Trends
Heißer Scheiß
Wenige Trends haben in den letzten Jahren so viel Fahrt aufgenommen wie das Kochen über offenem Feuer. Immer mehr Profis wagen das Experiment mit der Feuerstelle im Restaurant. Natürlich ist das riskant, aber es macht auch riesen Spaß.
Victor Arguinzoniz, Niklas Ekstedt oder Lennox Hastie sind längst Posterboys der neuen Feuerküche. Auf spiegelndes Nirosta, schnöde Induktion, klassisches Gas und exakte Reproduzierbarkeit von Garzeiten verzichten sie ganz bewusst. Die Feuerköche stellen sich dafür mit dicken Holzscheiten beladene, brennheiße Öfen und Kochstellen in ihre Wirkstätten. „Feuer macht uns einzigartig menschlich“, schwärmt etwa Hastie, Chefkoch des aktuell extrem angesagten Firedoor in Sydney: „Kein anderes Lebewesen auf der Welt macht es sich zunutze, um seine Nahrung darauf zu kochen. Es hat verändert, wer wir sind. Aber Feuer ist nicht mehr Teil unseres täglichen Lebens. Ich möchte unsere Verbindung mit dem Feuer wiederaufleben lassen und Menschen zeigen, wie vielfältig kochen mit Feuer sein kann.“
Deshalb kommt im Firedoor wirklich alles in die Flammen – nicht nur ganze drei Monate gereifte Steaks, sondern auch zarte pazifische Austern. Hastie besprüht sie mit Traubenkernöl und lässt sie dann in einem Eisensieb zwei Minuten von jeder Seite die Flammen küssen. Arrangiert wird danach mit Meersalat, eingelegtem Kohlrabi und Apfel. Das Firedoor Signature Dish ist nur ein Beispiel dafür, was über Feuer generell mit Meeresfrüchten, aber auch mit Gemüse möglich ist. Neben der geschmacklichen Komponente und der neuen Experimentierfreude der Köche sind aber sicher der Showfaktor und die positive Einstellung der Gäste ausschlaggebend für die Langlebigkeit des Trends zu offenen Feuerstellen. "Feuer hat uns das Überleben in der freien Natur gesichert", meint dazu der amerikanische Anthropologe Daniel Fessler. Diese positive Ur-Erfahrung habe sich ins kollektive Gedächtnis im wahrsten Sinne des Wortes eingebrannt. Auf fast jeden Gast übt das Kochen über Feuer und Glut also eine große Faszination aus. Vor allem für Starköche kann es sich lohnen, bewusst auf die Annehmlichkeiten von Gas und Elektrizität zu verzichten, um ein Alleinstellungsmerkmal zu kreieren. „Die moderne Küche hat sich meiner Meinung nach viel zu sehr in Detailverliebtheit verloren“, meint etwa Niklas Ekstedt, „Ein Amuse-Bouche hier, ein Appetizer dort, dann noch mal Petit Four. Ich wollte ein Restaurant machen, in dem es fünf oder sechs Gerichte in einem Menü gibt, und eben genau auf diese Dinge verzichten.“
Auch Dave Pynt, Inhaber des Michelin-Star-gekrönten Burnt Ends in Singapur, und Ben Chapmans, Inhaber des Kiln in London, sind wie alle Feuerköche besessen von der Natürlichkeit und Magie des Feuers. Lediglich die Hitze der Holzkohle bringt bei Chapman den Inhalt von Tontöpfen und Woks zum Kochen und Fleisch und Fisch zum Brutzeln. Während Ekstedt der nordischen Küche huldigt, hat Chapman Thailand kulinarisch nach Soho verfrachtet. Das gilt für die Rezepte gleichermaßen wie für die archaische Zubereitungsart: Was auf den Teller kommt, brutzelte vorher im Feuer, ganz so, wie man es von der Straßenküche an der Grenze zu Myanmar kennt. Ein anderes Kaliber hingegen hat der Ofen in Pynts australischem BBQ-Restaurant. In diesem vier Tonnen schweren, mit Apfel- und Mandelholz befeuerten Doppelkammer-Monstrum werden Seafood, Gemüse und Fleisch gesmoked, geröstet, gebacken und gegrillt. Speziell Rauch ist dabei ein integraler Bestandteil seiner Küche. Er durchströmt den mit Orangen und Burrata servierten Fenchel genauso wie die Eiscreme, die er mit Schokolade-Fondant servieren lässt. Lebensmittel werden zudem direkt in die Glut gelegt. „In heißer Kohle zu kochen ist schonender, als die Produkte zu grillen“, so Pynt: „Bei Fleisch machen wir es oft so: Wir legen es zuerst in die Kohle. Das sorgt für eine starke Farbe und einen intensiven Rauchgeschmack. Dann wird es auf höherer Hitze finalisiert.“
Übung macht den Meister
Für Marius Frehner, der sich vor fünf Jahren mit dem Gamper in Zürich den Traum vom eigenen Restaurant mit Feuerstelle erfüllt hat, könnte seine Wirkstätte durchaus noch ursprünglicher sein. „Mein Wunsch ist, einmal ein Restaurant mit einer einzigen Feuerstelle in der Mitte des Raumes zu betreiben, wo ich direkt vor den Augen der Gäste am Feuer stehe und diese alles hautnah miterleben und sich ihr Essen direkt selbst holen – ein bisschen so wie im Mittelalter“, lacht der Schweizer, der im Drei-Stern-Michelin-Restaurant Abac in Barcelona als „Chef der Partie Grill“ gearbeitet und dort an einem von Victor Arguinzoniz konzipierten Ofen das Handwerk erlernen durfte: „Dort habe ich mich in diese Art des Kochens verliebt und für mich entschieden, dass ich nie wieder etwas anderes machen möchte.“ Was den Schweizer derart fasziniert, ist die Arbeit mit mehreren Sinnen, wie er sagt: „Das Feuer spürt man. Man muss damit spielen, es beobachten. Am Feuer, da musst du wirklich kochen.“ Über ein Jahr lang ist er laut eigenen Erzählungen zwölf bis 14 Stunden vor dem Feuer gestanden und habe so langsam ein Gefühl dafür entwickelt: „Man muss sich dem hingeben, doch wenn man sich darauf einlässt, wird man auch belohnt.“ Dabei lernt selbst der Meister nie aus: „Auch heute passieren mir manchmal noch Dinge, die mich erstaunen.“ Doch gerade das Unkontrollierbare eröffne seiner Ansicht nach auch eine Art Freiheit.
Diese Freiheit zu finden, erfordert Victor Arguinzoniz zufolge viel Arbeit und Hingabe. Wer sich dem Feuer widmet, muss es beherrschen lernen, sich damit vertraut machen. „Alles, was unsere Großeltern und die Generationen davor selbstverständlich konnten, ist für uns heutzutage neu“, sagt Alexandra Baeten vom Farmer‘s Club im oberbayerischen Gut Sonnenhausen: Kochen am offenen Feuer, das muss das Küchenteam erst wieder „lernen“. Die offene Feuerstelle im Farmer‘s Club diene schließlich nicht bloß zum Grillen. „Dafür gibt es Griller, Smoker oder Green Egg“, so Beaten. Auf dem gemauerten Holzofen mit eiserner Herdplatte, Feuerklappe, Rohren und einer Esse ist richtig kochen angesagt, also große Fleischstücke wie Rinderhochrippe oder Kalbskrone über dem Feuer und Gemüse aus dem eigenen bio-zertifizierten Garten im Ganzen in der Glut garen, so Baeten: „Es bedarf einiger Versuche und Tests, um das Feuer richtig handhaben zu können. Im Gegensatz zu einer Gaskochstelle können wir ja nicht einfach den Temperaturregler hoch- oder runterdrehen. Es braucht ein bisserl mehr Zeit und auch Erfahrung, die richtige Hitze und Temperatur ohne Rauchentwicklung hinzubekommen und zu halten.“
Dafür sei auch eine entsprechend lange Vorbereitungszeit wichtig, so Burnt Ends-Chef Pynt: „Für ein gutes Feuer gib dem Holz zwei Stunden Zeit, zu brennen.“ Simon Steiner, Geschäftsführer des Dogenhofs in Wien, pflichtet ihm bei. „Es dauert etwa drei Stunden bis unser Ofen einsatzbereit und heiß ist, allerdings um die 16 bis 20 Stunden, bis er perfekt durchgewärmt ist und eine optimale, gleichmäßige Hitzeverteilung hat“, erzählt er. Ist der Ofen richtig warm, dann hält er die Wärme zwölf Stunden und ist innerhalb von 30 bis 60 Minuten wieder auf Betriebstemperatur. „Dann kann mittels Nachzünden, Luftzu- und abfuhr die Hitze verhältnismäßig schnell erhöht oder reduziert werden“, so Steiner. Was die Feuerstelle selbst betrifft, so müsse die Glut für die optimale Mischung aus Temperatur und Brenndauer einmal durchglühen: „Dies erkennt man daran, dass die Kohle an der Außenseite rundum eine weiße Ascheschicht bildet und nirgends mehr schwarz ist.“
Wow-Effekte
Die Gäste schätzen so viel Aufwand, das beweise auch ihr Farmer‘s Club-Ansatz im Gut Sonnenhausen, ist Alexandra Beaten überzeugt. Sie hätten das feurige Geschehen immer im Blick und würden Zeuge, wie das Fett am Fleisch dahinbrutzelt. Das steigert die Vorfreude. „Wichtig ist uns, dass Gäste und Köche nah zusammenrücken; dass die Gäste unseren Köchen zusehen können und sich nach Möglichkeit das Essen auch selbst an der Tür zur Feuerküche abholen“, betont die Marketing- und Vertriebsexpertin.
Auf maximale Theatralik setzt auch Charlie Carroll, Gründer des Flat Iron. In seinem Londoner Steak-Lokal lässt er auf einem zwei Meter langen, sonderangefertigten Spießgriller auch gerne mal ganze Rinderbeine brutzeln. Betrieben wird sein Griller von einem 250 Jahre alten Uhrwerkmechanismus. „Es ist ein richtiges Theater“, sagt Carroll, der so kulinarische Ereignisse schafft, die in Erinnerung bleiben. „Feuer nimmt unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, erregt unsere Emotionen und erzählt Geschichten, lange nachdem wir gegangen sind“, das weiß auch Hastie.
Spaßfaktor Feuer
Das Spiel mit dem Feuer ist aber nicht nur für die Gäste emotional, sondern auch für die Küchenchefs selbst. „Es macht unglaublich viel Spaß“, sagt Dogenhof-Geschäftsführer Simon Steiner. Dass in der Küche seines im Februar 2020 eröffneten Lokals letztlich vollkommen ohne Gas, Strom und Heißluft gekocht werde, war dabei nicht immer klar: „Unser Konzept hat sich nach und nach entwickelt. Wir haben nichts erzwungen – im Gegenteil. Anfangs gingen alle Pläne in Richtung konventionelle Küche. Doch mein Küchenchef Lukas Stagl, Dogenhof-Gründer Florian Kaps und ich haben festgestellt, dass unsere Ideen und Vorstellungen von puristischer Zubereitung nicht auf konventionellem Wege umsetzbar sind. Dadurch ist das Konzept vom Holzofen erst entstanden. Von der klassischen Gastroküche sind schließlich nur mehr die Spülmöbel übriggeblieben.“ Über ein halbes Jahr haben die drei am Konzept gefeilt und waren sogar auf Ideensuche in London. „Einige Lokale hatten eine Feuerstelle und daneben den Gastroherd. Wir wussten gleich, das wollen wir nicht. Wir probieren jedenfalls den radikalen Weg. Das konsequent Puristische sollte unser Merkmal sein – auch wenn das ein mutiger Weg sein würde“, erzählt Steiner.
Ihr so entwickelter „Altar“ wurde eigens für das Restaurant angefertigt. Zwei Hafnermeister waren dafür nötig, einer davon Spezialist für offene Feuerstellen, der andere für professionelle Bäcker-Backöfen. „Wir wollten, dass die Feuerstelle so vielseitig einsetzbar ist wie möglich“, so Steiner: „Wir arbeiten mit Hochpfannen, auf Grilleinheiten mit verschiedenen Höhen und mit Feuerkörben, in denen Gemüse oder Huhn garen. Im Backofen können wir die Hitze direkt und indirekt nutzen. Außerdem haben wir ein eigenes Fach, wo wir mit Abwärme Speisen warmhalten können.“
Neue Zubereitungsarten
Das Kochen mit offenem Holzfeuer erfordert Steiner zufolge eine komplett andere Herangehensweise an das Kochen – auch unter der Prämisse, dass Lebensmittel so unverfälscht wie möglich zubereitet werden sollen: „Ich kann nicht von einem bestehenden Rezept ausgehen und es einfach über Feuer zubereiten. Ich muss mich fragen, welche Gerichte ich mit den Möglichkeiten, die mir der Ofen bietet, zubereiten kann. Da ergeben sich ganz neue Gerichte.“
In die gleiche Kerbe schlägt auch Frehner, der beispielsweise im Winter gerne erntefrisches Gemüse wie Randen, Sellerie oder Rote Beete direkt in die Glut wirft und dort so lange garen lässt bis sie außen schwarz und verkohlt sind. Das gegarte Innenleben bietet laut dem Küchenchef ein unvergleichlich intensiveres Geschmackserlebnis. Zudem eröffnet die Feuerküche Zubereitungsvarianten, die in einer konventionellen Gastroküche nicht möglich wären. Frehner beispielsweise hängt Schweinebäuche direkt in den Kamin und lässt sie dort über Tage heißräuchern und mit der Restwärme des Ofens gart er über Nacht Gemüse. „Ich nutze weniger Töpfe als die direkte Glut und den Rauch“, so der Schweizer, dessen Fünf-Gang-Menü-Karte sich nach dem richtet, was der Ofen hergibt, und sich folglich im Laufe des Abends wandelt: „Die Gäste um 18 Uhr bekommen andere Speisen als jene, die drei Stunden später kommen.“ Am Anfang gibt's Kurzgebratenes und am Ende dann das Geschmorte.
Ökonomisch gesehen mache es grundsätzlich wenig Sinn, aufs Feuer zu setzen, meint Frehner. Der Energieverbrauch sei nie kalkulierbar – sogar das Wetter hat einen Einfluss darauf – und zahlenmäßig könne man die Kosten nur schwer auf ein Gericht herunterbrechen. Warum er es dennoch macht? „Der Wunsch nach Freiheit ist größer als die Vernunft.“
„Mit Holzfeuer kochen ist ein Drahtseilakt.“
Lennox Hastie kocht im FireDoor in Sydney ausschließlich mit der Glut aus zwei monströsen Holzfeueröfen. FRISCH gibt er einen kleinen Einblick, worauf es dabei ankommt.
Viele Leute investieren in ihre Grills richtig Geld. Muss man das?
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass die Öfen im Firedoor keine große Investition waren. (lacht) Aber in geschmacklicher Hinsicht tut es auch eine kleine Feuerstelle aus ein paar Ziegelsteinen, ein großer Haufen Hartholz und ein einfacher Kuchenrost. Wichtiger ist, das richtige Gefühl zu entwickeln und darauf zu achten, dass es möglichst wenige Flammen gibt.
Sind die Flammen nicht das, was das Kochen über offenem Feuer ausmacht?
Im Gegenteil. Hält man ein Top-Produkt zu sehr in die Flammen, wird es bitter, weil in dieser Phase auch Schadstoffe mitverbrennen. Man sollte nur mit den glühenden Resten der Scheite arbeiten. Außerdem auf keinen Fall viel Öl verwenden. Wir sprühen deshalb beispielsweise auch Salatherzen nur mit einem feinen Nebel aus Traubenkernöl ein. Es ist sehr hitzebeständig, geschmacklich neutral und brennt nicht so leicht. Bei Fleisch ist das Ziel, dass Fett nur so in die Glut tropft, dass kleine Rauchwölkchen entstehen. Die bringen dann diese unvergleichliche Note ins Fleisch, die sich nur mit einem Holzfeuergrill erreichen lässt.
Klingt gar nicht so einfach …
Ist es auch nicht. Mit Holzfeuer zu kochen, ist ein echter Drahtseilakt. Man muss dafür alle seine Sinne einsetzen. Ich prüfe beispielsweise dauernd mit den Händen, wo die Hitze am größten ist – zwei bis drei Jahre gelagertes Hartholz kann immerhin bis zu 900 Grad heiß werden. Außerdem kann ich durch Riechen abschätzen, wie weit die Oberfläche des Fleisches schon karamellisiert ist. Und bei Salat kann man die kochende Flüssigkeit im Inneren zischeln hören. Ist das Geräusch ganz weg, ist der Salat zu trocken. Das ist alles sehr instinktiv. Aber wenn man das drauf hat und Top-Produkte verwendet, sind die Ergebnisse unvergleichlich gut.
Sie arbeiten sehr viel mit Gemüse, Meeresfrüchten und sogar Kaviar. Dabei assoziieren Gäste Grills doch meist mit Fleisch, oder?
Ich wollte bewusst kein typisches Grillrestaurant und mich neuen Herausforderungen stellen. Natürlich gibt es bei uns aber auch Fleisch. Es musste nur wirklich das beste in ganz Australien sein. Dafür suchen wir direkt nach der Schlachtung Tiere mit besonders starker Fett-Marmorierung aus und reifen ihr Fleisch dann mit einer speziellen Methode 200 Tage lang. Dafür nehmen wir das Nierenfett der Tiere und versiegeln damit die offenen Fleischteile, bevor wir es dry-agen. Wir haben Jahre gebraucht, dieses Verfahren zu perfektionieren, aber heute ist dieses Fleisch etwas ganz Besonderes, wenn es auf den Rost kommt.
Herr Hastie, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Lennox Hastie hat sein Restaurant Firedoor 2015 gemeinsam mit der Fink Group in Sydney eröffnet. Geboren ist er eigentlich in England. Nach einer Ausbildung im Westminster Caterin College und einigen Stationen in Frankreich erlernte er in der Pintxo Bar und im Asador Extebarri bei Victor Arguinzoniz in Spanien die speziellen Fähigkeiten für das Kochen mit offenem Holzfeuer.