Althergebrachte Konservierungsmethoden feiern ein Comeback. Neben dem Fermentieren zählt vor allem das Dörren dazu. Nur mit Wärme und Luft wird dabei Lebensmitteln Wasser entzogen und so der Prozess ihres Verderbens gestoppt. War das Trocknen früher überlebenswichtig, geht es im Zeitalter von Konservierungsstoffen und Importprodukten eher um die Verfeinerung durch den Dehydrationsprozess. Denn Wasser ist kein Geschmacksträger. Wenn beispielsweise Früchten 90 % davon entzogen wird, sind hochkonzentrierte Aromen das Ergebnis. Obst, Gemüse, Fisch oder Fleisch schmecken durchs Dörren also wesentlich intensiver. Und genau das macht die Methode für Köche so spannend.
Bei Obst ergeben überreife Früchte beispielsweise das beste Dörrgut, weil sie bis zu 95 % aus Wasser bestehen. Beim Trocknen wird dieser Anteil auf unter 15 % reduziert. Während das Wasser entweicht, bleibt der Zuckergehalt gleich. Das Resultat: Dörrobst weist einen Gehalt von 50 bis 70 % Fruchtzucker auf. Das macht es zwar einerseits zur Kalorienbombe, andererseits kann es dadurch von geschickten Köchen auch als Aromabooster in verschiedensten Gerichten eingesetzt werden. Weiterer positiver Nebeneffekt: Nähr-, Ballast- und Mineralstoffe bleiben weitgehend erhalten.
Darüber hinaus kann man das Gedörrte durch Einweichen in Wasser leicht wieder rehydrieren. Dadurch entsteht eine Konsistenz ähnlich der gekochter oder eingemachter Lebensmittel. „Das für die Rehydrierung verwendete Wasser nimmt sowohl Geschmack als auch Nährstoffe an und eignet sich hervorragend als Ergänzung für Suppen, Eintöpfe oder Aufläufe“, weiß Teresa Marrone, die sich für ihr Handbuch zum Thema intensiv mit Trocken- und Dörrtechniken befasst hat.
Die uralte Küchentechnik ist also alles andere als altvaterisch. Viele Topköche sehen in ihr einen sehr zeitgemäßen und schonenden Weg, Lebensmitteln ihre wahre Essenz zu entlocken. Darüber hinaus sorgt Gedörrtes aufgrund der unterschiedlichen Texturen und Formen für eine außergewöhnliche Optik am Teller. Vom Wirsing bis zur Gurke – in gedörrter Form kennen sie wenige. Was diesen dekorativen Aspekt betrifft, so setzt Benjamin Leitner, Küchenchef im Hotel Post in St. Johann, beispielsweise auf Früchtestaub sowie Obst- und Gemüsechips: „Ich nutze gerne das intensive Aroma gedörrter und dann gemahlener Beeren und den crunchy Biss getrockneter Obst- und Gemüsescheiben. Damit kann man ein Gericht schön abrunden. Außerdem schaut es super aus.“ So ziert das Apfel-Rotkraut bei Leitners Gerichten oft ein Apfelchip und Kürbiskreationen begleitet ein Chip vom Kürbis.
Automat löst Sonne ab
Was früher Sonne und Wind oder die Wärme der bäuerlichen Tenne und des Holzofens erledigten, machen heute Automaten. Dörrgerät, Backofen oder Konvektomat sorgen für perfekte Ergebnisse. Mit Hilfe von digitaler Steuerung, Temperaturkontrolle und Timer-Funktion verhindern sie Verderben oder Schimmeln auf grund von zu hoher Restfeuchte und garantieren ein sehr nährstoffschonendes, gleichmäßiges Dörren in einer kürzeren Zeitspanne. Sind die Rohstoffe im Gerät, werden sie bei konstanter und gleichbleibender Wärme und Belüftung getrocknet.
Trotzdem nimmt das Verfahren noch einige Stunden in Anspruch. Dank Technik reduziert sich die eigene Arbeitszeit allerdings auf einen Bruchteil davon. Den Rest übernimmt die Maschine. Je nach Lebensmittel, dessen Wassergehalt und gewünschter Konsistenz muss sie allerdings zwischen fünf und 24 Stunden laufen.
Aufgrund der drastischen Wasserreduktion schrumpft auch das Ursprungsprodukt. Getrocknete Lebensmittel weisen lediglich zwischen der Hälfte und einem Zwölftel des Gewichts und der Größe ihrer ursprünglichen Form auf. So ergeben beispielsweise 1,36 kg frischer Rhabarber, in Stücke geschnitten, ca. 3 Liter Volumen. Nach dem Trocknen bleiben davon nur ca. 85 bis 110 g über, die in einen Halbliterbecher passen. Das hat auch einen großen Vorteil: Gedörrtes nimmt in der Vorratskammer wenig Platz ein. Bei sachgemäßer Lagerung ist das Dörrgut außerdem etwa ein Jahr haltbar. Wobei es fest verschlossen und trocken aufbewahrt werden muss, da bei hoher Luftfeuchtigkeit sonst Hartes wieder weich wird. Generell gilt: Je schneller Lebensmittel getrocknet werden, desto besser ist ihre Qualität. Die Temperatur darf dabei jedoch nicht so hoch sein, dass sie gekocht werden. Um den Trocknungsprozess zu beschleunigen, sollte das Dörrgut an der Oberfläche keine Feuchtigkeit aufweisen, bevor man mit dem Dörren beginnt. Was die Temperatur betrifft, so variieren die Angaben je nach Rezept und Hersteller. Ausschlaggebend sind die Feuchtigkeit im Ausgangsprodukt und das gewünschte Endergebnis. Laut Dörrexpertin Marrone sollte Gemüse bei etwas niedrigeren Temperaturen gedörrt werden als Obst. 52 Grad reichen: „Eine zu hohe Temperatur kann dazu führen, dass die Schnittflächen vom Gemüse vorzeitig verhärten“, so Marrone.
Besser zu lang als zu kurz
Ob die Rohware durchgetrocknet und keine Feuchtigkeit im Kern verblieben ist, weiß man erst nach genauer Überprüfung: Dörrgut an der dicksten Stelle aufschneiden und dann fest zusammendrücken. Marrone: „Wenn das Dörrgut den erforderlichen Trockenheitsgrad noch nicht erreicht hat, geben Sie die Stücke wieder in das Dörrgerät. Es ist besser, Lebensmittel zu lang zu trocknen als zu kurz.“ Obst und Gemüse mit harter Schale oder Rinde sollte vorher geschält werden, weil die Luft dadurch das innere Fruchtfleisch besser erreichen kann und sich die Trockenzeit verkürzt. Außerdem ist ein Schneiden mit scharfer Klinge ratsam, um das Lebensmittel nicht zu quetschen. Die Verwendung eines Gemüsehobels oder der Wurstmaschine hilft, gleich großes Stückgut auf schnelle Art und Weise zu erzeugen.
Sebastian Frank, kochender Inhaber des Restaurants Horváth in Berlin, hat aufgrund der Gefahr der zu häufig noch verbleibenden Restfeuchtigkeit ein „gespaltenes Verhältnis“ zum Dörren, wie er sagt: „Für mich entstehen dadurch oft zu klebrige, eindimensionale Texturen. Ich arbeite aber durchaus mit Trocknungsprozessen. Zum Beispiel durch die Trocknung mit dem Exkalibur – bei diesem Gerät wird dem Produkt die Feuchtigkeit gänzlich entzogen und das Ergebnis ist durchweg crunchy und crispy.“ Auf der Suche nach einem ursprünglichen Geschmack hat er für sich daher zusätzlich eine weitere Trocknungsmethode gefunden. Er lässt Sellerie sieben Monate im Keller reifen. Danach hat er eine Konsistenz wie Pecorino oder Parmesan, und man kann ihn reiben: „Beim einjährigen Sellerie überzeugt uns das Ergebnis am meisten, dazu habe ich mir das Gericht ‚Sellerie – Reif und Jung‘ überlegt, bei dem wir das ungemein aromatische ‚Überbleibsel‘ des reifen Selleries wie ein Trüffel über den frischen Sellerie reiben“, so der Topkoch.
Sein Beispiel zeigt, dass das Spektrum an Gedörrtem heute schon riesig ist. Neben Obst wandern längst auch Gemüse, Kräuter, Pilze und Fleisch in den Dörrapparat. Selbst Joghurt, Käse, Tofu und Saitan kann damit Wasser entzogen werden, um so spannende neue Texturen zu erzeugen. Auch Suppenpulver und Kräutersalz lassen sich denkbar einfach herstellen. Sternekoch Alexander Herrmann stellt beispielsweise mit Zwiebeln, Meersalz, Karotten, Knollensellerie, Lauch, Petersilie und Tomaten im Backofen sein eigenes Brühwürfelpulver her. „Das ist die pure Essenz aus dem Gemüse, gewürzt mit Salz“, so Herrmann. Für Küchenchef Benjamin Leitner hat das Dörren noch einen zusätzlichen Vorteil bei der sinnvollen Verwertung von überreifen Produkten: „Wenn die Beeren schon ein wenig schrumpelig sind, dann kommen sie statt in den Bio-Müll in den Dörrautomaten.“
Mit Vorbehandlung
Bei allen Vorteilen muss man allerdings wissen, dass nicht bei allen getrockneten Lebensmitteln die Farbe erhalten bleibt. Leitner stört das nicht. Er setzt auf unbehandelte Rohstoffe: „Auch wenn die Farbe ein wenig verblasst, am Geschmack ändert das nichts.“ Wer nichts an der Leuchtkraft einbüßen möchte, kann Früchte vorbehandeln. Laut Marrone eignet sich dafür das Blanchieren in Sirup am besten. Die Früchte sind dann weicher und haben kräftigere Farben, zudem dunkeln sie während der Lagerung weniger nach, schreibt die Dörrexpertin. Damit helles Obst nicht braun wird, kann man es übrigens vorab auch in Zitronenwasser oder Salzwasser eintauchen. Honig wirkt ebenfalls.
Eine andere Option ist, aus Obst und Gemüse gleich ein anderes Produkt zu machen, indem sie zu Frucht- oder Gemüseleder verarbeitet werden. Fruchtleder besteht aus feinem Fruchtpüree, das in einer Stärke von rund 0,5 Zentimeter auf eine Unterlage gestrichen wird und anschließend im Dörrautomaten trocknet, bis es eine gummiartige Konsistenz hat. Nach dem Trocknen kann es als Fruchtmatte von der Unterlage gezogen und zu Röllchen geformt werden. Je höher der Wassergehalt, desto länger muss das Püree dafür trocknen. Durch Eindicken der Früchte oder Binden mit Nussmuss oder Banane kann die Trockenzeit aber verkürzt werden. Das Beimengen von Nussmuss oder auch Joghurt sorgt darüber hinaus für ein besonders samtiges Püree. Hier reichen maximal zwei Esslöffel auf rund 500 Gramm Obst. Das fertige papierähnliche, dünne Leder bietet sich nicht nur für Dekorationszwecke an, es kann auch weiterverwendet werden. Aus Tomatenleder lässt sich Tomatenmark herstellen, Fruchtleder kann in Wasser aufgeweicht als Füllung für Kuchen oder als Topping genutzt werden. Optisch besonders schön sind Leder aus verschiedenfarbigen Pürees oder solche, die mit Nüssen oder Kokosraspeln vermengt wurden. Knusprige Zutaten sorgen dabei nicht nur für besondere Struktur, sondern auch für mehr Biss.
In der herzhaften Küche wird Dörren ebenfalls immer beliebter. Pilze lassen sich in getrockneter Form beispielsweise vermahlen. Eierschwammerl-Pulver überzeugt mit feiner Würzkraft und gibt Speisen obendrein eine einmalige Färbung, die der von Safran in nichts nachsteht. Gleiches gilt auch für Kräuter oder Knoblauch-Pulver. Dafür eignen sich würzige oder stark duftende Gattungsvertreter besonders gut. Sie werden bei sehr niedrigen Temperaturen zwischen 38 und 41 °C gedörrt, um das Verdampfen von ätherischen Ölen zu vermeiden.
Für alle was dabei
Grundsätzlich lässt sich also nahezu alles dörren. Sue Tobler hat für ihr Pop-up Shelf Life in Zürich sogar mit gedörrter Wassermelone experimentiert. Die 3 cm dicken Melonenscheiben ließ sie im Dörr- apparat bei 55 °C 20 Stunden trocknen. Dann kombinierte sie die extrem süßen Scheiben mit Burrata, frischem Minzöl und einem nur zwei Millimeter dicken gedörrten Tomatenchip. Ein echter Renner auf ihrer Karte.
Auch Fleischtiger lieben die alte Konservierungsmethode. Rind, Schwein, Lamm, Geflügel oder Wild: Man kann mit allen Fleischsorten arbeiten und etwa Trockenfleisch herstellen, das heute vor allem als Beef Jerky einen Boom erlebt. Darunter werden dünne, in Marinade eingelegte und anschließend getrocknete Fleischstreifen bezeichnet. Ein Kilo Rindfleisch ergibt etwa 300 Gramm Beef Jerky. Traditionell wird es ohne vorheriges Kochen gedörrt. Es muss mehrere Stunden in einer individuell gemischten Marinade eingelegt sein, bevor es in den Automaten kommt. Dadurch wird das Fleisch grau-schwarz. Dann wird es sechs bis neun Stunden gedörrt. Fertig ist das Beef Jerky, wenn beim Draufdrücken keine weichen Stellen mehr zu spüren sind. Brechen darf es allerdings auch nicht.
Grundsätzlich variieren die Dörrzeiten aber bei Fleisch je nach Art und Teilstück. Es sollte bei höheren Temperaturen gedörrt werden als Obst oder Gemüse. Empfohlen wird eine Zieltemperatur von 60 °C. 54 °C sollten aus Gründen der Lebensmittelsicherheit nicht unterschritten werden. Obwohl Fett Geschmacksträger ist, eignet sich fürs Dörren vor allem zartes, mageres Fleisch. Da fettreiche Teile schnell ranzig werden, ist es empfehlenswert, bei rotem Fleisch nur magere Teile zu trocknen und alles Fett vor dem Dörren zu entfernen. Auch bei Geflügel sind Bruststücke ohne Haut besser geeignet. Selbst bei Schinken oder Speck sollte bei der Herstellung von Chips alles Fett weg. Übrigens lässt sich auch Thunfischfilet als Jerky zubereiten. Filets in etwa 3 mm dicke, 30 mm breite Streifen schneiden, für rund fünf Stunden marinieren und dann zwischen 55 und 60 °C dörren, bis die gewünschte Konsistenz erreicht ist. Aus dem Thunfisch austretendes Öl muss dabei gut abfließen können.
Dass der Kreativität beim Dörren keine Grenzen gesetzt sind, beweist auch der für seine Innereienküche bekannte Max Stiegl vom Gut Purbach im Burgenland. Nebst Obst, Gemüse und Kräutern dörrt er Knochen sowie das Herz vom Pferd und Reh. Das mit Wacholder und Speck gespickte und einige Zeit in Heu verpackte Herz wird nach dem Dörren fein gerieben und verfeinert unter anderem sein Safran-Risotto. Die Knochen reibt Stiegl mit Hammam-Massageöl ein und legt sie mit Wacholder und Knoblauch in den Dörrer. „Wer sie dann in einem Gericht mitkocht, spart sich das Fleisch, weil die ein sehr intensives Aroma abgeben“, so Stiegl. Der Fantasie ist beim Dörren also wirklich keine Grenze gesetzt.