Wie man die Emotion und das Bemühen beim Gastgeben spüren lässt, wie man seine Gäste dort abholt, wo sie sind, und ihnen die Wünsche – aber auch Beschwerden – von den Augen abliest, erzählt der Seminartrainer für Gastronomie Kurt Steindl im Interview.
"Gutes Service kann einen Abend noch retten, wenn in der Küche etwas schiefgegangen ist. Umgekehrt ist das schwieriger, da kann das Essen noch so gut sein."
Kurt Steindl, Vortragsredner und Hoteltester
Was macht Ihrer Meinung nach einen guten Kellner aus?
Der Kellner ist in erster Linie Gastgeber. Das kann man aus dem Privaten herleiten: wenn man daheim Gäste einlädt. Da muss man unterscheiden zwischen Freundlichkeit und Herzlichkeit. Freundlichkeit kann man spielen, Herzlichkeit ist aber immer echt. Die Gastronomie ist wohl die emotionalste Branche, die es gibt! Kein Gast sagt: „Heute geh’ ich schlecht essen.“ Vorfreude ist positive Emotion pur und diese Vorfreude muss der Kellner auffangen und nutzen.
Was heißt das?
Mit einem einleitenden Satz wie diesem fängt man den Gast auf und bereitet ihm einen angenehmen Start in den Abend. „Guten Abend, mein Name ist Martin“ – das schafft Beziehung. Wenn das gut läuft, sind 50 % der Serviceaufgabe schon erledigt. Martin stellt dann aber keine Frage, sondern berät den Gast unaufdringlich. Etwa so: „Als Aperitif empfehle ich ein Glas prickelnden Prosecco, mit einem kleinen Schuss hausgemachtem Rhabarbermark“ – das Kellnern ist Showbusiness, „hausgemacht“ ist gerade so etwas wie ein Zauberwort. Der Gast will umworben werden, aber nicht zu sehr. „Das ist sehr erfrischend und wäre ein schöner Einstieg in den heutigen Abend“ – bildet die emotionale Komponente, will doch jeder einen schönen Abend verbringen. „Was sagen Sie dazu?“ – die Abschlussversuchsfrage gibt dem Gast die Möglichkeit zu Einwänden („nein, danke, keinen Alkohol“) oder einfach zu sagen: „Zweimal, bitte.“ Und dann bestellt man womöglich sogar einen Prosecco, obwohl man sonst nie Prosecco trinkt.
Dabei kann man aber viel falsch machen. Was muss man beachten?
Das Ganze darf der Kellner nur machen, wenn er selbst davon begeistert ist und wenn er die Wahrheit sagt. „Hausgemacht“ nur verwenden, wenn es wirklich hausgemacht ist. Leidenschaft und Begeisterung erzeugen positive Emotionen – ich muss selbst davon überzeugt sein und es gern machen. Wenn ich es nicht gern verkaufe, schreibe ich mein Angebot besser auf die Karte und sage gar nichts dazu.
Wie viel nachfragen ist gut, ab wann wird’s nervig?
Da gibt es keine Faustregel, das entscheidet sich in der Situation. Vorgaben sind da fehl am Platz. Verkaufen bedeutet heutzutage, dem Gast eine Freude bereiten, mit dem Hintergedanken werde ich nie lästig sein. Wenn ich hingehe und kein Lächeln mehr ernte, habe ich etwas falsch gemacht. Kellner müssen das spüren, sie müssen eine hohe Sensibilität haben – „den Gast lesen können“. Wo ist der Gast, was braucht er gerade, womit kann ich ihm eine Freude machen? Das ist eine Haltungssache, eine Einstellungssache. In vielen Lokalen steht: „Bei uns steht der Gast im Mittelpunkt“, und dann schaut man sich die Kellner an und man merkt, die denken an ganz was anderes. Dafür eignet sich ein tägliches Briefing, damit holt man die Mitarbeiter ins Boot. Dem widmet man jeden Tag zehn Minuten, in denen man das Bewusstsein für den Gast bildet. In der Hotellerie wird das noch öfter gemacht als in der Gastronomie.
Welche Erwartungen hat der moderne Gast?
Es gab noch nie so kritische, so informierte und damit auch so mächtige Gäste. Das Internet hat unsere Branche sehr stark verändert. Die Erwartungen der Gäste sind in den letzten Jahren sehr gestiegen, weil sie sofort jedes Restaurant, jedes Lokal miteinander vergleichen können. Dadurch entstand ein sehr kritisches Publikum mit höherer Preissensibilität. Schnäppchenjagd scheint damit zu einem Volkssport geworden zu sein. Das kam vor allem mit Bewertungsplattformen im Internet. Generell gilt nach meiner Meinung nach wie vor, dass man dem Gast eine Freude bereitet. Das hat sich nicht verändert.
Wie kann ein Gastronom auf diese Schnäppchenjäger eingehen? Muss man da preislich mitziehen?
Ich würde den Fokus auf die Emotionalität legen. Je mehr der Gastronom es versteht, sein Angebot mit Emotionen aufzuladen, desto mehr relativiert sich auch der Preis und die Gäste kommen trotz höherer Preise gerne wieder. Vielleicht haben Sie das selbst auch schon erlebt: Sie gehen irgendwo essen und die Stimmung ist phantastisch, die Kellner sind nett und das Essen ist gut. Und plötzlich kommt man so in einen Flow hinein, dass man sagt: „Da wollen wir noch nicht gehen, da wollen wir noch etwas trinken.“ Man will bleiben, weil die Stimmung so toll ist. Wenn das Ambiente eine tolle Emotionalität hat – und das beginnt eigentlich schon vor dem Restaurantbesuch und spätestens mit der Begrüßung im Lokal –, dann steigert das die Aufenthaltsdauer, die Konsumation und vor allem den Werbeeffekt. Die Gäste gehen mit einem guten Gefühl hinaus und erzählen ihren Freunden und Bekannten davon. Früher war der Verkauf oftmals eine Frage der Technik, heute ist Verkauf eine Frage der Beziehung zum Gast.
Was macht man aber nun, wenn man eine Beschwerde bekommt?
Eine Information dazu vorweg: Nur vier von 100 unzufriedenen Gästen wollen sich tatsächlich beschweren oder sagen es dem Gastronom auch. Die meisten Beschwerden werden nicht laut gesagt, weil sich nicht viele Gäste in die unangenehme Situation einer Beschwerde begeben wollen. Das kennen Sie sicher, Sie waren unzufrieden und haben nichts gesagt, aber beim Rausgehen haben Sie sich geschworen, dass Sie da nie wieder hingehen. Und das erzählen Sie auch Ihren Bekannten. Diese Situation ist die gefährlichste für jeden Gastronomen.
Was macht man in so einem Fall?
Wenn mir jemand auffällt, der unzufrieden sein könnte, muss ich sofort etwas tun. Ist diese Person ein Stammgast, könnte ich sie vorsichtig drauf anreden. Auf keinen Fall aber mit der Tür ins Haus fallen und etwas sagen wie: „Gell, heut’ schmeckt’s dir nicht.“ Man könnte vorsichtig nachfragen, was denn hätte besser sein können. Das kann beim Gast ein Zungenlöser sein, aber eben nur, wenn man schon eine gute Beziehung zum Gast hat. Neue Gäste würde ich überhaupt nicht ansprechen, sondern einfach mit einer kleinen Freude überraschen. In jedem Fall muss das Bemühen spürbar sein. Bei einer Beschwerde geht es immer um einen Missstand und dann sollte der Gast merken, dass dieser Missstand aus der Welt geschafft werden will. Es ist nicht der Wert der Wiedergutmachung entscheidend, sondern die Geste. Manchmal wird nach einer Beschwerde einfach ein Kaffee angeboten und der Gast bleibt mit dem Gefühl eines Almosens zurück, das er bekommen hat, weil er sich beschwert hat. Das darf nicht sein. Das aufrichtige Bemühen ist das Wichtigste, das muss der Gast spüren können.
Wie zum Beispiel?
Etwa mit einer großzügigen Wiedergutmachung. Es geht nicht darum, wie ich am billigsten aus der Affäre komme. Ich persönlich mag keine Rabatte oder Nachlässe, sondern ich gebe gern etwas dazu. Das ist psychologisch wertvoller. Aber bitteschön nicht mit einem faden „Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“, sondern einem eleganten „Darf ich Sie vielleicht auf einen original italienischen Cappuccino einladen mit Schokostreuserl drauf, würde ich Ihnen damit eine Freude machen?“ Die Formulierung macht’s aus.
Wie bildet man die Kellner in Hinblick darauf aus?
Im Umgang mit Beschwerden gibt es ein paar Grundregeln: Gutes Beschwerdemanagement beginnt mit der Beziehung zum Gast. Höre ich wirklich zu oder habe ich eine vorgefasste Meinung? Kann ich die Beschwerde überhaupt annehmen? Dann folgt der ehrliche Ausdruck des aufrichtigen Bedauerns. Es geht nicht ums Entschuldigen oder um ein Schuldeingeständnis, sondern um das aufrichtige Bedauern des Fehlers. Im besten Fall kann man sich für die Beschwerde auch bedanken, schließlich könnte der Gast ja auch nichts sagen, gehen und nie mehr wieder kommen.
Muss man dem Servicepersonal also Verhaltensvorgaben machen?
Nein, Standards sind immer schlecht. Wenn der Kellner ein hohes Niveau hat und sich mit Standards aufhalten muss, verliert er viel von seiner Persönlichkeit. Dann wird nicht mehr selber mitgedacht, sondern nur mehr nach den Verhaltensvorgaben gearbeitet. Es geht um die Einstellung des Mitarbeiters. Bei der Suche nach Mitarbeitern muss man die Leute auf die Bereitschaft testen, wie gern und offen sie auf die Gäste zugehen. Es ist in jedem Restaurant oder Hotel egal, von welcher Seite der Salat serviert wird, es ist wichtig, dass er dem Gast eine Freude macht. Es gibt kaum eine Branche, in der man so schnell eine Rückmeldung bekommt, die man auch sofort umsetzen kann. Und wenn er dem Gast eine Freude gemacht hat, geht es auch dem Kellner gut.
Infos zu Kurt Steindl: www.kurtsteindl.com
DO'S
Bemühen. Das heißt eine Beziehung zum Gast aufbauen und zeigen, dass man gerne für den Gast da ist. Nicht nur im Guten, auch im Falle einer Beschwerde muss das Bemühen spürbar sein.
Bildhaft sprechen. Es braucht eine bildhafte Sprache: Hauptwort und ein Attribut dazu. Semmelknödel – damit bekommt man ein Bild. Flaumiger Semmelknödel – da hat man schon eine genauere Vorstellung. Die Dinge nicht nur benennen, sondern beschreiben, sodass ein Bild entsteht. Aus einem einfachen Produkt wird so etwas Besonderes, ohne dass man das werblich übertreibt.
Ehrlich sein. Freundlichkeit kann man aufsetzen, Herzlichkeit kommt von innen. Der Gast kann die innere Haltung des Kellners spüren.
DON’TS
Besserwissen. Sich auf fachliche Kriterien berufen, obwohl es gegen des Willen des Gastes ist. Der Gast will z. B. Rotwein zum Fisch – anstatt zu sagen: „Das passt aber gar nicht,“ besser in die Küche gehen und den Koch um eine Sauce bitten, die zum Rotwein passt.
Belehren und bevormunden. Gäste wollen lernen, aber nie belehrt werden. Immer mehr interessieren sich die Gäste auch für Details der Branche, aber sie wollen nie den erhobenen Zeigefinger spüren.
Übertreiben und werben. Übertreibung macht den Gast eher misstrauisch.
AKTIVER VERKAUF: SO GEHT'S
1. Lerne das Angebot kennen. Viele Mitarbeiter verkaufen etwa einen Aperol, wissen aber gar nicht genau, was das ist und woraus es besteht, können es also nicht richtig beschreiben und keine Zusatzinfos geben. So trauen sie sich auch nicht aus der Deckung heraus.
2. Baue eine gute Beziehung zum Gast auf. Das beginnt bei der Begrüßung: „Guten Abend, mein Name ist Martin, ich bin heute Abend Ihr Kellner.“
3. Finde die beste Beschreibung für das Angebot. Die bildhafte Beschreibung macht’s aus. Grundregel: Hauptwort plus Attribut.
4. Frage dich: was ist das Besondere daran? Attribute verleihen dem Gesagten die emotionale Komponente und erschaffen ein lebhaftes Bild im Kopf des Gastes.
5. Formuliere eine Abschlussversuchsfrage. „Wäre das etwas für Sie?“ ist eine gute Frage, um dem Gast die Entscheidung offenzulassen und ihm nicht das Gefühl von Bevormundung zu geben. Trotzdem fühlt er sich begleitet und gut informiert.