Wer in seiner Küche auf Exotik setzt, ist in Hawai genau richtig. Im tropischen Klima gedeiht zu jeder Jahreszeit eine üppige Vielfalt an Pflanzen: Kokosnüsse, Zuckerrohr, Süßkartoffeln, Ananas, Bananen, Macadamia-Nüsse, Lychees ... Die Liste könnte immer so weitergehen. Vor den Küsten tummeln sich dazu exotische Fische und Meeresfrüchte. Man kann sich nicht sattsehen, aber definitiv sattessen in Hawaii.
Arche Noah der Aromen
Die Nationalküche Hawaiis, das seit 1959 als 50. Bundesstaat zu den Vereinigten Staaten gehört, ist genauso bunt und vielfältig. Denn lange blieben die polynesischen Ureinwohner nicht alleine in ihrem Paradies: Bereits seit dem 18. Jahrhundert strömen Einwanderer aus Asien, Europa und Amerika auf die Vulkaninseln und bringen ihre regionalen Gerichte und Zutaten mit. Irgendwie gleicht die hawaiianische Küche einer Arche Noah des Geschmacks: Die Koreaner brachten Kimchi und Bulgogi, die Japaner Reis, Sashimi, Teriyaki, Nudelsuppen und Sojasauce, die Portugiesen Gewürze wie Chili und Gebäck, die Vietnamesen Zitronengras und Fischsauce, Puerto Ricaner Casseroles und Pasteles. Die Liste der Nationalitäten, die Hawaiis Köche beeinflusst haben, scheint endlos. Entstanden ist eine hocharomatische, vielfältige und sehr experimentierfreudige Fusionsküche.
In den großen Hotels auf den Inseln spielte die regionale Kochkunst allerdings lange eine untergeordnete Rolle und es wurde überwiegend mit importierten Waren gearbeitet. Erst Anfang der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts bildeten zwölf visionäre Köche – unter ihnen Roy Yamaguchi, Alan Wong und Peter Merriman – eine Gruppe, die es sich zum Ziel setzte, die herrlichen hawaiianischen Produkte miteinzubeziehen. Gemeinsam schrieben sie das Buch „The New Cuisine of Hawaii“ und erschufen die Pacific Rim Cuisine.
Fusion Deluxe
Die Pacific Rim Cuisine vereint tropische Zutaten mit asiatischen Aromen und gehobener französischer Kochkunst. Auch Einflüsse aus den USA und Südamerika sind spürbar. „Für mich ist sie der Inbegriff von Fusion“, so Daniel Wiesner, der in Zürich, Bern und Basel unter anderem asiatische Nudel- und Sushi-Bars betreibt. Die Tatsache, dass er dort spezielle Gerichte aus der Pacific Rim Cuisine auf der Karte hat, macht ihn zum Vorreiter. Während die exotisch-aromatische Küche in den USA längst megaerfolgreich ist, beginnt man diese in Europa erst langsam zu entdecken. Absoluter Trendsetter war in dieser Hinsicht wieder einmal der Top-Gastronom Kurt Zdesar, der in London stets neue Maßstäbe mit seinen Lokalen setzt (z.B. „Chotto Matte“). Mit der Eröffnung der „Black Roe Poké Bar“, in der Pacific Rim Cuisine perfekt umgesetzt wird, hat er im März 2016 für Begeisterungsstürme gesorgt. Auch der Schweizer Daniel Wiesner hat sich dort inspirieren lassen.
Bunt, kreativ, gesund
Die Hauptrolle in der Pacific Rim Cuisine spielt ganz klar der Fisch – roh, gegrillt und geräuchert. Fleisch, vor allem Geflügel und Schwein, wird traditionell im Erdofen gegart oder mariniert auf den Grill oder Smoker gelegt. Hier wird der Einfluss der amerikanischen BBQ-Kultur deutlich. Zu Fisch und Fleisch kombiniert man knackiges Gemüse, exotische Früchte wie Mangos, Guaven, Ananas, Lychees, Macadamia-Nüsse, Taro (Wasserbrotwurzel), Süßkartoffel – aber auch asiatische Produkte wie Sojasauce, Seegras, Gyoza, Umeboshi-Pflaumen oder Saimin-Nudeln und natürlich jede Menge Gewürze aus allen Teilen der Welt, wie z. B. Sternanis, Piment, Hawaii-Salz, Chili. „Charakteristisch ist der intensive Geschmack“, weiß Michael Bahn, Küchendirektor im Cube Stuttgart – einem der wenigen Restaurants in Deutschland, in denen man seit Jahren eine innovative Pacific- Rim-Crossover-Küche anbietet. „Wir möchten unsere Gäste immer wieder neu überraschen und ihnen ein kulinarisches Erlebnis bieten.“ Dies gelingt Michael Bahn und seinem Team zum Beispiel, wenn sie Thunfisch mit Passionsfrucht-Sorbet servieren, Wan-Tans mit schwäbischen Maultaschen kreuzen oder mit Erdnussbutter, Nachos und Popcorn in der gehobenen Küche experimentieren. Eine Herausforderung stellte noch vor ein paar Jahren die Beschaffung der entsprechenden Zutaten, wie z.B. Gyoza-Teig, Kiawe-Grillholz oder original Hawaii-Salz dar. Doch dank Internet ist auch das längt kein Problem mehr.
Für jeden etwas dabei
Übertreiben sollte man es mit dem wilden Mix von Komponenten und Aromen nicht. Nicht jeder europäische Gaumen mag z.B. die Kombination von scharf und süß. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Pacific Rim Cuisine gut ankommt. „Es gibt eine richtige Fangemeinschaft“, erzählt Stephane Bernet, der mit dem Maori 2014 das erste Restaurant dieser Art in der Schweiz eröffnete. „Der Mix aus Fisch und Fleisch schmeckt vielen und weckt Urlaubserinnerungen“, erzählt er im Interview. Unser ‚beef and reef‘ (Rinderfiletstreifen mit Black Tiger-Shrimps) ist der absolute Renner auf der Karte. Zudem treffen die vielen leichten Gerichte mit rohem Fisch, exotischen Früchten und frischem Gemüse absolut den Nerv der Zeit.“
Der nächste Hype: Poké
Der absolute Superstar aus der Pacific-Rim- Küche aber ist Poké. Der polynesische Bruder von Sushi ist das Trendgericht in den USA und England – bereit, auch das europäische Festland zu erobern. Das gesunde Fast Food wird z. B. in besonderen Poké-Bars angeboten, vor denen sich regelmäßig lange Schlangen bilden, weil niemand genug bekommt von dem schmackhaften Mix aus zartem mariniertem rohem Thunfisch oder Lachs, leicht gewärmtem Reis oder knackigem Salat, viel Grünzeug, knusprigen Toppings und würzigen Saucen. Häufig können die einzelnen Komponenten selbst zusammengestellt werden und kommen in Minutenschnelle in die (unvermeidliche) Bowl. Gerade im Frühjahr und Sommer sicher ein Liebling auf allen Speisekarten!
Wird Poké vielleicht sogar Sushi vom Platz fegen? „Das glaube ich nicht“, sagt der Schweizer Gastroprofi Daniel Wiesner. „Poké ist mit Sashimi oder Ceviche vergleichbar. Wenn man richtig guten Fisch verwendet, sind die Warenkosten dafür einfach höher als bei Sushi und nicht jeder will das bezahlen.“ Ganz vorbeikommen wird man im Sommer 2017 aber nicht an der „Superbowl“. Das beweist nicht nur Kurt Zdesar mit seinem „Black Roe“, sondern auch die Tatsache, dass bereits in den nächsten Monaten einige Poké-Bars in Deutschland und der Schweiz eröffnet werden sollen. Nicht mehr lange also, und Poké wird – nicht nur sprichwörtlich – in aller Munde sein.