Seit 2010 gilt die mexikanische Küche als UNSECO-Weltkulturerbe. Völlig zu Recht, denn sie ist – salopp formuliert – ein weltweit einzigartiger Eintopf einer überaus bewegten Geschichte. Die Ureinwohner koch-ten mit heimischen Früchten und Gewürzen, wie Mais, Bohnen, Tomaten, Chili, Erdnüssen, verwendeten aber auch schon Vanille und Kakao. Die Spanier brachten Öl, Weizen und die Tierhaltung zur Fleischgewinnung ins Land, später kamen mit den Handelsschiffen auch noch exotische Früchte und Gewürze aus Asien. All diese Zutaten haben sich über die Jahrhunderte zu einem großen Ganzen vermengt, zu der original mexikanischen Küche, wie wir sie heute kennen.
Mais, Bohnen und Chilis spielen ganz klar die Hauptrolle, Tortillas aus unterschiedlichsten Maismehlsorten sind praktisch allgegenwärtig, aber die Cocina Mexicana hat dank ihrer Früchte- und Gewürzvielfalt deutlich mehr zu bieten. Mexiko gilt in Lateinamerika als Genuss-Hochburg, auch international zählen die vielfach prämierten Fine-Dining-Restaurants des Landes zu den allerbesten der Welt. Die geografische Nähe zu Amerika hat die Welle der kulinarischen Begeisterung schon vor ein paar Jahren ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten überschwappen lassen. In Europa macht vor allem das mexikanische Streetfood von sich reden, denn für seine Anhänger ist ein frischer Taco, Burrito oder Quesadilla mit Füllung, Topping und Salsa immer eine Sünde wert.
Kulinarische Hochkultur
Es sollte aber ausgerechnet ein US-Amerikaner sein, der die Popularität original mexikanischer Gerichte außerhalb Mexikos in neue Höhen führt. Rick Bayless aus Oklahoma City hat es sich, einem Prediger gleich, zur Lebensaufgabe gemacht, die authentische und aufgrund ihrer großen regionalen Unterschiede auch ungemein vielfältige Küche des lateinamerikanischen Landes über die Grenzen hinaus bekannt zu machen. In acht Kochbüchern und zwölf Staffeln seiner TV-Show „Mexico: One Plate at a Time“ reist der vielfach ausgezeichnete Starkoch seit fast 40 Jahren kulinarisch von Guaymas im Norden ins südlich gelegene Oaxaca, und vom westlichen Guadalajara nach Cancún ganz im Osten Mexikos. Er betreibt sieben Restaurants und Bars in Florida, Los Angeles und Chicago, darunter das Frontera Grill und das Topolobampo, in denen Anbeter feinster mexikanischer Kochkunst verlässlich ins kulinarische Paradies eintreten.
Diese Pionierarbeit hat auch andere Köche ermutigt, die wahren Geschmäcker Mexikos in die Welt hinaus-zutragen. Einer von ihnen ist Enrique Olvera, dessen innovatives Haute-Cuisine-Restaurant Pujol in Mexico-City regelmäßig in die Topplatzierungen der 50 besten Restaurants der Welt gehoben wird. Gemeinsam mit Küchenchefin Daniela Soto-Innes eröffnete er 2014 das Cosme in New York City, das sich mittlerweile ebenfalls einen Stammplatz in besagter 50er-Liste erkochte. „Mexikanisches Essen wurde früher oft als ungezwungen und preiswert empfunden“, sagt Olvera in Anspielung auf die große Ära der amerikanischen TexMex-Küche und Soto-Innes fügt hinzu: „Wir wollten deswegen Gerichte auf einem Niveau präsentieren, das die Mexikaner stolz macht.“ In ihrer Küche überwinden die beiden gängige Klischees und vermischen traditionelle mexikanische Rezepte mit regionalen Trends sowie saisonalen Zutaten. Hier wird nicht einfach mexikanische Küche geboten, sondern tatsächliche Kochkunst gelebt.
Hippes Streetfood
Mit den höchsten Weihen in der Liste der weltweit besten Restaurants bedacht zu werden, ist auch für Rosio Sanchez eine bekannte Erfahrung. Die quirlige Amerikanerin ist Tochter mexikanischer Einwanderer, arbeitete einst im berühmten WD50 in NYC und war danach Patissière im Kopenhagener Noma. 2015 stieg sie aus und erfüllte sich in ebendieser Stadt mit Hija de Sanchez den Traum von der eigenen Taqueria. Den Mais für ihre Tortillas lässt sie direkt aus Mexiko importieren, denn sein Geschmack unterscheidet sich signifikant von dem aus Europa, sagt sie. Unter Kennern der mexikanischen Küche werden ihre Tacos geradezu ehrfürchtig verehrt. „Europa hat einfach gutes mexikanisches Essen verdient“, beschreibt sie bescheiden ihre kulinarische Mission und ergänzt: „Unser Angebot ist nicht die streng authentische mexikanische Küche, vielmehr muss es nach Mexiko, nach Heimat schmecken.“
In ihrer Taqueria Hija de Sanchez in den bekannten Torvehallerne, den imposanten Markthallen nahe dem Bahnhof Nørreport im Zentrum Kopenhagens, setzt sie ihr Vorhaben in die Tat um. Geboten wird eine re-gelmäßig variierende Auswahl an Tacos, zum Kennenlernen empfiehlt Rosio Sanchez die Daily Combo mit drei unterschiedlichen kleinen Tacos – heute sind es der „Pastor Roasted Pork“, der „Beef“ und der „Veg-gie“. Das herrlich zarte Schweinefleisch des „Pastor Roasted Pork-Tacos“ wurde mit Achiote und Gewürzen mariniert und scharf angebraten, das Rindersteak für den „Beef Taco“ rastete vor dem Grillen in einer Limettenmarinade und die Kartoffelchips für den „Veggie Taco“ sind selbstgemacht, ebenso wie die herrlich feurige Salsa. Apropos Salsa, während in Mexiko traditionell bis zu 20 unterschiedliche Salsas angeboten werden, begnügt sich Rosio Sanchez mit drei, die den europäischen Gaumen umschmeicheln: die gelbe und extrem scharfe „Habanero“, die grüne, mittelscharfe „Jalapeno“ und die rote, milde „Arbol“. Die frohe Kunde von Sanchez’ außergewöhnlich delikaten Tacos verbreitete sich in Kopenhagen wie ein Lauffeuer und so hat Rosio mittlerweile eine zweite Taqueria und eine Cantina eröffnet, vor Kurzem auch noch das Restaurant Sanchez, in dem die moderne mexikanische Küche auf nordische Einflüsse trifft. Eine spannende Reise mit viel Mais und Chili.
Taco Transnational
Die Erfolge von Rick Bayless, Enrique Olvera oder Rosio Sanchez haben die mexikanische Küche auch wieder ins Mindset der Gastronomen in Deutschland und Österreich befördert. TexMex war gestern, jetzt ist das authentische Mexiko am Zug. Diesem Motto hat sich auch der gebürtige Mexikaner Miguel Zaldivar in Hamburg verschrieben und 2017 in St. Pauli seine Taqueria Mexiko Straße aus der Taufe gehoben. Hier, mitten auf dem Kiez, trifft Mexiko auf Hamburg“, erzählt er nicht ohne Stolz. Zur Begrüßung wird auch gleich Guacamole mit gebackenen oder frittierten Tortillachips aus Maismehl gereicht, alles natürlich selbstgemacht. „Einer der beliebtesten Tacos hier in St. Pauli ist der ‚Campechano‘, gefüllt mit einer Mischung aus schonend gegartem, saftigem Rindfleisch und würziger Chorizo mit roter Zwiebel und Koriander. Als Nachtisch stehen unsere Churros ganz oben in der Hitliste, in Zucker gewälzt und mit einer warmen Schokoladensauce zum Dippen.“
Vom Zuspruch der letzten Jahre getragen, hat Miguel Zaldivar im August 2020 eine zweite Mexiko Straße eröffnet, diesmal am Eppendorfer Weg. An beiden Standorten werden die beliebten Taco-Klassiker geboten, aber auch ein paar unterschiedliche Spezialitäten. So gibt es den König der Tacos – den „Taco Al Pastor“ – nur in der neuen Filiale: Saftiges, am Spieß gebratenes Schweinefleisch wird frisch aufgeschnitten auf einer warmen Tortilla mit Koriander, weißen Zwiebeln und gerösteter Ananas serviert. „Essen ist in Mexiko ein Event“, erzählt Zaldivar dazu, „darum bieten wir hier auch unsere Taco-DIY-Plates, bei denen jeder seinen individuellen Lieblings-Taco zusammenstellen oder ganz unkompliziert eine neue Kombination kosten kann.“ Zum Abrunden empfiehlt der Chef des Hauses ein Mezcal-Vanilleeis mit Churro-Häppchen, Popcorn und der in Mexiko obligaten Dulce de Leche, einer Milchkaramellcreme.
Reiche Vielfalt
Authentisches mexikanisches Streetfood, von Tacos über Burritos bis zu Quesadillas und Tortas, steht auch in Berlin hoch im Kurs. Raúl Oliver Arriaga war 2012 mit seiner Taqueria Chaparro einer der Allerersten, der von den Hauptstädtern für seine qualitativ hochwertigen Gerichte ins Abendgebet aufgenommen wurde. Mittlerweile wird der mexikanischen Küche Oliver Arriagas nicht nur in Kreuzberg gehuldigt, sondern auch gleich neben dem Berliner Tiergarten im bekannten Bikini-Haus. „Unser Konzept hat viele inspiriert, viel-fach wurden wir auch kopiert“, lacht Raúl Oliver Arriaga, „aber das Original bleibt eben das Original.“ Neben seinen beiden Chaparro-Lokalen übernimmt der gebürtige Mexikaner viele Caterings für die mexikanische Botschaft, kocht auf internationalen Events und hatte Anfang 2020 die Leitung des Pop-up-Restaurants im Waldorf Astoria Berlin inne, in dem die Hauptstädter mexikanisches Fine-Dining kennenlernen konnten.
Die vielen Stammgäste seiner Taqueria pilgern nicht nur der „Tacos al Pastor“ und „Tortas Carnitas“ wegen zu ihm, sondern vor allem auch für seine legendäre hausgemachte vegane Chorizo. Ein weiteres Highlight auf der Speisekarte: der „Taco Nopales“ mit gegrilltem Kaktusblatt. In den Straßenküchen Mexikos sind die Blätter der Feigenkakteen allgegenwärtig, in Europa ist dieses Superfood noch eine Rarität. „Fad wird es bei uns nie“, sagt Oliver Arriaga und meint damit nicht nur die fröhliche Stimmung in seiner farbenfrohen Taqueria, sondern die Abwechslung auf der Menükarte, denn der erfahrene Koch verbindet regionale und saisonale Produkte mit mexikanischen Küchentechniken und sorgt somit immer wieder für kulinarische Überraschungsmomente. Aktuell entwickelt er gerade eine eigene Produktlinie mit Taco-Kits, Salsas und Dips, um seinen Gästen die Möglichkeit zu geben, zuhause in den eigenen vier Wänden öfter einmal eine Fiesta Mexicana zu feiern.
Burritos & Bowls
Es müssen nicht immer Tacos sein, auch Burritos sind ein fixer Bestandteil des mexikanischen Streetfoods. Der Unterschied zum Taco liegt einerseits in der etwas dünneren Tortilla, die aus Weizenmehl hergestellt wird, und dass diese nicht über die Füllung geklappt, sondern gerollt wird. In Wien kann man in der Gorilla Kitchen beim Befüllen und Rollen der Burritos zusehen. Das kleine Lokal von Lisa Grabner und Christoph Heger hat sich zum beliebten Treffpunkt einer immer größer werdenden Fangemeinde entwickelt. „Die Basis unserer Burritos besteht aus einer Weizentortilla, die immer mit Bohnenmus, Limettenreis, Salat, Käse und einer Salsa nach Wahl belegt wird“, erklärt Lisa Grabner. „Zusätzlich kommt noch die vom Gast gewählte Füllung auf die Tortilla, anschließend wird sie geklappt und gerollt – fertig.“
Das Angebot in der Gorilla Kitchen besteht aus fünf unterschiedlichen Burrito-Füllungen – Pulled Pork, Guinessrind, Rotweinhuhn sowie Mangold-Kirchererbsen und Lotus-Tofu. „Für unsere veganen Gäste bieten wir die vegetarischen Burritos ohne Käse an. Für alle, die an Glutenunverträglichkeit leiden, sind unsere Burritos auch als Burrito-Bowls erhältlich, also selber Inhalt, aber ohne Tortilla“, lässt uns Lisa Grabner wissen. Die obligatorische Auswahl an Salsas in der mexikanischen Küche umfasst in der Gorilla Kitchen vier sehr geschmackvolle Varianten – Avocado-Tomaten (mild), Orangen-Chili (mittelscharf), Tomaten-Oliven-Kapern (scharf) und Habanero-Limetten (sehr scharf).
Kaiserliches Vergnügen
Und was haben mexikanische Burritos mit den Habsburgern zu tun? Eine ganze Menge, wenn es nach Stephan Ronay und Markus Herpich geht, die mit ihrem Max & Benito in Wien und Linz ein Stück gastronomischer Kulturgeschichte schreiben. In ihrer hauseigenen Geschichtsversion betete der Habsburger Maximilian, Kaiser von Mexiko, dereinst nichts mehr an als Burritos. Und als er auf seinen erbitterten Gegenspieler, den mexikanischen Staatsmann und Reformer Benito Juárez, traf, begannen die beiden nicht zu streiten, sondern in süßer Eintracht Burritos zu kochen. Wäre es tatsächlich so gewesen, hätte Österreich schon im 19. Jahrhundert den Genuss der großartigen mexikanischen Straßenküche kennengelernt. Aber so ist es jetzt die Aufgabe des Max & Benito, an mittlerweile sechs Standorten herrliche Burritos, Burrito-Bowls und Tacos zu servieren. Das System ist einfach, der Gast wählt eine Tortilla für Burrito oder Taco, danach das Filling wie beispielsweise gegrilltes Huhn mit Chipotle-Chili oder superlangsam geschmortes Schweinefleisch, und abschließend kann aus klassischen Toppings wie Bohnenmus, Limettenreis etc. gewählt werden. Mehrere Saucen in unterschiedlichen Schärfegraden runden das Angebot ab.
Die Verführungskünste der Cocina Mexicana sind und bleiben also mannigfaltig. Ihnen zu erliegen ist keine Sünde, sondern nur allzu menschlich. Täglich, ja stündlich betreten neue Pilger den Pfad der Erkenntnis und wagen sich an ihre ersten Tacos und Burritos. Dass dies nicht die letzten sein werden, ist so sicher wie das Amen im Gebet.