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Gassen Gastro

Manchester hat harte Zeiten hinter sich. Doch Dank Gastro und Musikbusiness wandelt sich die ehemalige Industriestadt  zum spannenden Reiseziel. Nach den Sternen greifen zwar noch nicht viele Restaurants, dafür Entstehen völlig neue Konzepte, von denen man sich auch hierzulande sehr viel abschauen kann.  

Hier?! Schmutzig-gelbe Müllcontainer blockieren die Gehsteige der heruntergekommenen Soap Street auf beiden Seiten. Über den Köpfen hängen stählerne Feuerleitern von den Backsteinmauern und die Gasse ist so schmal, dass man sich unweigerlich fragt, ob die Container wohl jemals abgeholt werden können. Wäre nicht das dezent in die Straße ragende Schild, man würde das This&That nie finden. Für die Einwohner Manchesters ist das kleine Curry House eine Institution. Es wurde von Familie Essa aus Bangladesch am äußersten Rande des Northern Quarter bereits 1983 eröffnet.

Seine Inneneinrichtung spiegelt die harte industrielle Umgebung früherer Tage. Wasserrohre aus dem Baumarkt wurden zu Tischgestellen zusammengeflanscht und die meterlangen Holzplatten darauf machen abseits sitzen unmöglich. An diesen „Community Tables“ kommen Menschen aus allen Schichten zusammen, um „Rice and Three“ zu essen, das hier rund um die Uhr über die Theke aus Wellblech gereicht wird.

Das Gericht an sich ist denkbar simpel: Auf eine Kelle wunderbar fluffigen Reis werden drei verschiedene Curry-Varianten gekippt, die täglich frisch zubereitet werden. Lamm und Steckrüben etwa oder „Keema“, eine Variante mit Lammfaschiertem. Natürlich gibt es auch vegetarische Optionen mit Blumenkohl und Kartoffeln oder Daal mit Bohnen. Damit es nicht langweilig wird, wechseln die Gerichte täglich. Vor allem mittags ist der Laden voll und die Gäste holen sich ihr Essen wie in einer Werkskantine direkt am Tresen. „Das This&That ist nur ein Beispiel für die vielen Curry Houses hier in der Gegend“, erzählt Steven Pankhurst von Manchester´s Finest, einem Blog für die besten Geheimtipps in Manchester. „Jedes dieser Lokale hat über die Jahre aus Familienrezepten seinen eigenen, sehr individuellen Geschmack entwickelt. Hier im North Quarter gibt es noch viele weitere wie das Yadgars, das Kabana, das Aladdin oder das Café Marhaba.“

„JEDES CURRY HOUSE HAT AUS FAMILIENREZEPTEN EINEN SEHR INDIVIDUELLEN GESCHMACK ENTWICKELT.“(STEVEN PANKHURST, AUTOR & MITBESITZER, MANCHESTER´S FINEST, MANCHESTER)

Devise gut & leistbar

Wer diesen Curry Houses einen Besuch abstattet, versteht schneller, was die Gastroszene in der nordenglischen Stadt so besonders macht. Lange war die größte Industriemetropole des Landes im Niedergang. Das Essen musste also gut und das Angebot leistbar sein, um die Menschen zu überzeugen. Dazu kamen kulinarische Einflüsse aus den entlegensten Ecken des britischen Empire. Selbst eine China Town gibt es! Für die Entwicklung der Gastro wesentlich wichtiger: Die Unabhängigkeit Bangladeschs spülte ab 1971 eine riesige Migrationswelle vom Hafen Liverpool aus die wenigen Kilometer den Mersey River hinauf. Selbst heute werden deshalb drei Viertel der indischen Restaurants von Einwanderern aus Bangladesch geführt.

Die Auswahl an Lokalen mit authentisch indischer Küche ist riesig. Vom poshen Restaurant der Bollywoodsängerin Asha Bhosle bis hin zum gestreamlinten Gruppenkonzept Akbar´s. Besonders hip: Der lokale Ableger der Dishoom-Gruppe, die sich beim Storytelling und dem genialen Interior Design auf die iranischen Cafés im Bombay der 60er Jahre beruft. Vor allem das indische Frühstück dort ist der Renner. Naan Brot wird mit krossem Speck serviert, eine Bowl mit Bananenporridge toppen ein paar Datteln und statt schlichtem Rührei gibt es „Akuri“. Das ist ein Gericht aus der indischen Parsi-Küche, bei dem die Eier fast flüssig bleiben und die Köche das Hauptaroma von gebratenen Zwiebeln um verschiedene Gewürze wie Ingwer, Koriander, gehackte Chilis und schwarzen Pfeffer erweitern.

 

Craftbeer-Inder

Rein vegetarische Teller und Bowls wie diese sind schon viele hundert Jahre die ganz besondere Stärke der indischen Küche. In Manchester treffen sie auf eine junge, hippe Gastroszene, die aus der eigenen kulinarischen Herkunft und neuen Gastrotrends Konzepte baut, die hierzulande nur Staunen lassen. Ein Beispiel ist die Bundobust Brewery in der Oxford Street im Stadtzentrum. Sie ist der letzte Streich der beiden Gründer Mayur Patel und Marko Husak. Der eine ist Spross einer Gastrofamilie, die mit dem Parshad in Drighlington bereits seit vielen Jahren ein Toprestaurant betreibt, das die ausschließlich auf Gemüse basierende Küche des Bundesstaats Gujarati serviert. Der andere wanderte aus der Ukraine ein, arbeitete zuerst als Musikpromoter und eröffnete dann als einer der ersten in der Gegend eine erfolgreiche Craftbeer-Bar. Gemeinsame Pop-ups zeigten schnell: Craft Beer und spicy Gujarati Streetfood sind eine Killerkombi. Das erste Bundobust eröffneten die beiden bereits 2014 und entschieden sich damals sogar bewusst dagegen, es als vegetarisches oder veganes Konzept zu positionieren. „Wir wollten uns nicht in eine Schublade stecken lassen“, erklärt dazu Mayur Patel. „Manche Gäste werden abgeschreckt, weil sie glauben, ihnen fehlt dann etwas. Das hatte ich so zum Beispiel in Prashad öfter erlebt“, erinnert er sich. Mittlerweile ist das völlig anders. „Anfangs dachten wir, es wäre vielleicht ein Schwachpunkt im Konzept, dass wir keine Fleischgerichte haben. Aber heute ist es natürlich ein riesiger Vorteil.“

Und was für einer! Das Bundobust kommt unglaublich zeitgeistig daher, kann aber genauso mit Qualität und neuen Geschmackserlebnissen überzeugen. Beispiele gefällig? Wie wäre es mit gegrilltem milden Paneer-Käse mit Pilzen und in Tikka-Masala-Yoghurt marinierten Chilis? Dazu wird Ketchup mit rotem Pfeffer und Spinat-Chutney serviert. Oder vielleicht ein paar Okra-Fries? Das sind Okraschoten, die in einem Teig aus Kichererbsen ausgebacken und dann mit schwarzem Salz und Mangopulver eingestaubt werden. Dazu schmeckt die riesige Auswahl an Craftbeers gleich noch viel besser. Die hopfig-frischen Indian Pale Ales von lokalen Brauereien wie Cloudwater oder Track Brewing zum Beispiel oder Weizenbier und Belgian Triples. Als wäre diese Auswahl nicht schon groß genug, wird nun in der Brauerei direkt vor Ort auch noch selbst Hand angelegt. Biere wie das Peela Pale Ale, ein Chai Porter oder das Dhania Pilsner, ein Lager mit Koriander-Noten, sind perfekt auf die Speisen abgestimmt und erhöhen für die Macher gleich noch die Getränke-Marge.

Bemerkenswert auch hier: Das Bundobust ist kein teurer Bobo-Schuppen, sondern bleibt mit Bierpreisen ab 3,50 Pfund leistbar und zugänglich. Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Gastronomie in der Stadt zieht. So verwundert es auch nicht, dass es in Manchester so viele Foodhalls gibt. Society MCR rund um die Craftbeer-Brauerei Vocation etwa, den Klassiker Mackie Mayor im früheren Smithfield Market im Northern Quarter oder das Hatch, das mit seinen alten Schiffscontainern mit speziellem Charme punktet.

„DIE GÄSTE HIER PROBIEREN ALLE INTERNATIONALEN SPEISEN GERNE AUS.“(KASIA HITCHCOCK, MITEIGENTÜMERIN, THE SPÄRROWS, MANCHESTER)

3 KONZEPTE

Manchester Mix Up

1 – Exhibition

Drei Küchen, Ein Restaurant

So geht Gastro 2023! Das soeben eröffnete Exhibition testet ein völlig neues Konzept, bei dem sich drei inhabergeführte Restaurants ein großes Lokal in den Räumlichkeiten des alten Naturhistorischen Museums teilen. Die Speisekarte ist dabei so gestaltet, dass die drei Küchen zusammenarbeiten und sich die Gäste ihr Dinner aus drei unterschiedlichen kulinarischen Welten zusammenbauen können. Das Baratxuri nutzt etwa einen Rescoldo Holzgrill, um traditionell baskische Feuerküche auf die Teller zu bringen. Unter dem Namen Sao Paulo Bistro kreiert Caroline Martins brasilianisch-britische Fusion und das OSMA serviert skandinavisch beeinflusste Tapasteller. Dazu gibt´s Craftbeer, ein dickes Weinbuch und zwei (!) Cocktailbars. Nachts bucht auch noch Matt Ward von Piccadilly Records DJs und Livemusik. Wow.

 

2 – The Spärrows

Spätzle Supremos

Spätzle? In Manchester?! Es gibt Lokalideen, von denen man niemals glauben würde, dass sie funktionieren. Aber Kasia Hitchcock und Franco Concli beweisen mit The Spärrows, dass hoher kulinarischer Anspruch, Offenheit für Neues und Durchhaltevermögen sich auszahlen. Nachdem ein Knödelcafé in London nicht richtig funktionierte, servieren sie jetzt handgemachte Käsespätzle, Piroggi und sogar Tiroler Gulasch mit Knöpfle. Besonderer Dreh dabei: Kasia Hitchcock hat sich in Manchester zur Sake-Spezialistin entwickelt und festgestellt, dass der japanische Reiswein das perfekte Pairing zur zentraleuropäischen Pasta ist. Das kommt nicht nur bei den sehr experimentierfreudigen Gästen gut an. Der Guide Michelin hat sie kürzlich zum wiederholten Male mit einem Bib Gourmand ausgezeichnet.

 

3 – Bundobust

Hipsterparadies

Die Bundobust Brewery zeichnet alles aus, was gerade besonders angesagt ist. Am Tresen werden sowohl zig lokale als auch internationale Craftbiere gezapft und zustätzlich braut man vor Ort auch noch selbst. Eigenkreationen wie das Coriander Pilsner passen dabei perfekt zum Gujarati-Streetfood, das an die langen Gemeinschaftstische gebracht wird. Die würzige Küche des nordwestlichen indischen Bundesstaats harmoniert nicht nur perfekt mit all den Indian Pale Ales, Manak Cream Ales und Weizenbieren. Sie ist auch noch rein vegetarisch oder sogar vegan. Serviert werden Klassiker wie der Vada Pav, ein Burger mit frittiertem Bällchen aus Kartoffelpüree und verschiedenen Chutneys, oder die extrem beliebten Okra-Fries auf gebrandeten Tellern, Schälchen und Schüsselchen aus Speisestärke, die rückstandslos verrotten. Ein einzigartig stimmiges Konzept!

Interview

„Es ist einfach explodiert.“

Sam Buckley ist einer der Hoffnungs-träger der neuen britischen Küche. FRISCH erzählt er, wer ihn prägte und warum die Foodies zu ihm ins Where the Light Gets in pilgern.

Wie bist du zum Kochen gekommen, Sam?

Eigentlich habe ich zuerst Kunst studiert. Aber die Arbeit in der Küche war um einiges dynamischer und hat mich irgendwie angezogen. Also habe ich in den frühen 2000ern in einem der Bistros von Gary Rhodes angefangen. Gary hat mich gefördert und mir das Kochen auf Michelin-Niveau nähergebracht.

Paul Kitching und Simon Rogan waren auch Mentoren, oder?

Ja, Gary hat mir gezeigt, dass man mit seinen Tellern etwas ausdrücken kann, Paul war einfach nur furchtlos in seiner Kreativität und hat auf Regeln und Grenzen nichts gegeben. Da gab´s dann schon mal Gerichte wie Wolfsbarsch mit Toffee-Pudding. Kaum zu glauben, aber das hat sogar funktioniert. Und im L’Enclume bei Simon Rogan lernte ich Reduktion und Einfachheit schätzen. Wenn ein Rezept wirklich gut ist, kommt es auch mit wenigen Elementen aus. Das prägt mich heute noch. Ich lasse die Produkte möglichst für sich selbst sprechen.

Heute setzt du dieses Konzept im Where The Light Gets In in Stockport um. Warum gerade da?

Ein Freund hat mir eine alte Lagerhalle für Kaffee gezeigt. Zuerst war ich daran gar nicht interessiert. Natürlich wollte ich in London eröffnen und nicht in meiner Heimatstadt. Aber dann fand ich toll, wie viel Platz es dort für meine Ideen gibt. Das Restaurant und zusätzlich eine Weinbar und eine Bäckerei – das war dort alles möglich.

Aber du musstest erst umbauen, oder?

Oh ja. Ich hatte keine Investoren und keinerlei finanzielle Unterstützung. Ich habe mit meinen Freunden den Schutt in meinem Peugeot 207 sogar selbst zur Halde gefahren, um Kosten für einen Container zu sparen. Aber nach nur sechs Monaten konnten wir 2017 eröffnen.

Wie war die erste Zeit in der neuen Location?

Ich habe das zuerst ein wenig wie ein Pop-up gesehen. Ich kochte einfach, was mir gerade so einfiel und mit dem, was Saison hatte. Dann kam eine sehr gute Rezension von Marina O´Loughlin von der „Times“ raus und wir hatten auf einmal 1.500 Buchungen in nur drei Tagen. Es ist einfach explodiert und wir waren in der Küche nur zu zweit! Aber danach konnten wir kontinuierlich wachsen und investieren. Wir hatten jetzt sogar einen Geschirrspüler und einen Kühlschrank. (lacht) Diese Entwicklung hat auch das Team extrem zusammengeschweißt. Ich denke, das ist heute noch eines unserer Erfolgsgeheimnisse.

Wie würdest du deinen kulinarischen Ansatz beschreiben?

Wir wollen frische, britische Zutaten verwenden. Und zwar, wenn sie Saison haben und ihre perfekte Reife erreichen. Dafür arbeiten wir mit Landwirten zusammen, die diesen Ansatz auch selbst leben. Außerdem haben wir „The Landing“, unseren Küchengarten auf dem Dach eines Parkhauses in Stockport, wo wir selbst ernten. Natürlich spielen dabei auch Techniken wie Fermentieren, Trocknen und Beizen eine große Rolle. Unsere Speisekarte ändert sich fast täglich. Wir schauen erst, welche Zutaten gerade perfekt sind, und entwickeln darauf aufbauend die Gerichte des Tages. Das kann manchmal auch ganz schön hektisch und verrückt werden. Aber so sind wir nun mal. 

 

Sam Buckley

Sam Buckley begann schon mit 15 zu kochen. Vor seiner Fine-Dinig-Karriere interessierte er sich allerdings eher für Kunst, Musik und das Schreiben. Er war auf der Kunstuni, Musiker in verschiedenen Bands und hat sogar ein Journalismusstudium abgeschlossen. Daneben jobbte er in verschiedenen Restaurants und entdeckte so sein Talent. Besonders geprägt hat ihn seine Zeit im L’Enclume von Simon Rogan in Cumbria.

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