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Family Business

Edinburgh hat bezogen auf seine Einwohner mehr Lokale als alle anderen britischen Städte. Das liegt am Tourismus und an genialen heimischen Produkten. Aber auch daran, dass hier viele innovative Köchinnen mit Partner oder Familie den Sprung ins Restaurant-Geschäft wagen.

Im August brennt in Edinburgh die Luft.  Denn noch bis Ende des Monats bringt „The Fringe“ die Straßen im mittelalterlichen Zentrum der schottischen Hauptstadt mit Musikern, Clowns, Artisten und Performern aller Art zum Brummen. Rund um die Royal Mile und die Princess Street spielen allein 500 Straßenmusiker zum 75. Jubiläum des weltweit größten Kulturfestivals auf. Über 50.000 Aufführungen und weit mehr als 3.000 Shows gehen sich in den 25 Tagen in den Theatern, Konzertsälen, Kirchen, Clubs und Wohnzimmern der Metropole an der Nordsee bis dahin aus. Die über eine Million verkauften Karten dafür illustrieren, welch enorme Bedeutung der Tourismus für die Stadt vor allem im Sommer hat.

In den letzten zehn Jahren hat sich Edinburgh zum Gästemagnet vor allem für amerikanische Touristen entwickelt. Entsprechend hart wurde die Gastro von den Lockdowns getroffen, erzählt Tom Kitchin, der Star der heimischen Kochszene: „Die letzten zwei Jahre waren für die kleinen Bars und Restaurants sehr hart. Es war zwar nett, die Schönheit der Stadt für sich zu haben. Aber wir alle brauchen den Tourismus.“ Dieses Jahr ist der alte Fringe-Hype endlich zurück. Davon profitieren vor allem die Bars und Pubs in der Altstadt. Wer nicht gleich die erstbeste Gelegenheit nutzt, um sich die trockene Kehle mit Ale zu benetzen, kann bei einer kleinen Erkundungstour köstliche Entdeckungen machen. Denn Schottland ist nicht nur eine Brenner-, sondern auch eine Braunation. Mit Brewdog kommt die weltweit wohl erfolgreichste unabhängige Craftbeerbrauerei aus Ellon etwa drei Stunden nördlich von Edinburgh. Biere wie das „Punk IPA“ kann man also selbstverständlich längst bei den beiden Ablegern der Brewdog-Kette in der schottischen Hauptstadt trinken.

"Wir alle hier in der Gastronomie in Edinburgh brauchen den Tourismus"(Tom Kitchin, Eigentümer & Koch, Kitchin Restaurant Group, Edinburgh)

Craftbeer all over

Viel spannender als die durchgestylte Systemgastro sind aber die kleineren Pubs und Craftbeer-Bars. Das Cloisters in der Brougham Street rühmt sich etwa, eine „Real Ale Sanctuary“ zu sein. Denn es ist in einem alten Kloster untergebracht. Dort rinnen neun Cask-Ales und 10 Keg-Beers von Klein- und Kleinstbrauereien aus der handbetriebenen hydraulischen Zapfanlage. Bei Bedarf erklärt das Barpersonal auch, was der Unterschied zwischen Ale und Keg ist. Echtes Ale fülle die Brauerei ohne Filtration oder Pasteurisation direkt ins Fass ab, klären sie auf. Erst im Keller des Pubs komme es darin zu einer zweiten Fermentation, bei der die fruchtige Resthefe dafür sorgt, dass sich das Bier geschmacklich weiterentwickelt und sich eine ganz sanfte Kohlensäure bildet. „Die ist für Ale, was die Methode Champenoise für den Wein ist“, grinst der Barchef selbst über den treffenden Vergleich. Weil dieser Reifeprozess direkt im Pub passiert, ist es also auch nicht egal, wo man sein Pint trinkt. Keg-Biere kommen schon mit Kohlensäure versetzt in unter Druck stehenden, gekühlten Fässern ins Haus und verändern ihren Geschmack nicht mehr. Viele moderne Craftbiere werden heute so abgefüllt.

Davon, dass sie deswegen nicht schlechter sind, kann man sich im The Hanging Bat überzeugen. In den kargen Räumen hat man sich voll dem Craftbeer verschrieben und betreibt sogar eine eigene Mini-Brauerei. Dazu werden die Erzeugnisse von Braukollegen aus Schottland und der ganzen Welt in einer Vielfalt angeboten, die man selbst in Großstädten hierzulande nicht finden wird. Die Begeisterung für handwerklich gebrautes Bier ist damit eine der Besonderheiten der Gastroszene der Stadt. Denn neben dem Hanging Bat und dem Cloisters gibt es mit der Fierce Bar oder dem Salt Horse noch viele weitere Spezial-Lokale dafür.

Edelmalt trifft Pubküche

Schon wesentlich länger ist Schottland für seinen Whisky berühmt. Wer sich durch die Erzeugnisse verschiedener Regionen kosten möchte, sollte das am besten in der Bow Bar in klassischem Pub-Ambiente tun. Mehr als 300 verschiedene Whiskys stehen dort in den rustikalen Regalen. Wie ernst man sich hier mit dem hochprozentigen Edelgetränk auseinandersetzt, zeigt, dass eine Labor-Pipette auf der Bar liegt. Denn nur damit könne man seinem in Jahrzehnten perfekt gereiften Whisky die genau richtige Menge Wasser hinzufügen, meint die nette Barkeeperin.

Das Essen in diesen typischen Pubs liefert den Kontrapunkt zu der den Getränken entgegengebrachten Sophistication. Auf den Karten finden sich meist rustikale schottische Klassiker wie Fish & Chips, Sandwiches, verschiedene Meat Pies oder das Nationalgericht Haggis mit Neeps & Tatties. Dafür werden Herz, Leber und Lunge eines Schafs zu Faschiertem verarbeitet und mit verschiedenen Gewürzen im Magen des Tieres gar gekocht. Als Beilagen dient ein großer Klecks Püree aus Steckrüben und einer aus Kartoffeln.

Dass solche Hausmannskost schon lange nicht mehr das Ende der kulinarischen Fahnenstange in Edinburgh markiert, ist zwei Köchen am anderen Ende der Stadt zu verdanken. Tom Kitchin und Martin Wishart haben mit ihren Lokalen schon vor fast 20 Jahren das Potenzial des alten Hafen- und Arbeiterbezirks Leith direkt an den Ufern der Nordsee erkannt. Früher ein rauer, stark industriell geprägter Ort für Seeleute und Hafenarbeiter, ist er heute das Epizentrum einer neuen schottischen Küche und unzähliger hipper Lokale.

Die Natur am Teller

Martin Wishart steht dabei mit seinem Sternelokal und Lehrmeistern wie Albert und Michel Roux eher für die französische Fine-Dining-Tradition. Kitchin dagegen für ein experimentelleres Kochen mit noch stärkerem Fokus auf die Produkte der Region. Während Wishart für sein Menü auch manch edle Zutat einfliegen lässt, galt in The Kitchin, dem Restaurant des schottischen Vorzeigekönners und seiner Frau Michaela, schon immer das Credo, ausschließlich mit heimischen Produkten zu arbeiten. Und davon hat die Speisekammer des Landes im Überfluss: Fleischig-saftige Miesmuscheln kommen direkt von den Shetland-Inseln, die Jakobsmuscheln werden aus den Gewässern vor der Küste Orkneys getaucht, Fisch direkt in der Nordsee gefangen und Lamm, Schwein sowie Rind in den Highlands gezüchtet. Dazu wachsen wilde Kräuter und Salate auf den Hügeln rund um die Großstadt und Seetang sammeln Kitchins Lehrlinge einfach am Stadtstrand von Portobello. Ein Schlaraffenland.

Der Meister übersetzt diese Vielfalt in Gerichte wie seinen berühmten Jakobsmuschel-Starter, bei dem die per Hand geerntete Muschel in ihrer Schale in einer Sauce aus Vermuth, Weißwein und einer Vielfalt regionaler Kräuter gegart wird. Spannend ist auch eine Kombination aus Fleisch vom Schweinskopf mit gebratenen Langustinen-Schwänzen aus Tobermory. Diese abgefahrene Surf-and-Turf-Variante wird noch von regionalen Salaten mit knusprigem Schweinsohr-Streifen-Topping ergänzt. Ungewöhnlich gut. Noch ein Hauptgang? Wie wäre es mit vom Balcaskie Estate geliefertem Hammelfleisch mit Biosteckrüben, einer Kartoffelterrine und einer Rüben-Salsa-Verde? Es ist wenig überraschend, dass Kitchin anfangs Sorge hatte, dass die Gäste seine kulinarische Welt nicht verstehen würden. „Ich habe damals für diesen Ansatz gebrannt und mich mit Michaela voll auf schottische Produkte und eine neue Küchenlinie eingelassen. Den Gästen gefiel es zum Glück und heute gibt es viele Restaurants, die ihre eigenen Wege gehen“, erzählt er.  

Kitchins Beispiel illustriert dabei neben dem Fokus auf die Nature-to-Plate-Philosophie eine weitere Besonderheit der Gastro in Edinburgh: Überdurchschnittlich viele Köche und Gastronomen der Stadt bringen den Mut auf, sich gemeinsam mit dem Partner oder mit der Unterstützung der Familie selbständig zu machen. Ein schönes Beispiel dafür ist das Timberyard.

Inspiration Skandinavien

Familie Radford hat für ihr Lokal ein über 800 Quadratmeter großes, altes Holzlager im Stadtzentrum in einen urbanen Hangout im Industriechic umgebaut: hohe Holzdecken mit wuchtigen Balken, rohe Holztische und ein vernarbter Dielenboden im Urzustand. Dazu filigrane Stahlrohr-Sessel, gemütliche Shabby-Chic-Sofas und eine von Skandinavien beeinflusste, super saisonale Küche: Das sind die Ingredienzen für das Erfolgsrezept. „Ben wollte sowieso Koch werden“, erzählt Vater Andrew Radford über den Anfang des Familienprojekts: „Er wurde sicher auch davon beeinflusst, dass meine Frau Lisa und ich schon seit fast 40 Jahren in Edinburgh Restaurants führen. Unsere Tochter Abi war dagegen früh begeistert von Kunst und Fotografie. Heute macht sie die Food-Aufnahmen und das Marketing für uns. Und unser jüngster Jo hat eigentlich Psychologie in Glasgow studiert, interessiert sich aber sehr für Natural Wine. Also kümmert er sich jetzt um den Keller und die Bar“, lacht der stolze Vater.

Die lockere, familiäre Stimmung überträgt sich auch auf den Gastraum. Sicher einer der großen Vorteile des Konzepts. Der andere ist die Küche von Andrews Sohn Ben. Wie viele junge Köche Edinburghs ist auch er von den Innovationen der nordischen Küche beeinflusst: „Wir kochen saisonal und bekommen fast alles aus Schottland. Beim Küchenstil lassen wir uns außerdem gerne von der nordischen Gastrowelt inspirieren. Durch ihr Vorbild ist uns allen bewusster geworden, welche Vielfalt an Produkten es direkt vor unserer Haustür gibt. Auch bei den Kochtechniken gibt es große Ähnlichkeiten, weil unser Klima vergleichbar ist. Deswegen haben wir zum Beispiel in Schottland ähnliche Methoden, um Lebensmittel haltbarer zu machen“, meint er.

Dieser Ansatz hat gerade jetzt auch ökonomische Vorteile, meint Vater Andrew: „Ich glaube, durch die aktuellen Entwicklungen werden die Menschen wieder etwas weniger Geld für Essen ausgeben wollen. Es wird noch etwas lockerer und zugänglicher werden, aber trotzdem mit dem Anspruch, ein außergewöhnliches Lokalerlebnis zu haben.“

Lockere Hochküche in Leith

Genau in diese gastronomische Richtung entwickelt sich derzeit viel in Edinburgh, vor allem in der Gegend rund um den angesagten Leith Walk. Etwa in den beiden Lokalen des Ehepaares Roberta und Shaun Hall-McCarron. Die zwei haben sich mit ihrem Little Chartroom eine loyale Fanbasis aufgebaut, die schätzt, dass ihre Hochküche in lockerem Ambiente ohne Fine-Dining-Allüren serviert wird.

Taubenbrust auf pochierten Quitten-Streifen mit Mandel-Crumble zum Beispiel. Dank des Erfolgs dieses Konzepts mit nur 18 Sitzplätzen hat das Ehepaar kürzlich zusätzlich das Zweitlokal Eleanore aufgesperrt. Hier lässt Roberta nun mit Gerichten wie gepökelter Makrele mit rosa Rettich, gesalzenen Stachelbeeren und der japanischen Würzsauce Ponzu die Geschmacksknospen ihrer Gäste tanzen.

Spannend ist auch das Aurora von Kamil Witek gleich in der Nähe. Mit seinem sehr fair bepreisten Sieben-Gänge-Menü für 52 Pfund lädt der junge Pole auf eine kulinarische Reise rund um den Globus ein. Damit liefert er einen schönen Kontrast zum sonst fast allgegenwärtigen Fokus allein auf Regionalität. So gibt es bei ihm etwa Zlikrofi, eine slowenische Abart des Raviolo, der etwas dicker ist als die italienische Pasta. Gefüllt wird er mit Kartoffeln und Guanciale-Speck und dann mit italienischem Montasio-Käse getoppt. Dazu gibt es eine Petersilsauce, etwas Puder von fermentiertem Knoblauch und zerstoßene Grisini-Stangen.

Wem das zu abgefahren ist, der kann auch einfach bei Alby´s ums Eck ein Sandwich essen gehen. Doch sogar die haben nichts mehr mit den pappigen britischen Klassikern zu tun. Auf den Squares aus feinstem Focaccia-Brot liegen beispielsweise mutig gewürzte Blumenkohl-Pommes auf Harissa-Hummus mit Sumac-Zwiebeln. So geht´s auch.

Gastro-Profis aus Österreich und Deutschland auf der Suche nach Inspiration sollten einen Besuch in Edinburgh deshalb fix auf ihre Bucket-List nehmen. Nicht nur wegen „The Fringe“ im August.

"Beim Küchenstil lassen wir uns von der nordischen Gastrowelt inspirieren."(Ben Radford, Chefkoch, Timberyard, Edinburgh)

3 Konzepte

Best of Edinburgh

01 - HENDERSONS VEGGIEKÜCHE MIT TRADITION

Das Hendersons ist nicht irgendein Restaurant. Als es Janet Henderson 1962 gründete, war es eines der ersten vegetarischen Lokale in Europa. Zu Beginn wollte sie nur die Produkte ihrer Farm in East Lothian verkaufen und mit ihren Gerichten einen gesunden Lebensstil propagieren. Ab den 70ern war das Hendersons dann Kult und die Gäste standen Schlange. Als es 2020 wegen der vielen Lockdowns schließen musste, schien deshalb eine ganze Ära zu Ende zu gehen. Doch dann übernahm Neffe Barrie von Vater und Tante und eröffnete mit adaptiertem Konzept neu. Er und seine deutsche Lebensgefährtin Clara überarbeiteten die alten Re - zepte und punkten mit neuen Gerichten. Etwa dem veganen Haggis, bei dem die Masse nicht aus Schafsinnereien, sondern aus pfeffrig gewürzten Haferflocken und Möhren besteht. Das habe viel mehr Finesse als das Original, meint dazu Clara.

 

02 - SCRAN & SCALLIE GASTROPUB NEU GEDACHT

Was passiert, wenn sich zwei Topköche ein Pubkon - zept ausdenken, kann man sich im Scran & Scallie in Edinburghs mondänem Stadtviertel Stockbridge anschauen. Tom Kitchin zeigt dort gemeinsam mit Dominic Jack, wie sie sich zeitgemäße und qualitativ hochwertige Pubküche vorstellen. Da kommen dann schon mal Lobster-Ravioli oder ein Makrelen-Ceviche als Vorspeise an den Tisch. Aber natürlich gibt es auch die Klassiker Fish & Chips und den berühmten Steak Pie mit Markknochen, den die eher wohlhabenden Gäste hier so lieben. Nur eben auf einem Qualitätsniveau, das seinesgleichen sucht. Michaela Kitchin gibt dieser Küche mit ihrem Lokaldesign den richtigen Rahmen. Viel warmes Holz, trotzdem aufgeräumter Look, ein bisschen Tweed hier, ein bisschen Schottenstoff da. Fertig.

 

03 - BREWDOG CRAFTBEER HYPE-BUDE

Die Brauerei aus dem hohen Norden Schottlands ist mittlerweile selbst in Österreich und Deutschland ein Begriff. In Berlin betreiben die Craftbeer-Shootingstars ein eigenes Brauhaus und in Wien gibt es den Verkaufsschlager Punk IPA mittlerweile sogar in ausgewählten Supermärkten. Viel authentischer geht es in den beiden Hipster-Trinkhallen in Edinburgh zu. Sie gehören zu einem Netz an Bars, das sich mittlerweile über ganz Großbritannien spinnt. Wer sich als Gastronom anschauen möchte, wie Craftbeer als Lokalkonzept auch mit einem Systemgastro-Ansatz authentisch funktioniert, sollte also in den Filialen in Cowgate, der Lothian Road oder in der New Street vorbeischauen. In coolem Ambiente rinnt dort nicht nur das eigene Craftbeer aus 24 Hähnen, sondern z. B. auch Weihenstephaner Hefeweizen. Dazu gibt es eine Speisekarte, die zur Hälfte vegetarisch oder vegan ist, und sogar ein Kidsmenü. Diese Engländer!

Interview

„Es ist wieder aufregend in Edinburghs Gastro.“

Tom Kitchin ist mit seinen Restaurants einer der Vorreiter der Farm-to-Table Philosophie in Edinburgh. FRISCH erzählt er von seinem gerade neu eröffneten Restaurant, herrlichen Produkten und dem Comeback des Tourismus.

Sie haben gerade ein neues Restaurant eröffnet. Gratulation! „A Celebration of Scotland’s land and sea“ ist der Anspruch des KORA. Wie füllen Sie diesen Claim mit Leben?

Regionale, saisonale Produkte von heimischen Produzenten auf den Teller zu bringen, ist die Philosophie hinter all meinen Restaurants. Wir machen das schon, seit ich vor 16 Jahren The Kitchin eröffnet habe. Heute können wir auf ein Netzwerk wirklich hervorragender Lieferanten und Partner zurückgreifen, die uns auch im KORA mit den besten schottischen Produkten versorgen. Dort wollen wir aber ein zugänglicheres Konzept anbieten als in The Kitchin. Die Gäste sollen auf einen Drink an der Bar genauso gern zu uns kommen wie für den Lunch am Wochenende oder ein Treffen mit Freunden.

Können Sie schon verraten, wie sich dieser Ansatz in der Speisekarte widerspiegelt?

Als Starter haben wir beispielsweise eine Art Gazpacho aus schottischen Tomaten und dem hervorragenden heimischen Thistly Cross Apfel-Cider, wozu wir sehr fleischige Miesmuscheln von den Shetland-Inseln und Bratkartoffeln servieren. Gerne bestellen unsere Gäste auch die Jakobsmuscheln, die Taucher direkt vor der Küste der Orkneys ernten. Wir sind gesegnet mit besten Meeresfrüchten und Fischen direkt vor unserer Haustür. Aktuell ist beispielsweise Seetang-Erntezeit. Wir können ihn einfach am Strand vor unserem Restaurant in East Lothian einsammeln. Wahrscheinlich gibt es auch wegen dieser Produktvielfalt und Qualität so viele gute Restaurants in Edinburgh.

Für seine Rinder- und Lammzucht ist Schottland ja auch schon lange weltweit berühmt, oder?

Sicher. Wir arbeiten zum Beispiel mit „Highland Wagyu“ in Perthshire, das 2011 als kleines Unternehmen von Moshin Altajir und Martine Chapman gegründet wurde und mittlerweile das beste Wagyu in ganz England anbieten kann. Auch das Aberdeen Angus und das Highland Cattle sind hervorragend. Wir haben zum Beispiel ein Gericht mit Wagyu-Wade und Koffmann´s Skinny Fries auf der Karte. Unsere Gäste lieben es.

Das klingt alles ziemlich edel. In Ihrem Restaurant-Portfolio gibt es auch ein Gastropub. Welches Gericht ist für Sie selbst typisch schottisch?

Ein Steak Pie mit einem großen Mark-Knochen in der Mitte. Wir braten dafür das beste schottische Rindersteak kurz an, schmoren es dann mit Rotwein und einem Craftale von der Isle of Skye und backen die Masse schließlich mit einem Teigmantel im Ofen. Herrliches schottisches Comfort Food, bei dem das Mark des Knochens den Extrakick gibt. Wir haben mal versucht, es von der Karte zu nehmen. Aber die Gäste wollten es sehr schnell zurück.

Sie sind mit Ihren Restaurants wohl der profilierteste Koch in Edinburgh. Wie hat sich die Gastroszene in den letzten Jahren verändert?

Als wir vor fast 20 Jahren The Kitchin eröffnet haben, gab es zwar ein paar gute Restaurants. Aber einige Gerichte fanden sich eigentlich auf jeder Karte: Steak, Risotto, Lachs. Das Übliche eben. Ich war damals extrem nervös, weil ich mit diesem ungeschriebenen Gesetz brechen und es anders machen wollte. Aber ich habe für diesen Ansatz gebrannt und mich voll auf schottische Produkte und einen neuen Küchenstil fokussiert. Den Gästen gefiel es zum Glück und heute gibt es viele Restaurants und Köche, die ihren ganz eigenen Weg gehen.

Was haben Sie selbst mit ihrem Fine-Dining-Flagschiff The Kitchin noch vor?

Wir folgen jedenfalls keinen Trends, sondern kochen weiter mit den Jahreszeiten und den hervorragenden regionalen Produkten, die unsere Gerichte immer wieder auf ein neues Level heben. Wir sammeln Pilze, Bärenklau und wilden Knoblauch in freier Natur, ernten Seetang aus dem Meer und pflücken Löwenzahnblüten und schwarze Johannisbeeren auf den Wiesen der Highlands. Dazu gibt es das Fleisch spezieller Züchtungen von Lämmern und Schweinen, die uns unsere Farmer liefern. Das ist das ganze Geheimnis.

Noch gibt es sehr viele Köche in Edinburgh, die ihr eigenes Restaurant gründen, wie Sie damals. Wird das so bleiben?

Die letzten Jahre waren für die kleinen Bars und Restaurants sehr hart. Viele haben nicht überlebt. Umso wichtiger ist es, dass wir sie unterstützen. In den letzten sechs Monaten gab es wirklich viele Neueröffnungen. Es ist wieder aufregend, in der Gastro hier in Edinburgh tätig zu sein. Das stimmt mich positiv und ich freue mich auf die Zukunft.

In Österreich und Deutschland haben wir derzeit große Probleme, Mitabeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Wie ist die Situation in Edinburgh?

Leider ähnlich. Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Gastro zu begeistern, war im letzten Jahr auch für uns eine riesige Herausforderung. Wir müssen den Menschen wieder mehr zeigen, wie aufregend und spannend Gastroberufe sein können und welche großartigen Entwicklungsmöglichkeiten wir ihnen in unserer Industrie bieten können. Das ist in den letzten Jahren eindeutig zu kurz gekommen. 

Wie lösen Sie selbst diese Probleme ganz konkret?

Wir haben einerseits das Glück, dass wir bei der Kitchin Group ein extrem loyales Team haben. Viele unserer wirklich wichtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten schon sehr viele Jahre für uns. Das ist sicher außergewöhnlich. Andererseits haben wir den Vorteil, dass wir als Gruppe mehrere Lokale betreiben. Durch die Eröffnung des KORA haben wir jetzt zum Beispiel die Möglichkeit, unserem Kern-Team wieder neue Entwicklungschancen aufzuzeigen. Sie lernen wieder eine andere Küche kennen und es ergeben sich natürlich auch Aufstiegsmöglichkeiten. Außerdem stoßen wieder neue Gesichter zu uns. Das hält die Motivation hoch. Trotzdem war es in letzter Zeit nicht einfach, Servicepersonal und Köche zu finden, da muss ich ehrlich sein.

Hängt das auch mit den Restriktionen bei den Arbeitsgenehmigungen für EU-Bürger im Zuge des BREXIT zusammen?

Bitte verstehen Sie, dass ich zu solchen politischen Themen lieber keine Stellung beziehe.  

Viele erfolgreiche Gastronomen arbeiten eng mit Schulen zusammen, um Mitarbeiter zu finden. Ist das ein Ausweg?

Auch wir versuchen, so viel wie möglich mit Colleges und den hiesigen Universitäten zu kooperieren. Ausbildung ist für unsere Gruppe generell essenziell. Jeder soll sich bei uns weiterentwickeln können. Denn gerade jetzt brauchen wir wieder qualifizierte und motivierte Kolleginnen und Kollegen.  

Zieht denn der Tourismus wieder an?

Ja, endlich sind unsere internationalen Gäste wieder da! Es war zwar nett, die Schönheit der Stadt für einige Zeit für sich zu haben. Aber wir alle brauchen den Tourismus. Jetzt brummt die Stadt wieder und ich freue mich riesig, abends im Lokal unterschiedliche Sprachen zu hören und Gäste aus aller Welt auf eine kulinarische Reise durch Schottland mitnehmen zu können.

Mr. Kitchin, vielen Dank für das Gespräch!

 

Tom Kitchin

Das Ausnahmetalent ist mit seinem 2006 gegründeten Restaurant The Kitchin der jüngste mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Koch Schottlands. Ausgebildet wurde er im La Tante Claire in London unter Pierre Koffmann, im Guy Savoy in Paris sowie in Alain Ducasses Le Louis XV in Monaco. Heute betreibt er mit seiner Frau ­Michaela mehrere Lokale in Edinburgh.

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