Panorama
Kissa Kult
In Japan gibt es schon seit fast hundert Jahren Bars, in denen auf riesigen Soundanlagen Jazzplatten für die Gäste gespielt werden. Fotograf Katsumasa Kusunose dokumentiert diese „Jazz Kissa“ seit Jahren und hat frisch erklärt, was ihren Reiz ausmacht.
Sie dokumentieren sogenannte Jazz Kissa nun schon seit über zehn Jahren. Was bedeutet der Begriff überhaupt?
Im Japanischen heißt „Kissa“ Tee genießen. Als der westliche Einfluss in Japan im 19. Jahrhundert zunahm, kamen die ersten Lokale auf, in denen Tee, Kaffee und kleine Speisen wie in den europäischen Kaffeehäusern serviert wurden. Diese Lokale nannte man „Kissa-ten“ und sie erlebten in den 20ern einen regelrechten Boom. Ende der 20er fingen die ersten davon an, Jazz von Schellack-Platten zu spielen. Das Konzept ist mittlerweile also schon fast 100 Jahre alt.
Für uns hier in Europa ziemlich ungewöhnlich. Wann hatten die Jazz Kissa denn ihre Hochphase?
Das war in den 1960er und vor allem 1970er Jahren. Damals kostete eine einzige Schallplatte in Japan ca. ein Drittel Monatsgehalt. Plattenspieler, Verstärker und Lautsprecher waren natürlich noch teurer. Deswegen waren die Jazz Kissa so populär. Man konnte auf einer hervorragenden Hifi-Anlage seine Lieblingsplatten bei einer Tasse Tee, einem Kaffee oder einem Glas Whisky hören. Die Kissa sind so auch einer der Gründe, warum es in Japan so viele Jazz-Fans gibt.
Gibt es diese Jazz- und Hifi-Bars heute immer noch?
Ja, etwa 600 gibt es noch, aber in den 70ern waren es sicher drei Mal so viele. Während der 60er und 70er Jahre konnte man mit diesem Konzept noch viel Geld verdienen. Heute wird das natürlich immer schwieriger. Oft werden die Jazz Kissa deshalb von der Familie der ursprünglichen Besitzer ohne Personal betrieben oder die Betreiber bekommen eigentlich schon eine Pension, halten ihr Geschäft aber trotzdem geöffnet.
Ich habe gelesen, dass man sich in manchen Kissas nicht unterhalten durfte. Ungewöhnlich für eine Bar, oder?
Das galt meist nur zu bestimmten Tageszeiten und resultierte daher, dass manche Gäste mit anderen aneinandergerieten, weil die sich laut unterhielten. Darum haben die Kissa-Besitzer manchmal solche Regeln aufgestellt. Heute ist das nur noch selten so. Aber die Musik in den Kissa ist meist sowieso zu laut, als dass man sich unterhalten könnte.
Also spielt die Musik die absolute Hauptrolle?
Natürlich, in einer Jazz Kissa kann man Musik auf außergewöhnlichen Musikanlagen hören, die manchmal viele tausend Euro wert sind. Vor allem in Großstädten können die meisten Japaner sonst nur mit Kopfhörern Musik genießen. Aber das ist etwas ganz anderes, als sie auf einer großen Anlage in entsprechender Lautstärke zu hören. Selbst bei Stücken, die man eigentlich sehr gut kennt, hört man da ganz neue Dinge.
Ist die Qualität von Essen und Getränken damit völlig egal?
Nein, überhaupt nicht. Früher gab es zwar Kissa, die nur Tee servierten. Das hatte aber eher damit zu tun, dass sie keine Lizenz für den Alkoholausschank bekamen. Heute gibt es fast überall auch alkoholische Getränke. Heute zählt die Qualität des gastronomischen Angebots generell viel mehr. Früher war nur die Plattensammlung wichtig, heute können Jazz Kissa nicht mehr überleben, wenn sie gastronomisch nicht überzeugen.
Wie sehen Sie die Zukunft für dieses einzigartige Gastrokonzept?
Ich glaube, die Jazz Kissa werden nie ganz verschwinden. Man wird damit kein großes Geld verdienen können. Aber selbst wenn die ursprünglichen Besitzer sterben, übernehmen häufig ihre Kinder oder auch ehemalige Stammgäste das Lokal, weil sie die Musik und den Sound lieben. Interessanterweise erzählen mir auch immer mehr Leute, die gar nicht in Japan leben, dass sie davon träumen, in ihrem Land auch eine Jazz Kissa zu eröffnen. Es scheint also, dass dieser Traum in seiner ganz kleinen Nische etwas Universelles ist. Die Kissas werden der Welt also wohl erhalten bleiben.
Mittlerweile gibt es in Städten wie London oder L.A. neue Listening-Bars mit sehr hochwertigen Audioanlagen wie das Spiritland. Wie sehen Sie diesen Trend?
Die Menschen interessieren sich wieder mehr für Audio und Vinyl, das sieht man auch am Erfolg von solchen Bars. Aber im Kern geht es immer um die Liebe zur Musik. Wer die nicht hat und solche Konzepte nur als weiteren Trend sieht, der wird sicher scheitern.
Vielen Dank für das Gespräch, Katsumasa-san!