicht. „Fermentierte Lebensmittel sind mit Kombucha, Kefir und Kimchi wieder in unser Bewusstsein gerückt. Und in den Lockdowns haben ganz viele Menschen ihr eigenes Brot gebacken – mit Sauerteig. Fermentation ist also so präsent in unserem Leben wie schon lange nicht mehr.“

Spannend ist Fermentation allemal. In ihrer kleinen Greißlerei mit angeschlossenem Restaurant überrascht sie ihre Kunden mit einer überwältigenden Fülle an Fermentiertem. In der einen Ecke grüne Tomaten, schwarze Limetten, Salzzitronen, Sauerkraut und Kimchi, in der anderen Ecke Naturwein, Sauerbier, Sake, Kombucha, Kakao und sogar Kaffee. Dazwischen Schokolade, Brot, Tempeh, Miso, Koji, fertige Consommé aus Shiitake & Kombu-Algen, diverse Starterkulturen, Zubehör und vieles, vieles mehr. Alexandra Liberda nimmt sich gerne Zeit, um ihre Kunden ausführlich zu beraten und tiefer in die Welt der Fermentation eintauchen zu lassen. Dass fermentierte Lebensmittel bekömmlicher sind und am Gaumen mit einem unerwarteten Aromafeuerwerk überraschen, beweist die Jungunternehmerin ihren Kunden im kleinen Augora-Restaurant. Hier werden aus den fermentierten Produkten täglich wechselnde Menüs kreiert, eines mit Fleisch und ein vegetarisches. „Wir haben mittlerweile viele Stammgäste“, sagt Alexandra Liberda, „und es kommen immer neue Gäste, die dann auch öfters wiederkommen, weil sie von der Vielfalt und dem Geschmack unserer Gerichte so begeistert sind.“

„UNSERE WECHSELNDEN MITTAGSTELLER WERDEN SEHR GUT ANGENOMMEN.“ (ANNA HEINRICH, BEAULIEU, WIEN)

Große Liebe

Eine treue Stammkundschaft pilgert auch regelmäßig ins Beaulieu in der vornehmen Palais-Ferstel-Passage in der Wiener Innenstadt. Die stilvolle Mischung aus Épicerie fine und Bistrot gibt Aufschluss darüber, wie sich Gott in Frankreich gefühlt haben muss. Ein Schlemmerparadies auf höchstem Niveau. „Wir sind einfach verliebt in dieses Land“, sagt Anna Heinrich, die gemeinsam mit ihrem Mann Christoph seit zwölf Jahren ihren Delikatessenladen mit Bistrot führt und ausschließlich original französische Produkte anbietet. „Bei der Auswahl legen wir größten Wert auf Lebensmittel, die geschmacklich überzeugen und handwerklich sauber produziert werden. Wir haben auch viele der meist kleinen Betriebe bereits besucht und uns vor Ort von der Qualität und dem Verarbeitungsstandard überzeugt.“

An die 50 verschiedene französische Käsesorten liegen wohltemperiert in der Vitrine des Beaulieu, daneben stapeln sich feine Rillettes, Tartelettes, Sardinen, Schokoladetrüffel, Olivenöl, ofenfrisches Baguette und vieles mehr. Weine aus den unterschiedlichen Anbaugebieten Frankreichs und natürlich Champagner runden das delikate Angebot ab. Das Konzept gelebter französischer Authentizität wird auch in der Küche des charmanten Bistrots konsequent umgesetzt. „Unsere täglich wechselnden Mittagsteller werden sehr gut angenommen, aber natürlich kommen viele Gäste abends zum Dîner. Besonders beliebt sind unsere Moules marinières, die Tartine bretonne, die Quiches und unsere Bouillabaisse. Dazu bieten wir täglich frisch zwei bis drei Sorten Austern“, betont Anna Heinrich.

 

Pure Leidenschaft

Feinste französische Delikatessen finden sich auch im Feinkostladen von Hans Petersen im Frankfurter Westend. Vor mittlerweile 19 Jahren hat er sein kleines Geschäft eröffnet und ist seiner Linie immer treu geblieben, wie er erzählt: „Ich habe eine große Leidenschaft für gutes Essen und dafür braucht es einfach qualitativ hochwertige Lebensmittel.“ Zu Beginn habe er noch selbst auf Messen nach Produzenten gesucht, vor allem von außergewöhnlichen französischen und italienischen Spezialitäten, sagt er. Heute wenden sich die Hersteller meistens direkt an ihn, vor allem junge Start-ups kommen oft mit spannenden neuen Produkten auf ihn zu.

Das Sortiment in Hans Petersens Laden ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen, aktuell können seine Kunden aus fast 100 verschiedenen Käsesorten wählen, die meisten aus Frankreich, der Schweiz, Deutschland, Italien und England. Daneben bietet er exquisite Würste, Schinken, Eingelegtes, Pasta, Saucen, Knabbereien, Öle, Essige, Honig, Marmeladen, Schokolade, Kekse, Tee, Kaffee, Wein, Cremant und Champagner. Diverse Brote, Gebäck und Kuchen kommen von regionalen Lieferanten seines Vertrauens oder werden selbst gebacken. Nichts von alledem findet man in den Regalen der klassischen Supermärkte. Das wissen seine Kunden und das schätzen sie auch so an seinem Laden, meint Hans Petersen. Ab 12 Uhr mittags bietet er ein täglich wechselndes Hauptgericht, dabei wird quer durch die Küchen dieser Welt gekocht, von Gemüse-Frikadellen bis Chili con Carne, von grünem Curry bis Gnocchi mit Pesto. „Viele meiner Gäste kommen schon seit Jahren, und neue Kunden finden sehr oft auf Empfehlungen zu uns. Eine größere Auszeichnung für unsere Arbeit gibt es kaum“, zeigt sich Hans Petersen zufrieden.

Ein Stück Heimat

Während er in ganz Westeuropa nach Spezialitäten Ausschau hält, konzentriert sich Luisa Giannitti ausschließlich auf Italien. Sie ist in Neapel aufgewachsen, bevor es sie nach Berlin zog. Und weil sie hin und wieder die Sehnsucht nach der Heimat überkam, hat sie einfach 2013 ein italienisches Catering mit dem pragmatischen Namen Luisa kocht gegründet und 2017 in Prenzlauer Berg einen Feinkostladen dazu eröffnet. „Mein Laden ist ein Ort zum Wohlfühlen, Probieren und Genießen. Hier gibt’s frische Pasta, fluffigen Pizzateig, würzige sechs Stunden lang gekochte Sugi und krosse Focaccia aus dem Ofen, alles hausgemacht, alles 100 % authentisch. Auch unsere vielen anderen Produkte stammen größtenteils von kleinen Manufakturen im ländlichen Italien“, erzählt Luisa Giannitti, die regelmäßig in ihre alte Heimat reist, um den Produzenten ihrer Waren einen Besuch abzustatten.

„Viele meiner Stammkunden in Berlin kommen wegen des regelmäßig frisch importierten Käses und der Auswahl an feiner italienischer Salami. Aber natürlich sind die Pizzateig-Rohlinge ganz besonders gefragt“, lacht die sympathische Neapolitanerin, die auch gerne kulinarische Sonderwünsche ihrer Kunden erfüllt. „Auf Vorbestellung füllen wir unsere Ravioli mit Büffelricotta und Zitronenraspel, mit Fleisch und mediterranen Kräutern oder mit saisonalem Gemüse.“ Entdeckt sie auf ihren Italien-Reisen neue Produkte, lädt Luisa Giannitti auch schon mal spontan zu einem Verkostungsabend in ihren Laden und zaubert in der Küche hinter dem Verkaufsraum einmal mehr Bella Italia auf die Teller.

 

Köstliche Handarbeit

Ausschließlich Produkte kleiner Manufakturen zu verkaufen, ohne selbst Hand anzulegen, war auch Helge Hagemann und Steffen Burkhardt zu wenig. „Wir sind Köche, leidenschaftliche Köche“, sagen sie, „darum war es uns wichtig, aus Lebensmitteln auch etwas entstehen zu lassen.“ In der Alten Schmiede Ottensen in Hamburg haben sie gemeinsam mit Elisabeth Mack-Schoell einen Ort geschaffen, der Feinkostladen, Treffpunkt sowie Koch- und Gaststätte in einem vereint. Hier werden hochwertige Lebensmittel von regionalen Produzenten und viel Selbstgemachtes verkauft, dazu Kochkurse abgehalten und jeden Monat drei Tage lang zum Schmiede-Dinner groß aufgetischt.

„Die Mischung ist das Besondere“, sagt Steffen Burkhardt. „Zu uns kommen Menschen, die genau wissen möchten, woher die Lebensmittel kommen, die sie kaufen, und wer sie produziert. Dann kommen Menschen, die mehr über das Kochen spezieller Produkte lernen wollen, zum Beispiel von Fisch und Meeresfrüchten, wie man fermentiert oder perfekte Fonds und Saucen zubereitet. Und schließlich kommen auch solche, die einfach nur genießen möchten.“ Im Feinkostladen, so erzählt er, sind momentan Miso, Kimchi und Salzzitronen stark nachgefragt, dazu gereifter schwarzer Knoblauch und Produkte, die Gerichten einen speziellen Kick geben, wie Öle aus gerösteten Saaten, Spezialessige, Gepickeltes, Senfe und Pasten. „Unsere fünfgängigen Schmiede-Dinner sind auf 20 Personen beschränkt und unsere Gäste erfahren nur, mit welchen Zutaten gekocht wird, aber die Zubereitungsart sehen sie erst beim fertigen Gericht auf ihrem Teller. Alle sitzen an einer langen Tafel und der Überraschungsmoment beim Servieren bietet natürlich viel Gesprächsstoff, sodass auch unter Gästen, die sich nicht kennen, das Eis schnell bricht und alle einen schönen und genussvollen Abend verbringen.“

 

Feines veredelt

Die kulinarische Dreifaltigkeit aus Greißlerei, Restaurant und Kochkursen findet auch bei den Gästen von Familie Essig in Oberösterreichs Landeshauptstadt Linz großen Anklang. Georg Essig zählt seit Jahrzehnten zu den besten Köchen des Landes, wurde vielfach ausgezeichnet und hat gemeinsam mit seiner Frau Cornelia das Angebot über all die Jahre sukzessive erweitert. Mit der ans Restaurant angeschlossenen Edelgreißlerei bietet er seinen Gästen die Gelegenheit, seine Kochkunst auch zuhause zu genießen. Fein säuberlich in Regale geschlichtet, finden sich hier verschiedene Sugi von Kalb, Rind, Lamm und Gemüse, zahlreiche Jus und Saucen sowie „Fertiggerichte“ wie Rindsgulasch, Kalbsragout, Rindsrouladen, Fischsuppe oder Karotten-Ingwersuppe. Dazu werden Nudeln, Öle, aromatische Salze, Schokolade, Edelbrände und viele weitere Produkte aus eigener Produktion und von sorgsam ausgewählten Lieferanten geboten.

Tante Emmas Erbe liegt also in guten Händen. Auch weil der Wandel der Zeit es mit sich bringt, dass die Menschen wieder mehr Bewusstsein für die Qualität von Lebensmitteln entwickeln. Wer dazu Geschichten zu erzählen weiß, von den Produkten, die er verkauft, wird seine Kunden überzeugen. Und wer sie auch noch erfahren lässt, wie diese Lebensmittel schmecken, der erobert ihre Herzen im Sturm. 

„UNS WAR ES WICHTIG, AUS UNSEREN LEBENSMITTELN AUCH ETWAS ENTSTEHEN ZU LASSEN.“ (HELGE HAGEMANN, ALTE SCHMIEDE OTTENSEN, HAMBURG)

Konzepte

//
Petersen

Frankfurt

Wer in den Supermarkt geht, ist selber schuld. Hier bei Petersen im Frankfurter Westend gibt es alles, was das Genießerherz begehrt. Sorgsam ausgewählt und persönlich verkostet, um nur ja die allerbeste Qualität bieten zu können. Im Feinkostladen genauso wie im kleinen Restaurant. So macht man Kunden glücklich.

 

//
Augora Fermente

Wien

Fermentierte Lebensmittel – that’s it. Scheint auf den ersten Blick ein ziemlich radikaler Ansatz für eine Greißlerei zu sein, aber bei genauerer Betrachtung macht das richtig Sinn. Und ganz viel Spaß. Denn fermentierte Produkte sind deutlich bekömmlicher und setzen Aromenspiele frei, die unser Gaumen bislang so noch nicht kannte. Die Community wächst rasant. Extrem angesagt.

 

//
Heu & Gabel

Wien

Nomen est omen, hier kommen praktisch alle Produkte von Bauern und kleinen Produzenten aus der Region, größtenteils sogar in kontrollierter Bioqualität. Den Kunden gefällt nicht nur die Vielfalt und Qualität der Produkte, sondern auch die Möglichkeit, diese gleich vor Ort im Stadtheurigen zu genießen. Mittags werden die Plätze rar und wer zum freitäglichen Dinner kommen möchte, sollte unbedingt rechtzeitig reservieren.

 

//
Essig’s

Linz

Delikatessen und delikat essen – hier bei Familie Essig in Oberösterreich gibt’s beides auf einmal. Das seit vielen Jahren mit Hauben gekrönte Restaurant hat in den letzten Jahren eine Edelgreißlerei dazubekommen, wo der Chef des Hauses einige österreichische Klassiker für die Take-away-
Gäste in Einmachgläser gefüllt hat. Weitere hausgemachte Spezialitäten wie Nudeln, Öle, Aromasalze sowie eine erlesene Wein- und Champagnerauswahl runden das Angebot ab.

 

//
Alte Schmiede

Hamburg

Akribisch geordnete Einmachgläser und nach Größen sortierte Flaschen und Packungen in den Regalen zeugen von einem Hang zur Perfektion. Den braucht es aber auch, um bei dem reichhaltigen Angebot in der Alten Schmiede Ottensen nicht den Überblick zu verlieren. Hier befindet sich nicht nur ein Feinkostladen mit viel Selbstgemachtem, sondern auch eine Gaststätte für unterhaltsame Dinnerabende und eine Küche für spannende Kochkurse.

 

//
Luisa Kocht

Berlin

Was macht eine Neapolitanerin in Berlin? Na klar, sie macht Pizza. Und Pasta. Und Sugo. Und Focaccia. Und vieles mehr. Diese Mischung aus italienischem Delikatessenladen und Cucina della Mamma mit Köstlichkeiten aus allen Teilen des Landes lässt niemanden kalt. Ein kulinarischer Kurzurlaub mitten im Prenzlauer Berg.

 

„VIELE MEINER STAMMKUNDEN KOMMEN WEGEN DES FRISCH IMPORTIERTEN KÄSES UND DER FEINEN ITALIENISCHEN SALAMI.“ (LUISA GIANNITTI, LUISA KOCHT, BERLIN)

Interview

„Schimmel ist schön!“

Alexandra Liberda ist Spezialistin für Fermentation und hat 2021 ihr AUGORA FERMENTE eröffnet, ein Feinkostladen mit Restaurant, in dem sich natürlich alles um fermentierte Lebensmittel dreht.

Warum haben Sie sich auf Fermentation spezialisiert?

Weil ich lernen musste, geduldiger zu sein. Fermentation ist nichts, was man schnell mal in den Topf wirft und sofort ein Ergebnis hat. Auch ist man nicht immer zu 100 % Herr der Lage. Bakterien, d.h. lebende Organismen machen die eigentliche Arbeit. Es ist ein bisschen wie mit Kleinkindern. Man darf ihnen beim Wachsen zusehen, man darf liebevoll helfen … aber schlussendlich haben sie ihren eigenen Kopf und man ist gut beraten, es mit Verstehen zu versuchen, statt sich dagegenzustemmen. Dass es dann gut schmeckt und bekömmlicher ist, dass es Lebensmittel haltbar macht und Zucker reduziert, sind wunderbare Zusatz-Add-Ons. Sprich, das Thema wendet sich an Gourmands und gesundheitsbewusste Menschen oder solche, die es werden müssen (Stichwort: Verdauungsprobleme) gleichermaßen.

Hatten Sie Bedenken bei der Eröffnung Ihrer Greißlerei?

Ich war mir sehr unsicher, wie die Menschen dem Thema Fermentation gegenüberstehen. „Unpasteurisiert“, Bakterien und auch mein Motto „Schimmel ist schön“ sind ja nicht ausschließlich positiv besetzt. Aber im Endeffekt war ich sehr überrascht, wie viel Bewusstsein bereits vorhanden ist. Die Menschen suchen diese Produkte sehr gezielt. Freilich leisten wir auch viel Aufklärungsarbeit. Die gängigste Frage ist: „Wenn das mal offen ist, wie lange hält es?“ … Die Antwort: „Genauso lange, als hätten Sie es nicht aufgemacht.“ Fermente ticken anders. Sie sind wie wir auch, sie werden nicht schlechter, sondern nur reifer.

Worauf legen Sie besonderen Wert in Ihrer Arbeit?

Wir produzieren ganz viel selbst. Die Rohstoffe kaufen wir bei kleinen, uns persönlich bekannten Produzenten und verarbeiten diese dann in unserer Küche. Das ist viel Handarbeit und macht viel Mühe, bringt aber auch sehr viel Freude mit sich. Weil ja dadurch auch die Wertschätzung der Nahrungsmittel eine ganz andere wird. Zero Waste und Nachhaltigkeit ergeben sich da fast automatisch. Und diese Nähe zum Produkt kann man seinen Kunden viel besser vermitteln, wenn man weiß, wo es herkommt und wie viel Arbeit darin steckt.

Was ist Ihren Kunden besonders wichtig?

Ganz klar, dass wir unsere Produkte selbst herstellen, in der Greißlerei genauso wie im Restaurant. Was seit vielen Jahren in der Gastronomie relevant ist, nämlich „Wer hat’s gekocht?“, das wird auch in der Lebensmittelproduktion an Bedeutung gewinnen. Die Entanonymisierung zum Produzenten ist ein Kernthema.

Unterscheiden sich Greißlerei-Kunden von den Restaurant-Gästen?

Im Restaurant haben wir sehr viele Stammkunden, die mehrmals in der Woche kommen, obwohl wir in unserer Ausrichtung ja sehr speziell sind. In der Greißlerei ist das Publikum breiter gemischt, aber wir sehen, dass das Thema Fermentation in allen Altersgruppen angekommen ist. Unsere Starterkulturen, mit denen man zuhause fermentieren kann, sind besonders gefragt, und wir nehmen uns viel Zeit, unsere Kunden ausführlich zu beraten, damit sie zuhause beim Fermentieren erfolgreich sind.

Vielen Dank für das Gespräch! 

 

ALEXANDRA LIBERDA

Der berufliche Werdegang der gebürtigen Oberösterreicherin birgt so einige überraschende Wendungen. Nach der Matura schloss sie ein Archäologiestudium ab, um später in die Tele-
kombranche zu wechseln. Zwei Welten, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten und die
Alexandra Liberda beide langfristig nicht zufrieden stellten. Also vertraute sie auf ihr tiefstes
Inneres und widmet sich seitdem leidenschaftlich der Fermentation. Nach einigen Pop-ups eröffnete sie im April 2021 in Wien ihr Augora Fermente, eine Greißlerei für fermentierte Lebensmittel mit angeschlossenem Restaurant.

Schließen

Klicken Sie Enter um zu starten oder ESC um zu beenden.