"Kochshows sind wie Pornos! Ein Fetisch für ungestillte Süchte!“ Wer sagt das? Natürlich kein Geringerer als TV-Koch, Autor und Provokateur Anthony Bordain, und er setzt noch eins drauf: „Die Leute haben zu wenig Sex!“ Ach, wirklich? Hand aufs Herz: Wie oft sehen Sie sich Kochshows an? Einmal in der Woche? Täglich?TV-Kochshows sind schon ein verrücktes Format. Das wichtigste Sinnesorgan für das Essen, der Geschmack, ist bei den Kochshows in der Flimmerkiste komplett ausgeblendet. Trotzdem können wir einfach nicht die Finger, ähm, Augen davon lassen, wenn uns andere zeigen, wie sie ihr Fleisch in der Pfanne brutzeln.
SEX, DRUGS & KOCHEN?!
Über 30 TV-Köche und mehr als 50 Kochshows buhlen im deutschsprachigen Fernsehen nonstop um unsere Aufmerksamkeit. Sie heißen Lafer, Lichter, Lanz, Henssler, Rach, Mälzer, Zacherl, Wiener, Oliver. Sie suggerieren uns, dass das Gastgewerbe „Fun, Fun, Fun“ ist und Gastronomen überhaupt ein ziemlich leichtes Leben haben. Stress? Wir doch nicht! Eigenes Lokal? Kann doch jeder! Sterneküche? Ein Kinderspiel! Spaß? Sowieso! Die medialen Pfannenschwinger haben nonstop gute Laune auf allen Kanälen. Das im Koch-Fernsehen suggerierte Image der Köche hat allerdings nicht viel mit der Realität zu tun. Man inszeniert sich und seine Marke. Das Kochen und die Wissensvermittlung, ja, der einstige Bildungsauftrag der Kochsendungen ist komplett von der Bildfläche verschwunden. Kochen wurde Pop und Köche wurden zu Popstars.
MISSION MARKENBOTSCHAFT
Selbstinszenierung ist das Gebot der Stunde, das weiß auch Game of Chef-Juror Holger Bodendorf zu berichten. „Wenn du das nicht kannst, hast du als Koch im Fernsehen nichts verloren.“ Dem deutschen Sternekoch war bei seinem TV-Auftritt aber vor allem eine möglichst authentische Selbstinszenierung der Marke Bodendorf wichtig. „Als ich nach ein paar Drehtagen meine Schüchternheit abgelegt habe, konnte ICH wirklich ICH sein vor der Kamera. Das war dann nicht gestellt, das war dann wirklich ICH“, betont er gleich mehrmals in unserem Gespräch. So weit, so gut. Aber welche Eigenschaften braucht denn ein junger Koch, um eine Fernsehkarriere zu starten?
„Zuerst einmal sollte sich jeder Koch gut überlegen, ob und warum er denn überhaupt ins Fernsehen möchte. Man sollte im Idealfall schon vorher einen Laden oder einen Namen haben, der funktioniert. Alles andere kann darauf aufgebaut werden“, weiß ZDFneo Sendungsmacher Christian Liffers, der u. a. das Food Adventure Beef Buddies mitkreiert hat. Er betont aber auch, dass sich alleine mit TV-Shows kein großes Geld machen lässt. Schließlich gelingt es nur wenigen Köchen, gleich von Anfang an einen Sendeplatz um 20.15 Uhr zu ergattern. Warum wollen dann trotzdem alle ins Fernsehen? Um nicht reich, sondern einfach nur berühmt zu werden? Game of Chef-Juror Holger Bodendorf spricht von einer „gigantischen Auswirkung“ seines TV-Auftritts auf die Umsatzzahlen seines Restaurants. „Die Leute kommen nach Sylt und wollen mich sehen.“
Ähnlich geht es Rolf Zacherl, Deutschlands jüngstem Sterne- und dienstältestem TV-Koch. „Wenn auf einmal wildfremde Menschen auf einen zukommen und ein Foto möchten, fühlt sich das schon sehr unwirklich an.“ Seit 2003 steht Zacherl vor der Kamera, mit seiner Glatze, dem markanten Kinnbart und seiner näselnden Sprechweise ist der Sachsenhausener durchaus eine Erscheinung, die dem Zuschauer in Erinnerung bleibt. Mission Markenbotschaft erfolgreich im kollektiven Couch-Potato-Gedächtnis platziert. Genau darum geht es ja schließlich in der Unterhaltungsbranche: Aufmerksamkeit. Und einen deutschen Koch mit fehlender Frisur und Dauerschnupfen, den merkt man sich einfach. Genau das dachten sich vermutlich auch die Sendungsmacher von PRO 7, die damals Zacherl von der Küche weg gecasted haben. „Man suchte einen jungen, innovativen Koch. Die Agenten sind über mich ‚drübergestolpert‘“, erzählt er.
MAN NEHME: 1 PRISE SOUVERÄNITÄT, 4 LÖFFEL AUTHENTIZITÄT,
5 LITER SCHMÄH
„Um gut rüberzukommen, sollten TV-Köche Souveränität ausstrahlen, sympathisch sein, einen guten Schmäh haben und das Leben nicht allzu ernst nehmen“, erklärt Medienpsychologe Vitouch weitere Ingredienzen für das Erfolgsrezept TV-Koch. Nicht zu vergessen auf Authentizität. Und fertig wäre die Marke Kochrockstar. Nur: So einfach ist die ganze TV-Kiste auch wieder nicht. „Der Wechsel von der Küche in das Aufnahmestudio war am Anfang definitiv keine Liebesheirat“, gibt Zacherl offen zu. „Ich bin ja nicht so der Fernsehtyp“, sagt er und lacht. Immerhin ist Ralf Zacherl eine eingetragene Marke. „Man darf sich aber nicht zu viel Druck aufbauen. In meinen Shows geht es ja eher darum, die Zuseher unfallfrei von A nach B zu bringen“, betont Zacherl.„Das Kamerakochen hat nichts mit dem zu tun, was sich in Wirklichkeit in den Gourmet-Tempeln abspielt. Dort wird nicht gelacht. Die echte Profi-Küche ist mit viel mehr Arbeit verbunden, als man vielleicht glauben möchte. Der Stressfaktor ist immens hoch“, erzählt er. „Es ist ja auch kein Zufall, dass viele Starköche immer wieder ein Time-out brauchen oder gleich ganz aussteigen, weil sie den Druck nicht aushalten“, ergänzt Medienpsychologe Vitouch.