Lokalrunde

Käsekunst

Perfekt gereifter Käse ist eine Offenbarung. Doch die ausgefeilte Technik dafür beherrschen nicht viele. Frisch hat einen Affineur besucht und nachgefragt, wie groß das ökonomische Potenzial gereiften Käses heute noch ist.

Die Überzeugung, dass Lebensmittel durch Reifen besser werden können, teilen Köche auf der ganzen Welt. Sei es beim Rindfleisch von der Salonbeef-Kalbin, das sein Geschmackspotenzial erst nach mindestens 21 Tagen am Haken voll entfaltet. Oder bei den Experimenten mit gereiftem Fisch, die dem Australier Josh Nieland zu weltweiter Bekanntheit verhalfen (siehe Ausgabe Nr. 55). Der Ursprung des Gedankens, dass Produkte unter den richtigen Voraussetzungen mit der Zeit geschmacklich wachsen, lässt sich in Europa bis in die Klöster Frankreichs zurückverfolgen. Dort begannen Mönche bereits im Mittelalter, Käse unter kontrollierten Bedingungen länger aufzubewahren als nötig und mit heimischen Zutaten zu verfeinern. Daher auch der Begriff Affinage, der nichts anderes als Verfeinerung bedeutet. Sie entwickelten dafür sogar neue Techniken. Etwa die Feuchtwaschung mit regionalen Weinen oder Bieren. Schließlich wurden sogar Bruderschaften wie die „Guilde Internationale des Fromagers“ gegründet, die die alten Traditionen bis zum heutigen Tag bewahren.

Bestes Genusshandwerk

Längst hat sich dieses Genusshandwerk aber auch im deutschen Sprachraum verbreitet. Thomas Breckle ist einer dieser heimischen Affineure. Mit 23 hängte der Allgäuer eine Sportkarriere im Skilanglauf an den Nagel und machte sich mit seinem Mountainbike auf den Weg zum perfekten Käsegeschmack. Denn er war enttäuscht von dem, was er bis dahin gekostet hatte: „Du musst was Besseres machen, weil die alle so mau sind“, hatte er sich damals gesagt. Zusammen mit Geschäftspartner Martin Rößle kümmert sich Breckle heute unter dem Markennamen Jamei Laibspeis im alten Gewölbekeller des Klosters St. Raphael in Kempten zehn Meter unter der Erde um etwa 2.000 Käseräder. Dort zeigt das Thermometer zu jeder Jahreszeit konstant zehn Grad bei 100 % Luftfeuchtigkeit – das perfekte Reifeklima.

Ein Rennpferd aus Käse

„Hier erwecken wir handwerklich hergestellten Rohmilchkäse von 28 Kleinstproduzenten aus dem Alpenraum zum Leben und machen ein Rennpferd draus!“, behauptet er selbstsicher.  Die Sennereien sollten sich möglichst genau an Breckles 20-Punkte-Plan halten, damit er ihnen ihren Käse abnimmt: Er sollte etwa nur mit silofreier Rohmilch, Lab und der hofeigenen Sirtenkultur hergestellt werden. Außerdem dürfen die in der Regel behörnten Kühe kein Kraftfutter bekommen, sondern nur frisches Gras fressen. Denn ähnlich wie beim Weinmachen ist auch bei der Käseaffinage das Terroir ein entscheidender Faktor, den man schmeckt.

Zurück im Allgäuer Reifekeller wäscht der Affineur mit seinen sechs Mitarbeitern die Laibe einmal wöchentlich zum Beispiel mit einem Sud aus Luisenhaller Salz, klarem Wasser und einigen Geheimzutaten. Auch Riesling spielt manchmal eine Rolle. Für diese Feuchtaffinage werden die schweren Hartkäselaibe, die zwischen vier und 100 Kilo wiegen, aus den Regalen gehievt, gewendet und auf einen Holzbock gelegt. Dann schmiert das Team den Sud mit speziellen Bürsten auf die Ober- und Außenseiten der Laibe, damit sie nicht reißen und Fremdschimmel ansetzen. Das ganze Prozedere dauert bis zu zehn Stunden. Der Reifeprozess verläuft dabei beim Hartkäse gleichmäßig durch die gesamte Masse und durch die Austrocknung des Randes bildet sich die kräftige Rinde aus. Die meisten Hartkäse reifen bei Jamei Laibspeis zwischen 20 und 30 Monate, manchmal auch bis zu vier Jahre.

Während der Reifezeit werden sie penibel betreut. Bei den Laiben der ein bis maximal zwei Produzenten, die jedes Jahr die Chance bekommen, Jamei Laibspeis-Lieferant zu werden, entnimmt Breckles Team mittels Käsebohrer regelmäßig Proben aus der Mitte des Laibes: „Bei unseren Stammproduzenten wissen wir schon, wann der Käse reif ist, da braucht es das nicht. Aber bei neuem Käse müssen wir das erst austüfteln. Bei 100 % Luftfeuchtigkeit wird er im Alter jedenfalls immer cremiger und saftiger“, erzählt der Affineur.

Die Technik macht den Star

Ziel ist es immer, dem Käse einen leicht anderen Geschmack zu verleihen, ihn mit einer eigenen Persönlichkeit zu adeln. Dabei kommt es ganz auf die Kreativität und Erfahrung des Affineurs an. Die Art der Veredelung und die Käsesorte spielen dabei eine entscheidende Rolle für Komplexität, Aroma und die außerordentliche Qualität des fertigen Produkts. Der Geschmack des Grundkäses sollte dabei niemals überdeckt, sondern nur aufgewertet werden. Deswegen kommen für Breckle Methoden wie Trocken- oder Extremaffinage auf keinen Fall in Frage. „Der Käse wird dadurch teilweise total verunstaltet. Wir dagegen sind absolute Puristen. Mit Einheitsware oder Selbstversuchen wollen wir absolut nichts zu tun haben“, grenzt er sich klar ab.

Neue Expermimente

Experimentiert wird in der weiten Käsewelt natürlich trotzdem. Etwa beim Verfeinern durch besagte Trockenaffinage. Hierbei wird der Rohling naturbelassen, bei optimaler Temperatur und Luftfeuchtigkeit täglich gedreht und gewendet, gegebenenfalls trocken gebürstet oder abgerieben, damit er gleichmäßig durchreift. Die Technik lässt sich durch Bestreuen zum Beispiel mit Kräutern, Blüten, kandierten Früchten und Gewürzen noch weiter ausbauen.

Vom trockenen Verfeinern zur sogenannten Extremaffinage ist die Grenze oft fließend. Dafür werden kräftige Komponenten und außergewöhnliche Aromen wie Kaffee, Lakritz, Fisch oder Bärlauch verwendet. Techniken, wie Anbohren und Injizieren des Laibes, greifen außerdem erheblich in das Geschmacksprofil des Grundkäses ein. Das macht das Verfahren in der Szene so umstritten.

DIY-Affinage

Gerade für Köche ist es außerdem spannend, selbst mit verschiedensten Formen der Affinage zu experimentieren. „Es gibt Veredelungstechniken, für die wir nicht unbedingt einen Reifekeller brauchen. Dabei geht es nur um geschmacksgebende Komponenten“, sagt Bernd Zehner von der Kochwerkstatt Wiesbaden. Der Küchenchef und Kochlehrer erklärt, dass grundsätzlich alle Käsesorten zum Selbst-Affinieren geeignet sind.

Ein guter Start ist beispielsweise, Käse im Kühlschrank länger reifen zu lassen. Einen jungen Weichkäse mit Kern, der noch nicht ausgereift ist, kann man zum Beispiel im Gemüsefach lagern und durch Drehen, Wenden und Bürsten dafür sorgen, dass sich nur Bakterienstämme entwickeln, die ihn zum perfekten Reifegrad bringen. Im nächsten Schritt könnte man mit Aromen experimentieren: „Gängige Zutat ist natürlich Alkohol, mit dem man die Rinde behandelt. Dann kann man den Käse füllen – beispielsweise könnte man ihm Blauschimmelkulturen injizieren, damit in ihm Schimmel wächst. Aber was natürlich auch immer geht, ist Trüffel – der passt überall hin“, so Zehner. „Cremigen Käse wie einen Camembert oder Brie kann man in der Mitte halbieren, ihn mit Trüffelscheiben belegen, um ihn dann wieder zusammenzudrücken. Wenn er dann für zwei bis drei Tage im Kühlschrank verschwindet, wird er das Trüffelaroma aufnehmen und ist danach ein echter Hochgenuss“, erklärt der Koch.

Denkbar ist auch, einen einfachen Ziegenkäse mit Chili und Pfeffer zu bearbeiten, oder heimische Zutaten zur Veredelung einzubinden, um den regionalen Charakter der Küche zu unterstreichen. Hier bietet sich die Verfeinerung von halbfestem Schnittkäse, wie zum Beispiel einem jungen Pecorino, mit getrockneten Kräutern und Blüten oder auch Weintrester vom lokalen Winzer an.

Neuer Käseboom

Lohnt dieser Aufwand überhaupt? Essen die Menschen im Lokal noch Käse? Immer mehr, gerade junge Leute würden sich für das Thema interessieren, meint Käsespezialist Breckle. „Es wird immer weniger Fleisch und Wurst gegessen, Käse dagegen geht gerade voll durch die Decke“, behauptet er. Der Erfolg gibt ihm Recht: „Über die letzten Jahre sind bei uns stetig 10 bis 15 Prozent mehr Kunden dazugekommen."

Diesen Boom bestätigt auch Willibald Reichl, Gebiets- und Key-Account-Manager bei Berglandmilch, zu dem Österreichs größter Käsehersteller Schärdinger zählt. Das Unternehmen mit Sitz in Wels vertreibt unter der Marke „Schärdinger Affineur“ mittlerweile etwa 30 verschiedene Sorten verfeinerten Käse, vom Winzer Rosé bis zum Bergblütenkäse. „Die Absätze der Affineur-Range können wir jährlich steigern. Wir sehen verfeinerten Käse als wichtige Gelegenheit, unsere Konsumenten zum Genießen von hochwertigsten Käseprodukten zu überzeugen“, so Reichl.

Sowohl Schärdinger, als auch Thomas Breckle verkaufen aber nicht nur an private Feinschmecker, sondern beliefern auch die Gastronomie. Der Allgäuer Käseexperte zählt sogar Jan Hartwig vom JAN in München zu seinen Kunden. Letzterer, so berichtet Breckle stolz, hat vor Kurzem sogar einem sehr bekannten französischen Affineur den Rücken gekehrt und kauft bei ihm nur noch ein bis zwei ausgewählte Sorten ein. Die „Schwarze Mamba“ zum Beispiel, einen  Bergkäse der auf Fichtenholz reift und mit Hartholzasche gewaschen wird. Letztere ist gut für die Rindenbildung und gibt den Laiben eine schwarz-graue Färbung.

Breckle ist überzeugt, dass für die Gastro genau in diesen Spezialistenkäsen eine Chance liegt, neue Kunden zu gewinnen – fern vom leicht angestaubten Käse-Image: „Gastronomen und Hoteliers haben zwar erkannt, dass Käse ein Umsatzbringer ist. Aber der Trend geht eindeutig weg vom großen Käsewagen – denn das überfordert Gast und Personal. Viele setzen heute nur noch auf wenige Sorten. „Eine große Käseauswahl bedeutet immer auch Extra- Personal dafür abzustellen, das sich damit auskennt – das kostet und ist nicht mehr zeitgemäß. Ein maximales Draufzahlgeschäft für jedes Restaurant. Da ist weniger Käse mit hoher Qualität mehr!“

 

„KÄSE IST EIN UMSATZBRINGER. ABER DER TREND GEHT WEG VOM GROSSEN KÄSEWAGEN.“ (THOMAS BRECKLE, AFFINEUER, JAMEI LAIBSPEIS, KEMPTEN)

Interview

„Reden wir über Käse.“

Willibald Reichl ist als Key-Account-Manager bei Berglandmilch auch für den Vertrieb des Schärdinger Affineur-Sortiments Mitverantwortlich. FRISCH erklärt er, warum es so
wichtig ist, mit den Gästen über Käse zu reden.

Schärdinger hat ein eigenes Affinage-Sortiment. Warum überhaupt?

Für uns steht der Gast im Mittelpunkt des Genusses. Affinieren heißt für Schärdinger, den Käse bis zum idealen Geschmackserlebnis zu verfeinern. Dafür bringen wir ihn zum Reifehöhepunkt. Das Know-how dafür hat sich Schärdinger durch jahrelange, intensive Zusammenarbeit mit einer Reihe von sehr erfahrenen Käsemeistern erarbeitet.

Welche besonderen Reife- und Veredelungstechniken wenden Sie dabei bevorzugt an?

Am wichtigsten ist, Käse unter kontrollierten Bedingungen auf den Punkt zu reifen, damit er am Tisch am Geschmackshöhepunkt ist. Wir affinieren unsere Käse aber beispielsweise auch mit Edelbrand. So wird der „Rote Mönch“ mit einem edlem Obstbrand behandelt, wodurch er eine feine Birnen-Note erhält. Auch Gewürze auf der Oberfläche werden eingesetzt, um spezielle Geschmacksnoten zu erzielen.

Welche Faktoren sind für Sie entscheidend bei der Auswahl von Käse für die Affinage?

Die Zutat darf den Käsegeschmack nicht überdecken. Der Käse muss immer das geschmacksgebende Element bleiben. Die Affinage darf nur unterstützen, nicht aber übertrumpfen. Grundsätzlich funktioniert die Affinage bei allen Käsetypen, bis auf Frischkäse, denn der „reift“ nicht, darum kann man ihn auch nicht affinieren.

Gibt es eine Käsesorte, die mit einer bestimmten Zutat besonders gut harmoniert? Haben Sie einen Tipp?

Edelschimmelkäse Schärdinger Affineur Kracher sollte mit Süßweingelee am Teller angerichtet werden oder mit Rosinen und Honig.  Denn blauer oder grüner Edelschimmelkäse ist sehr würzig. Diese Würze balancieren süße Weine perfekt aus, etwa Eiswein, Beerenauslese oder sogar TBA. Das Pairing ist dabei auch wichtig, weil man mit dem Gast so besser ins Gespräch kommt. Affinierter Käse ist in Österreich ja oft noch erklärungsbedürftig.

Hilft dabei, dass bei Schärdinger nur Käse aus heimischer Milch affiniert wird?

Ja, sicher. Regionalität bedeutet für uns, dass garantiert nur beste österreichische Milch verarbeitet wird. Bei Weichkäse ist es nur steirische Bergbauernmilch und die Schnitt- und Hartkäse werden aus Tiroler Bergbauernmilch hergestellt. Außerdem produzieren wir auch in der Traditionskäserei Voitsberg in der Steiermark.

Beobachten Sie bei der Affinage auch neue Trends in Österreich?

Wir stellen fest, dass die Gäste experimentierfreudiger werden. Somit ist es etwas einfacher, bei Rezepturen komplett neue Wege zu gehen und an innovativen neuen Richtungen zu arbeiten.

Wie zum Beispiel Extremaffinage?

Eher nicht. Wie schon erwähnt vertreten wir bei Schärdinger die Meinung, dass der Grundgeschmack des Käses nicht durch Affinieren überdeckt werden soll.

Wie gut wird das Angebot von affiniertem Käse von den Gästen mittlerweile angenommen?

Die Absätze der Schärdinger Affineur-Range können wir jährlich steigern. Schärdinger ist mit Abstand der größte Käsehersteller in Österreich. Naturgemäß spielt die Affineur-Range im Absatz deshalb eine kleinere Rolle. Wir sehen jedoch die Affineur-Range als wichtige Gelegenheit, unsere Konsumenten zum Genießen von hochwertigsten Käseprodukten zu animieren.

Wie gelingt das als Gastronom am besten?

Man sollte immer mit den Gästen über den Käse reden sowie speziellen Käse gut erklären und präsentieren. Das ist am wichtigsten. Dazu gehört die richtige Temperatur zwischen 18 bis 22 °C. Käse muss außerdem immer richtig portioniert werden, d. h. im Urzeigersinn von mild bis würzig. Das Schneiden in Dreiecksstücken ist ebenfalls von enormer Bedeutung, damit der Rindenanteil bei jedem Stück gleich ist.

Arbeiten Sie bei der Affinage eigentlich auch mit Köchen zusammen?

Der Anspruch von Schärdinger liegt immer darin, dass wir die hochwertigsten Molkereiprodukte herstellen, da uns Millionen von Konsumenten jeden Tag das Vertrauen schenken. Wir sind aber nicht nur in den Kühlschränken der Familien zu finden, sondern kooperieren sehr erfolgreich mit der Gastronomie – deshalb wurde auch schon das ein oder andere Schärdinger-Produkt gemeinsam entwickelt.

Welchen Rat würden Sie Köchen geben, die selbst mit Affinage experimentieren möchten?

Eine Faustregel vorweg: Käsegenuss verlangt viel Leidenschaft im Tun. Das Einfachste ist, Käse in unterschiedlichen Temperaturen reifen zu lassen, immer wieder zu wenden und der Kreativität keine Grenzen zu setzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Willibald Reichl

Willibald Reichl ist ausgebildeter Molkerei- und Käsereimeister und arbeitet seit mehr als 40 Jahren im Gebietsmanagement und als Key-Account-Manager bei Berglandmilch. Der Käsesommelier hält zahlreiche Degustationen und Präsentationen in Gastronomie, Schulen und Tourismusbetrieben. 2023 wurde er außerdem zum „Käsebotschafter Österreichs" ernannt.

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