An kreativen Ideen hat es der heimischen und internationalen Kochelite noch nie gemangelt und dennoch versucht nun einer die Branche mit originellen kulinarischen Kreationen zu toppen: Chef Watson. Dieser Küchenchef ist allerdings nicht menschlicher Natur. Es handelt sich dabei um eine von IBM entwickelte Anwendung mit der Fähigkeit, die Bedeutung und den Kontext menschlicher Sprache zu verstehen. Sie richtet sich „an experimentierfreudige Köche, die unerwartete Geschmackskombinationen entdecken und ihr Spektrum beim Kochen erweitern möchten“, so das IT-Unternehmen. Die von IBM entwickelte Anwendung fordert mit ihren Rezeptvorschlägen durchaus die Geschmacksknospen heraus: Tiramisu mit Blauschimmelkäse und einem Hauch von Afrika? Minestrone mit Gnocchi, Curry und Gänseleber? Kalb mit Mango und Kaffee?
Österreichs Haubenkoch Toni Mörwald ließ sich auf ein Kochexperiment mit Chef Watson ein und testete die ungewöhnlichen Rezeptvorschläge auf ihre Geschmackstauglichkeit. Mit seinen Vorschlägen weckte Chef Watson Interesse beim Starkoch, der sich auch von der technischen Umsetzung sehr fasziniert zeigte. Bei einem einmaligen Kochevent im April vergangenen Jahres konnten die genannten Kreationen auch gleich verkostet werden. Mörwald: „Es hat mir sehr gut geschmeckt und den Gästen offensichtlich auch. Ich war nicht überrascht, dass es geschmeckt hat, weil ich es ja selber gekocht habe. Hätte ich angenommen, dass es nicht gut wird, hätte ich ja noch einschreiten können.“
„KREATIVER BERATER“ BEIM KOCHEN
Chef Watson greift auf eine riesige Datenbank an Informationen zurück. Er wurde mit unzähligen ernährungswissenschaftlichen und kulinarischen Informationen gefüttert und hat daraufhin viel über das Kochen, die Zusammensetzung von Zutaten, Lebensmittel und menschliche Geschmacksvorlieben gelernt. Rund 200 Mio. Seiten Wissen in menschlicher Sprache stehen den Nutzern zur Verfügung. Garantiert ist somit, dass die Rezepte – abgesehen von persönlichen Geschmacksvorlieben – genießbar sind, auch wenn die Zusammensetzung der Zutaten fürs Erste erstaunen mag.
IBM zufolge könne Chef Watson als „kreativer Berater“ in der Küche genutzt werden. Man gibt ihm eine Hauptzutat vor und er nennt passend dazu drei weitere. Ebenso möglich ist, ihm gleich vier Zutaten vorzugeben. Ein weiterer Pluspunkt der Innovation: Allergien, Unverträglichkeiten sowie eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise können durch das Ausschließen bestimmter Zutaten berücksichtigt werden. Ist man mit der Zusammenstellung zufrieden, bietet das Programm Tipps für die Menge und weitere Verarbeitung der Zutaten an. Laut IBM ist Chef Watson im Stande, eine Trillion verschiedener Geschmackskombinationen zu liefern.
UNERWARTETE GESCHMACKSKOMBINATIONEN
Bevor Watson sich als Küchenchef probierte, war er schon erfolgreicher Quizshowgewinner. Vor über vier Jahren siegte er in den USA bei der beliebten Wissensshow Jeopardy gegen zwei menschliche Teilnehmer. Aufsehen war ihm damit garantiert. Mittlerweile beschäftigt sich Watson unter anderem auch mit dem Gesundheitswesen oder der Finanzbranche. „Zuerst war Watson ein Laborprototyp, der in der Jeopardy-Show die menschlichen Kandidaten schlagen konnte. Daraus hat sich jetzt ein Portfolio aus Produkten, Lösungen und Diensten entwickelt, welches das Thema Cognitive Computing abdeckt“, erzählt Dirk Michelsen, Managing Consultant im IBM Watson-Team, und erklärt: „Eine kognitive Computertechnologie ist eine Technologie, die das menschliche Denken in gewissem Rahmen nachahmt. Dabei geht es meistens um das Thema Sprachverständnis und Lernvermögen.“
WEB-APPLIKATION STATT KOCHBUCH
Chef Watson teilt sein kulinarisches Wissen seit Sommer 2015 mit der Öffentlichkeit. Auf www.ibmchefwatson.com können Interessierte sich Ideen und Tipps holen. Die Web-Applikation hat IBM in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Feinschmeckermagazin Bon Appétit entwickelt. IBM wählte für Chef Watson ein sogenanntes Responsive Design, wodurch die Anwendung auch ohne App auf mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets genutzt werden kann.
Aktuell vereint Watson das Wissen von mehr als 10.000 Rezepten der Bon-Appétit-Datenbank mit Informationen darüber, wie Zutaten in verschiedenen Gerichten und Kochstilen verwendet werden können. Außerdem fließen Erkenntnisse über den menschlichen Geschmack und die Chemie der Nahrungsmittel in die Vorschläge mit ein. „Watson verwendet die Rezepte von Bon Appétit und nutzt zusätzlich Daten hinsichtlich der kulinarischen, chemischen und physiologischen Austauschbarkeit von Zutaten“, ergänzt IBM-Berater Dirk Michelsen. Das Programm denkt sich also auch selbst Kombinationen aus. Michelsen: „Chef Watson kreiert neue Rezepte auf Basis der Rezepte von Bon Appétit, das heißt, bei existierenden Rezepten werden Zutaten ausgetauscht und so neue Rezepte erzeugt.“
CHEF WATSON KOSTENLOS NUTZBAR
Die Anwendung ist kostenlos nutzbar. Sie gibt es im Moment allerdings nur in englischer Sprache. Eine deutsche Ausgabe ist derzeit nicht geplant. Persönliche Einstellungen können aktuell noch nicht vorgenommen werden. Bei anderen Produkten im Watson-Portfolio ist dies bereits möglich. Für die Web-Applikation kann man sich auch über ein Facebook-Profil anmelden. In diesem Fall gibt es zusätzlich die Möglichkeit, Diät-Vorlieben anzugeben und Zutaten auszuschließen. Außerdem können Rezepte abgespeichert und Bewertungen abgegeben werden. Über die Website selbst ist es möglich, die Rezepte auszudrucken.
Wer neue, überraschende Rezeptideen und kreative Kombinationen von Zutaten sucht, ist mit Chef Watson bestens bedient. Auch Starkoch Toni Mörwald, selbst Autor mehrerer Kochbücher, kann sich vorstellen, wieder auf die Ideen seines virtuellen Kollegen zurückzugreifen, da es „ein gutes Tool“ und „eine tolle Unterstützung“ ist. Dennoch ergänzt er: „Geschmack und Handwerk sind trotzdem gefragt, da in den Rezepten nur Lebensmittel und Produkte angeführt sind, jedoch keine Grammaturen.“