Lokalrunde

GASTRO GIGANT

Die bayerische Wirtsfamilie Wieser verknüpft im traditionsreichen Münchner Ratskeller gekonnt das Gestern mit dem Heute und bleibt dadurch ein kulinarischer Fixpunkt für Einheimische und Touristen gleichermaßen.

Er hat zwar keinen Schrittzähler dabei, aber auf die empfohlenen 8.000 Schritte oder noch besser 10.000 Schritte pro Tag kommt Peter Wieser locker. Als Pächter des ehrwürdigen Münchner Ratskellers steht er nahezu täglich im Betrieb. 365 Tage im Jahr und das seit 1978! Die historische Gaststätte am Marienplatz im Herzen der bayerischen Hauptstadt ist eine Sehenswürdigkeit an sich und als solche ein Fixstern am Münchner Gastrohimmel. Dass dieser Stern auch nach fast 150 Jahren noch hell leuchtet, ist nicht zuletzt Wiesers Familie zu danken.

Nach den Olympischen Sommerspielen in München 1972 wurde der 1874 erstmals eröffnete Ratskeller für drei Jahre geschlossen und von Grund auf renoviert. Mit Ende der Renovierung traten Wiesers Eltern Christian und Maria auf den Plan. Die erfahrenen Münchner Gastronomen, zuvor Pächter des Spatenhauses an der Oper, erhielten den Zuschlag für die Pacht der historischen Gaststätte. 1978 folgte Wieser nach Jahren im Ausland seiner Schwester Christine und Schwager Toni Winklhofer in den Betrieb. Mittlerweile sind beide im Ruhestand und Wieser lenkt die Geschicke des Ratskellers gemeinsam mit seiner Frau Margot und dem Neffen Thomas Winklhofer.

Unter der Führung der Wirtsfamilie fanden wichtige Erweiterungen und weitere Modernisierungen statt. „Insgesamt haben wir seit der Übernahme
21 Millionen Euro hineingesteckt – aus eigener Tasche“, erzählt Wieser. Das zeugt nicht nur von absolutem Commitment, sondern auch von einer engen Verbindung zum Haus und seiner Geschichte. Die letzte Großinvestition war der Bau einer Induktionsküche im Jahr 2002. Wieser: „Wir haben damals von Gas auf Induktion umgestellt und hatten für rund drei Jahre weltweit die größte Induktionsküche.“ Doch auch die Stadt München weiß den gastronomischen Gästemagnet zu schätzen: 2015 investierte die Eigentümerin des Ratskellers in eine Klimaanlage. Seither lässt es sich auch an heißen Sommertagen bei angenehmen Temperaturen speisen.

Raumwunder mit 1.100 Plätzen

Auch die Mitarbeiter wissen das zu schätzen, sind sie doch zwischen 15 verschiedenen Räumlichkeiten mit insgesamt 1.100 Sitzplätzen im Dienste der Gastfreundschaft unterwegs. Von Mai bis Oktober sind es zusätzlich 180 Sitzplätze im historischen Prunkhof mit seiner eindrucksvollen Fassadenkulisse. Die einzelnen Räume ganz unterschiedlicher Größe haben klingende Namen wie „Ludwig der Erste“, „Arche Noah“, „Alte Küferei“, „Sumpf“ „Himmel und Hölle“ und „Bacchuskeller“. Das „Ensemble“ besticht durch seine Architektur im neugotischen Baustil mit seinen zahlreichen Gemälden, Fresken, Plastiken und gemütlichen Nischen. Optisches Highlight und Schmuckstück des Hauses ist die „Arche Noah“ mit ihren sechs Kreuzgewölben. Sie zieren achtundvierzig beeindruckende Malereien, die das Thema Trinken humoristisch und ermahnend zugleich darstellen. Die Einrichtung des Ratskellers ist dem romantischen Zeitgeist entsprechend im Stile der Gotik des XVI. Jahrhunderts entworfen. Unter den Wiesers erfuhr das historische Interieur lediglich eine behutsame zeitgemäße Auffrischung.

Ein Betrieb, vier Konzepte

Die Familie zeichnet aber nicht nur für den Ratskeller gastronomisch verantwortlich. Auf der Gesamtfläche von rund 3.000 m² werden vier verschiedene Gastrokonzepte gefahren. Während der Ratskeller gut bürgerliche bayerische und internationale Küche auf gehobenem Niveau bietet, wird in der Weinwirtschaft eine günstigere Schiene gefahren. Mit mittelpreisigen Gerichten und Menüs richtet sie sich an eine weniger zahlungskräftige Klientel.  „Wir haben hier viele Pensionisten und Familien zu Gast, die auf den Preis schauen“, so Wieser. Außerdem wird in der 400 Sitzplätze großen Weinwirtschaft, die sich auf Fränkische und Badische Weine spezialisiert hat, gerne gefeiert. Ab 16 Uhr gibt es dort täglich Live-Musik mit Akkordeon, Zither, Steirischer Ziach, Bandonium oder Okarina. Im Ratskeller werden hochwertige Fleisch- und Fischspezialitäten serviert, darunter beispielsweise geschmorte Schweinsbackerl, schwäbischer Rostbraten, Fränkischer Schmorbraten und Steaks. Die Karte bietet allerdings auch eine große Vielfalt an Vegetarischem und Veganem. „Von einfach bis nobel, von bodenständig bayerisch bis zum Fine Dining, wir spielen die gesamte Klaviatur – wie bei einem Piano“, lacht Küchenchef Michael Schubaur, dessen Kulinarik stark von seiner Erfahrung in der Sternegastronomie beeinflusst ist. Sein Anspruch lautet: weitgehend alles täglich selbst mit regionalen, frischen und hochwertigen Lebensmitteln herstellen. Im Ratskeller steht er nun schon seit 20 Jahren an vorderster Küchenfront, sehr zur Freude von Peter Wieser, mit dem er sich den „hohen Anspruch an die Qualität“ teilt: „Unser Küchenchef würde nie etwas kaufen, was ihm selbst nicht auch schmeckt. Er besucht regelmäßig unsere Lieferanten und geht gerne zu Kollegen essen, um sich inspirieren zu lassen. Darauf sind wir stolz.“

Bei der Vielfalt der Angebote im eigenen Haus ist das auch nötig. Französischer Bistroflair inmitten von München erwartet die Gäste etwa im Jean-Claude`s Bistro, wo Maître Jean-Claude die Gäste mit charmantem, französischem Akzent bedient. Serviert werden durchaus gehaltvolle Spezialitäten wie Elsässer Pinsa, Quiche Lorraine oder Bretonische Fischsuppe, die das Angebot an französischen Weinen stimmig begleiten. Schließlich wird im The Royal Dolores Munich Pub auch noch englische Pubatmosphäre geboten, wobei hier der flüssige Genuss im Vordergrund steht. Für Hungrige gibt es nur eine kleine Auswahl an kalten Snacks.
Obendrein ist Wiesers Betrieb auch noch Caterer für Veranstaltungen in den Räumlichkeiten des Rathauses und im Alten Rathaus. Dafür wurde sogar eigens eine Bio-Zertifizierung durchgeführt, um den Vorgaben von München als Bio-Hauptstadt gerecht zu werden.

Diese Konzeptvielfalt ökonomisch sinnvoll zu bespielen, gelingt nur durch eine zentral organisierte Küche. Allein die Weinstube verfügt über eine Mini-Kochmöglichkeit. Das eingespielte Küchenteam bekocht so durchschnittlich 1.900 bis 2.500 Gäste pro Tag. Das entspricht mitunter  1.500 bis 3.000 À-la-Carte-Gerichten. Während des Oktoberfests sind es an Freitagen und Samstagen oft allein  1.200 Schweinshaxen. Unglaubliche Zahlen, die sich auch durch die vielen Reisegruppen, Firmen- und Familienfeiern im Ratskeller erklären lassen. Bis zu 180 Gästen fasst beispielsweise der größte Saal. 

„VON BODENSTÄNDIG BIS FINE DINING, WIR SPIELEN DIE GESAMTE KLAVIATUR.“ (MICHAEL SCHUBAUR, KÜCHENCHEF RATSKELLER, MÜNCHEN)

290 Stammtische

Gästestruktur und Stammtischkultur hätten sich Wieser zufolge jedoch nach Corona verändert. Von den vorher 400 Stammtischen, die wöchentlich oder monatlich regelmäßig im Ratskeller zu Besuch waren, sind es heute noch 290. Besonders in der Weinwirtschaft, die vor allem von Senioren stets gut besucht war, blieb fast ein Drittel der Stammgäste aus. „Es ist allerdings ein jüngeres Publikum dazugekommen. Damit haben wir nicht gerechnet. Die jungen Gäste sind offenbar kapitalstark und jedenfalls sehr konsumierfreudig“, berichtet Wieser. In den Frühlings- und Sommermonaten spült die Stadt viele Touristen in die altehrwürdigen Gemäuer, dann kommen rund drei Viertel der Gäste aus dem Ausland. Nach dem Oktoberfest dreht sich der Spieß wieder um und die Einheimischen sind die stärkste Gästeschicht.

In den „starken Jahren 2018 und 2019“ umfasste Wiesers Team 180 Mitarbeiter. Jetzt sind es 125. „Wir arbeiten zwar jetzt ein wenig mehr am Limit als vorher, doch das Geschäft ist jetzt ertragreicher und die Grundlage wirtschaftlich gesünder“, sagt der Münchner Wirt, der glücklicherweise auf eine große Stammbelegschaft zählen kann: Viele Mitarbeiter sind bereits seit 20 bis 35 Jahren im Betrieb beschäftigt. Beim längstdienenden Mitarbeiter waren es 48 Jahre. Wieser selbst wird diesen Rekord sicher bald um viele Millionen Schritte übertreffen.

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