Wenn Markus Bühler von Würsten erzählt, gerät er ins Schwärmen: „Bei der Produktion ist alles möglich. Man kann ganze Gerichte in einer Wurst verpacken“, sagt der junge Schweizer. Dabei hatte er beruflich lange Zeit mit Wurst überhaupt nichts am Hut. Bühler kam erst über Umwege auf den Geschmack. „Aus mir bis heute unerklärlichen Gründen machte ich während des Studiums in meiner kleinen WG-Küche erste Gehversuche mit dem Herstellen von Würsten“, erzählt er. Aus einem Hobby wurde schließlich eine Berufung. Heute vertreibt er seine Spezialitäten unter der Marke Der Wurstmacher an Schweizer Restaurants und stellt für einzelne Gastrobetriebe sogar individuelle Kreationen her. Ihn reizen dabei die unzähligen Kombinationsmöglichkeiten besonders. Etwa bei seiner „Thai Wurst“, der er mit Zutaten wie Zitronengras, Galgant, Thai Chili und Koriander den Charakter eines Thaicurrys gibt, das bei jedem Biss ein neues, erfrischendes Geschmackserlebnis auf die Zunge knallt. Bühler kann aber auch bodenständig: Bei der „Böllä Bier Wurst“, einem Klassiker aus Schaffhausen, vermengt er feinste Zwiebeln mit Rind- und Schweinefleisch und versetzt die Wurstmasse dann mit Schaffhauser Falkenbier. Abgerundet wird mittels Liebstöckel und schwarzem Pfeffer. Ergebnis ist einer der Bestseller in seinem Shop.
Neue Wurstwelten
Auf die Wurst gekommen ist auch Sterne-Koch und Metzger Wolfgang Müller. Er hat sein ganzes Wissen in ein Buch verpackt und möchte damit „mehr Köchen das Wursten näherbringen und zeigen, dass man in der eigenen Küche ziemlich viel selbst machen kann“. Dafür brauche man keinen großen Gerätepark, aber etwas Zeit und Liebe zum Produkt, sagt Müller und zeigt in seinem Schmöker, dass sich Würste sehr kreativ in Szene setzen lassen. So kredenzt er gerne Polentacreme und Jakobsmuschel mit einer Vinaigrette aus Chorizo oder serviert seine Blutwurst als feine Terrinen mit Selleriepüree und Erbsengemüse. Auch die „Boudin noir“, das französische Pendant zur deutschen Blutwurst, bekommt den speziellen Müller-Twist. Er schichtet Scheiben davon mit Apfelspalten zu kleinen Türmchen, paniert sie und serviert sie beträufelt mit Majoranöl als Krokette mit glacierten Apfelscheiben und angerösteten Zwiebelhälften: Auf die Art kann Hausmannskost sogar locker im Fine-Dining-Restaurant bestehen.
Angetrieben wird Müller dabei auch vom „Nose-to-Tail“-Denken. Er möchte alle Teile des Tieres verwenden und dafür kommt dem Wursten eine wichtige Bedeutung zu. Schließlich ist es eine der ältesten Formen, Frischfleisch haltbar zu machen und auch die weniger edlen Teile des Tieres in ein geschmackvolles Lebensmittel zu verwandeln. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum Wurst in vielen Kulturen kulinarisch so tief verankert ist. Ob klassische Bratwurst in Österreich, Andouillette in Frankreich oder Merguez in Nordafrika: Fast jedes Land hat seine landestypische Spezialität. Trotz kulinarischem Kulturgut-Status maß man der Wurst jedoch nicht immer großen Wert bei. „Sehr lange galten Wurst und Pasteten als minderwertige Gerichte, hergestellt aus den „wertlosen“ Teilen eines Tieres. Ganz so, als wäre es legitim, sie mit allerlei Blendwerk wie Geschmacksverstärkern und jeder Menge Wasser und Eiweiß aufzupeppen“, klagt Franz Keller. Der einstige Sterne-Koch geht diesbezüglich andere Wege. Zwar werden für die Herstellung von Würsten auch bei ihm weniger gut verkäufliche Teile verwendet, die Qualität des Fleisches bleibe aber trotzdem ausschlaggebend, meint er und rät Wurst-Fans, nur möglichst schlachtfrisches Fleisch zu verarbeiten: „Es sollte nie länger als fünf Tage bei 0 bis +2 °C gelagert worden sein“, warnt er.
Unterschiedliche Verfahren
Beim Wursten selbst wird zwischen Roh-, Brüh- und Kochwürsten unterschieden. Für die beiden letzteren wird warmes Fleisch verarbeitet. Es hat mehr Aroma und bindet besser, nennt Experte Müller zwei wesentliche Vorteile dieses Warmwurstens. Für Rohwürste hingegen nimmt man abgehangenes Fleisch in gekühlter oder gefrosteter Form. Während in Europa früher insbesondere Schwein in Würste verpackt wurde, landen in den letzten Jahren immer öfter auch andere Sorten in der Pelle. Dabei gilt es auf die jeweiligen Eigenarten zu achten. Wild muss beispielsweise fast immer etwas Schweinefett zugegeben werden, weil es sonst zu mager ist, weiß Müller. Unter dem Modewort „Seacuterie“ finden heute sogar Fisch und Krustentiere in der Wurstherstellung Verwendung. Ihr Fleisch eignet sich wegen der guten Bindekraft beispielsweise sehr gut für Brat- und Brühwürste. In Müllers Buch finden sich deshalb auch vom Geschmack des Meeres inspirierte Exoten wie Oktopus- oder Hummerwürstel.
Querdenken lohnt laut Buchautor zudem bei Gewürzen und Kräutern, die oft nicht nur der Verfeinerung des Geschmacks und Geruchs dienen, sondern auch für eine bessere Haltbarkeit sorgen. Beste Aromen entwickeln sich, wenn die Gewürze erst kurz vor der Verwendung gemahlen werden. Samen wie Fenchel, Koriander, Pfeffer, Piment und Kardamom entfalten ein noch kräftigeres Aroma, wenn sie vor dem Mahlen in einer Pfanne ohne Öl leicht angeröstet werden. Bei den Kräutern rät Müller diese mit einem scharfen Messer fein zu schneiden und erst kurz vor dem Untermischen unter die Fleischmasse zu geben: „Auf keinen Fall sollen die Kräuter gehackt werden, da sonst zu viele ätherische Öle verloren gehen.“ Doch nicht immer ist frische Ware besser als getrocknete. „Bei der Herstellung der Kochwurst eignet sich der getrocknete Majoran viel besser als der frische, da er andere Aromen entwickelt.“
Gänzlich unverzichtbarer Bestandteil ist das Salz. Es bindet das Wasser und macht die Wurstwaren nicht nur haltbarer, sondern auch feiner und geschmackvoller. Nitritpökelsalz, das zum Konservieren und als Rötungsmittel verwendet wird, ist nicht zwangsläufig bei jedem Würstel ein Muss. Es lässt sich auch mit ein wenig Zucker und einem Schluck Cognac nachhelfen. „Bei Rohwurst muss ich es nicht nehmen, bei Kochwurst brauch ich es“, erklärt dazu Fleischermeister Roman Thum und ergänzt: „Meine Chorizo hat auch ohne Nitritpökelsalz eine schöne Farbe.“ Verwendet wird Nitritpökelsalz oft auch deshalb, da die Wurst sonst gräulich wird. Gutes Beispiel dafür ist die Presswurst, die in Zeiten von Hausschlachtungen noch grau war. Heutige Konsumenten goutieren Derartiges weniger.
Fülle in Hülle
Ihre markante Form erhält die Wurst schließlich durch die Hülle. Üblicherweise verwendet man dafür einen Darm vom Schwein, Rind oder Schaf. Auch Ziegen-, Pferde-, Esel- und Yak-Därme sind verwendbar. Natürlich gibt es zusätzlich sehr belastbare Kunstdärme. Für Müller liegt der Vorteil von Natur pur jedoch auf der Hand: „Naturdärme sind gekocht, getrocknet oder geräuchert essbar. Sie sind luft- und rauchdurchlässig, sodass Würste im Naturdarm reifen und ein volles Aroma entfalten können. Nur ein Naturdarm verleiht jeder Wurst seine Besonderheit.“
Ist die Frage der richtigen Hülle geklärt, braucht es nur noch einen Stuffer-Aufsatz für den Fleischwolf und einen Kutter, um eigene Wurstexperimente zu starten. Empfehlenswert sind verschiedene Scheibengrößen (2 – 16 Millimeter), um die Textur der Wurstfülle besser bestimmen zu können. Aber Achtung: Je kleiner die Löcher der Scheibe, umso mehr Reibung und folglich Wärme entsteht. Erwärmt sich das Brät, beeinträchtigt das die Bindung. Um die entstehende Masse gut durchzumischen, kann auch eine Küchenmaschine mit Knethaken zum Einsatz kommen – speziell bei Bratwürsten oder groben Würsten: Durch die Reibung lösen Salz und Zucker das Eiweiß aus der Hackmasse und es entsteht eine natürliche Bindung.
Die fertige Wurstmasse landet schließlich im Wurstfüller. Dabei ist wichtig, sie mit Schwung in den Zylinder zu werfen, damit keine Luftblasen in die Wurst kommen. Die fertige Endloswurst wird dann im gewünschten Abstand mit den Fingern auseinandergedrückt und mit einer Schwungbewegung ähnlich dem Seilspringen abgedreht. Dabei gilt: Einmal links, einmal rechts abdrehen, sonst wird´s am Ende nichts mit einer Wurstkette. Alles also kein Hexenwerk. Und der Aufwand lohnt sich. Denn Gästen sind nach eigenen Rezepten selbst hergestellte Produkte alles andere als wurst. So viel steht fest.