Im Frühjahr ist überall die Rede von den neuesten Detox-Produkten und Superfoods, die den schwungvollen Start in die warme Jahreszeit erleichtern sollen. Dabei wachsen die gesündesten Kraftpakete direkt vor der Haustür: Wildkräuter. Sie enthalten im Schnitt drei Mal so viel an Vitaminen und Mineralien wie konventionelles Gemüse und sind häufig verträglicher als exotische Superfoods. Der Grund dafür ist einleuchtend: Den Großteil der Menschheitsgeschichte haben wir uns überwiegend von den Pflanzen in unserer unmittelbaren Umgebung ernährt. Menschen und Kräuter haben sich also miteinander entwickelt und aneinander angepasst. Goji-Beeren und Chia-Samen werden dagegen oft nicht so gut vertragen, sind zum Teil mit Pestiziden belastet und teuer. Warum also nicht zu regionalen, saisonalen und kostenlosem Powerfood greifen?
Pflanzen mit Detox-Effekt
„Gerade im Frühling wachsen bei uns viele Wildkräuter, die dazu geeignet sind, den Stoffwechsel zu aktivieren und den Körper zu entschlacken, wie z.B. Löwenzahn, Vogelmiere, Bärlauch oder Brennnessel“, weiß auch Siegfried Wintgen, Küchenmeister, Gesundheitswissenschaftler, Ernährungsexperte und Referent der Kröswang Akademie. „Tatsächlich findet man zu jeder Zeit auf den Wiesen und in den Wäldern Pflanzen, die den Organismus optimal dabei unterstützen, die He- rausforderungen der jeweiligen Jahreszeit gut zu bewältigen.“ Traditionelle Gerichte wie die Gründonnerstags- oder Neun-Kräuter-Suppe beweisen, dass unsere Vorfahren bereits wussten, welche Pflanzen dem Körper gerade guttun. Von der Heilwirkung der Kräuter ist auch Haubenkoch Vitus Winkler vom Sonnhof in St.Veit im Pongau begeistert: „Neben dem geschmacklichen Wow-Effekt ist mir auch der gesundheitliche Aspekt der Kräuter wichtig.“ Er hat rund 80 Kräuter im eigenen Hotelgarten. Sein enormes Wissen rund um Schafgarbe, Löwenzahn & Co. gibt er gerne an seine Gäste weiter. „Vor allem unsere Kräuterspaziergänge werden sehr gut angenommen“, berichtet Winkler. „Wenn am Abend die Pflanzen im Menü serviert werden, die kurz davor selbst gesammelt wurden, dann ergibt das ein tolles Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst.“
Gäste lieben Wildkräuter
Wird den Gästen lebendig und vielleicht vom Chef persönlich vermittelt, dass z.B. ein Unkraut wie Giersch enorm schmackhaft und sehr gesund ist, dann landet das unbekannte Grün nicht am Tellerrand, sondern wird mit Begeisterung probiert. Wer zum Abschluss noch einen selbstgepflückten Tee und selbstgemachten Wildkräuter-Likör oder -Honig mitgeben kann, wird in guter Erinnerung bleiben. Vitus Winkler holt sich auch seine Inspiration für neue Rezepte aus der Natur: „Schon das Sammeln ist für mich eine wertvolle Auszeit“, erzählt der kreative Kochkünstler im Interview. „Gerade dann kommen meine besten Ideen. So entstand z. B. ein beliebtes Gericht, als ich Brunnenkresse gesammelt habe. Es ist einer Bachlandschaft nachempfunden – mit essbaren Steinen und gebeiztem Saibling, der dazwischen schwimmt.“
Beim Pionier der Kräuterküche
Genauso vielfältig und grün, aber etwas bodenständiger geht es in der Küche von Axel Kulmus zu. Der Allgäuer ist als „Kräuterwirt“ inzwischen in ganz Deutschland bekannt und hat bereits mit Wildpflanzen gekocht, als das noch für irritiertes Tuscheln unter den Gästen gesorgt hat. Im Landgasthof Rössle in Stiefenhofen serviert er seinen Gästen eine regionale Wirtshausküche – die er mit Kräutern verfeinert. „Es geht gar nicht darum, den Teller mit Wildkräutern vollzumachen“, erklärt Kulmus. „Das überfordert den Gaumen und einige Pflanzen sollte man gar nicht im Übermaß genießen. Aber ich garniere Salate mit saisonalen Kräutern und Blüten, habe u. a. Wildkräuterknödel oder frische Lachsforelle mit Kräutern auf der Karte und verfeinere vieles mit hausgemachten Kräuter-Pestos, -Chutneys, -Ölen, -Essig oder -Sirup.“ Das macht die Gerichte nicht nur herrlich aromatisch, sondern auch zur farbenfrohen Augenweide und sorgt dafür, dass der Kräuterwirt inzwischen zum Besuchermagneten geworden ist. Auch das Interesse von Presse und TV hat Axel Kulmus bereits geweckt.
So fängt man an
Aber wie beginnt man, wenn man von dem wilden Grünzeug noch keine Ahnung hat? Am besten, man hält beim nächsten Spaziergang einfach mal die Augen offen und sammelt zunächst einfach bestimmbare Kräuter, die häufig auftreten, wie z. B. Löwenzahn, Brennnessel oder Schafgarbe. Dann kann man sich mithilfe von Büchern oder des Internets nach und nach schlau- machen. Ideal ist natürlich, wenn man ein Seminar bei einem Kräuterprofi besucht und die Pflanzen bei einem Spaziergang direkt in der Natur besser kennenlernt. Es lohnt sich auch, die Oma mit dem grünen Daumen oder ältere „Kräuterweiblein“ aus der Gegend zu befragen. Häufig kennen sie noch Pflanzen und gute Sammelorte. Zudem wissen sie, welche Pflanzenteile verwendbar sind: Oft schmecken nicht nur die Blätter, sondern auch Samen, Knospen oder Wurzeln (z. B. bei der Brennnessel) köstlich und sehr unterschiedlich.
Dann gilt es die Geschmackswelten der einzelnen Pflanzen selbst zu erforschen. Viele Wildkräuter haben einen intensiven, zum Teil herben oder bitteren Geschmack (z. B. Gundelrebe), der vorsichtig dosiert und mit milderen Pflanzen (z. B. Vogelmiere, Giersch) kombiniert werden sollte. Sehr bittere Pflanzen können auch kurz in lauwarmes – und danach noch einmal in kaltes – Wasser eingelegt werden. Auch mit Sahne, Sauerrahm oder Crème fraîche sowie Kartoffeln lassen sich Bitterstoffe und Schärfe (z. B. bei Schaumkraut, Bärlauch) ausgleichen. Einen interessanten Kontrast zu herben Aromen kann süßes Obst bilden.
Ein wichtiger Tipp kommt noch vom Kräuterwirt Axel Kulmus: „Viele zarte Kräuter werden unschön braun-grau, wenn man sie zu lange mitkocht. Daher z. B. bei einer Wildkräutersuppe die Pflanzenteile erst fünf Minuten vor dem Servieren dazugeben.“ Wer die enorme Vielfalt der heimischen Kräuterwelt erst einmal entdeckt hat, der findet schnell eine ganze Reihe von aromatischen Schätzen. Und wer doch einmal langsamer war als das gierige Rindvieh, der kann sich schon auf das nächste Jahr freuen, wenn die grünen Superfoods ganz verlässlich wiederkommen.
Tipps fürs Sammeln
Wildkräuter-Sammeln kann schnell zur willkommenen Auszeit vom Kochalltag werden. Hier ein paar Tipps für Einsteiger.
Sicher bestimmen
Sammeln Sie nur, was Sie auch verlässlich bestimmen können! Informieren Sie sich über charakteristische Merkmale und Unterschiede zu ähnlich aussehenden Pflanzen. Verwechslungen können gefährlich werden, daher im Zweifelsfall lieber etwas stehenlassen.
Richtiger Ort & Zeitpunkt
Sammeln Sie nicht in der Nähe von Straßen, auf stark gedüngten Feldern oder in Naturschutzgebieten. Auch „Pipi-Meilen“ sollten Sie meiden. Die beste Zeit ist der Frühling. Aber auch im Sommer und bis in den Herbst hinein finden sich wilde Köstlichkeiten. Junge Triebe und Blätter schmecken in der Regel am besten.
Nicht zu viel sammeln
Gesammelt werden sollte nur das, was man auch wirklich tagesfrisch verarbeiten möchte. Lassen Sie immer Pflanzen stehen, damit der Fortbestand an diesem Ort gesichert ist. Da Kräuter am besten frisch verarbeitet werden sollten, empfiehlt es sich, lieber weniger und dafür öfter zu sammeln.
Bestes Werkzeug
Zum Ernten brauchen Sie eine Schere oder ein scharfes Messer. Wer Brennnesseln sammeln möchte, kann Handschuhe einstecken. Zum Transport eignet sich ein Korb, damit die Kräuter nicht zerquetscht werden und luftig gelagert werden können. Zuhause sollten Sie die Pflanzen noch einmal in Ruhe aussortieren.