Trends
Malakoff Connection
Schmeckt wie bei Oma – diese Würdigung von Koch- und Backkunst gleicht einem Ritterschlag. In einer Welt mit wachsender Sehnsucht nach etwas Liebe, Glück und Harmonie wird sie zudem Ausdruck eines Erfolgsrezepts. Denn Immer mehr Junge Gastro-Profis suchen sich eine betagte Torten-Connection und eröffnen Oma-Cafés.
Omas heile Welt geriet niemals ins Wanken. Da haben wir uns schon als Kind sicher und behütet gefühlt. Mittags verwöhnte sie uns mit unseren Lieblingsgerichten und nachmittags stand verlässlich der weltbeste Kuchen am Tisch. Jetzt, wo wir der Kindheit längst entwachsen sind, bleiben von Omas heiler Welt oft nur mehr vage Erinnerungen. Schön, dass wir sie nun in den trendigen Oma Cafés wieder auffrischen können.
Rundum betüddelt
Bei Oma gibt’s das beste Essen und sie erfüllt jeden Wunsch – das sind auch die prägenden Kindheitserinnerungen von Melanie Wentzel-Terrahe in Dortmund, und die hat sie gleich als Messlatte für ihr Oma Rosa Café genommen. „Lasst euch einmal von morgens bis abends so richtig betüddeln“, empfiehlt sie ihren Gästen in dem mit viel Liebe eingerichteten Lokal. „Wir servieren nahezu ausschließlich Hausgemachtes nach moderner Oma-Art, vom selbst gemachten Braten-Aufschnitt über frisch angerührte Aufstriche, selbst gemachte Marmeladen und Schokoaufstrich bis hin zu veganen Köstlichkeiten. Dazu gibt’s Omis Brotkorb aus der hauseigenen Backstube. Frühstück bieten wir bis mittags, danach werden ganz klassisch Kuchen und frisch aufgebrühter Filterkaffee serviert“, erklärt Wentzel-Terrahe.
Geöffnet hat das gemütliche und helle Oma Rosa Café nur am Wochenende bis 16 Uhr. Fad wird der umtriebigen Unternehmerin dennoch nicht, denn zum Café gehört auch ein Catering, eine Tortenschmiede, in der zu den unterschiedlichsten Anlässen kunstvolle Motto-Torten kreiert werden, und die beliebte Törtchen-Post für süße Grüße an Freunde und Verwandte in aller Welt. „Gerade in den letzten beiden Jahren ist die Fangemeinde von Oma Rosa’s Torten und Bäckereien extrem gewachsen“, sagt Wentzel-Terrahe. „Omas erfüllen ja bekanntlich jeden Wunsch, also erfüllen auch wir die Wünsche unserer Kunden und kreieren die unterschiedlichsten Motto-Torten, kein Motto ist uns zu ausgefallen. Zudem können sich unsere Kunden auch süße Tapas-Boxen zusammenstellen, um sich ganz nach Lust und Laune mit mehreren kleinen Stückchen verschiedenster Bäckereien verführen zu lassen - von fruchtig über schokoladig bis zu käsig, glutenfrei oder vegan.“
Der Erfolg des schicken Oma Rosa Cafés liegt neben dem kulinarischen Angebot vor allem in der Liebe und Leidenschaft, mit der Melanie Wentzel-Terrahe ihre Gäste bewirtet und das Café eingerichtet hat. „Einrichtung und Dekoration sind wesentliche Elemente, um eine authentische Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, daher lege ich großen Wert auf stimmungsvolles Interieur. Es muss behaglich sein, freundlich, mit vielen kleinen, liebevoll ausgewählten Details, eben ganz so wie bei Oma. Und ich gebe zu: Es gibt für mich nichts Schöneres, als meine Gäste zu betüddeln und dabei zu sehen, wie wohl sie sich hier fühlen.“
Pure Nostalgie
„Lieber gemütlich als cool“ lautet auch das Motto von Sabine Binswanger und Geraldine Gschwend in Zürich. „Unser mit vielen Flohmarkt-Fundstücken eingerichtetes Kafi Dihei (Züri-Dütsch für Kaffee zuhause) bildet für unsere Gäste einen wohltuenden Kontrapunkt zur geradlinigen Glasarchitektur der immer anonymer werdenden Züricher Lokale“, sagt Sabine Binswanger. „Wir wuchsen beide außerhalb der Schweiz auf und hatten regelmäßig Heimweh, darum wollten wir ein Café mit Wohlfühlcharakter schaffen, wo sich unsere Gäste genauso zuhause fühlen können wie wir.“ Eine Wand des Cafés ist mit einer Rosenornamenttapete bezogen, in der Ecke steht ein Biedermeiersofa und die stoffbespannten Lampenschirme füllen den Raum mit warmem Licht. „Fast jeden Tag kommt jemand ins Café und sagt, hier sähe es aus wie bei seiner Oma. Für uns ist das ein wirklich schönes Kompliment“, ergänzt Geraldine Gschwend.
Das Kafi Dihei definiert sich nicht nur als Café, sondern ist auch Bar und Restaurant, geöffnet von morgens bis um 18 Uhr. „Wir bieten eine reiche Frühstückskarte, wechselnde Tagesteller und natürlich auch Brunch am Wochenende. Abends servieren wir gerne ein Glas Wein und verwöhnen unsere Gäste mit einem Lammburger oder Apéro-Teller. Alles wird frisch zubereitet, ob knuspriges Brot, leckere Kuchen oder schmackhafte Suppen“, ergänzt Sabine Binswanger. „Wir verstehen unsere Küche als moderne Wohlfühl-Küche mit interessanten Zutaten. Bekannte Gerichte, aber immer mit dem nötigen Twist, um den Bogen von Omas Küche zu gegenwärtigen Trends zu spannen.“
It’s Tea Time
Auch in Österreich sind kulinarische Zeitreisen in Omas heile Welt sehr populär. Besonders gelungen ist etwa Omas Teekanne in Graz, wo sich Sandra Auer und Yuno Khripunova seit über fünf Jahren in ihrem mit vielen upgecycelten Flohmarkt-Schätzen eingerichteten Lokal liebevoll um ihre Gäste kümmern. „Wir sind ein Vintage-Café für langsame Genießer“, sagt Sandra Auer, „bei uns soll man ruhig ein bisschen die Zeit vergessen, einfach sitzen, plaudern und genießen.“ Das wirtschaftliche Gegenmodell zum schnellen Coffee-to-go kommt bei den Gästen gut an, vor allem, weil neben Kaffee mittlerweile 70 unterschiedliche Teesorten zur Auswahl stehen. „Viele unserer Stammgäste schätzen unsere Tee-Expertise und dass wir unsere Sorten sehr gewissenhaft auswählen“, erzählt Sandra Auer.
Neben frischen Frühstücksspezialitäten und Omas Jause mit deftigen Snacks wird in Omas Teekanne nachmittags eine traditionelle Tea Time mit speziellen Köstlichkeiten zelebriert. Sandra Auer hat dafür das Speisenangebot mit einer Prise Great Britain garniert. „Ofenwarme Scones in pikanten und süßen Variationen, englische Gurkensandwiches und süßes Shortbread findet man in Graz nicht an jeder Ecke“, lacht die leidenschaftliche Köchin, die ihre Gäste auch mit täglich frischen Mehlspeisen wie Kuchen, Strudeln, Torten oder Rouladen verwöhnt.
Ihre Kollegin Yuno Khripunova ist die Vintage- und Design-Spezialistin des Unternehmerduos und hat jedes Möbel im Lokal auf Flohmärkten erstanden und ihm persönlich zu neuem Glanz verholfen. „Ich liebe alte Dinge aus den 50er und 60er Jahren, alte Schallplatten und Bücher. Wir sammeln sie sehr sorgfältig, restaurieren sie bei Bedarf und stellen sie in unserem Café aus, wo sie von unseren Gästen nicht nur bestaunt, sondern auch gekauft werden können.“ Zusätzlich werden Kreativ-Workshops angeboten, bei denen alte Tassen im neuen Design erstrahlen oder aus längst gelesenen Zeitschriften faszinierende Origami-Vögel entstehen.
Mit gutem Gewissen
„Wir haben in Wien einfach den Kuchen unserer Omis vermisst“, bekennen auch Mike Lanner und Moriz Piffl-Percevic, die mit ihrer Vollpension ein Gastro-Social-Business etablieren konnten. „Guten Kuchen backen kann ja bald jemand, aber so richtig erstklassigen Oma-Kuchen – das können nur richtige Omas“, sind sich die beiden einig. Und so ist aus einer spontanen Gastroidee ein erfolgreiches Social Business entstanden. Denn gebacken und serviert wird im Generationencafé Vollpension hauptsächlich von Omas und Opas. „Schon beim ersten Pop-up-Store vor zehn Jahren hat man uns Frau Charlottes Eierlikörkuchen förmlich aus der Hand gerissen“, erinnert sich Moriz Piffl-Percevic. „Heute beschäftigen wir insgesamt 80 Mitarbeiter*innen an zwei Standorten in Wien, mehr als die Hälfte davon sind über 60 Jahre alt.“
Stammgäste nennen die Vollpension auch liebevoll Omas öffentliches Wohnzimmer, und genau so sieht das Hauptcafé in der Schleifmühlgasse auch aus. An den Wänden hängen alte Bilder, überall laden gemütliche Fauteuils zum Verweilen ein, vom Plattenteller trällert Schlagersound und aus der Küche duftet es nach frischem Kuchen. „Schokokuchen, Linzertorte und natürlich der Apfelstreuselkuchen sind unsere Klassiker“, sagt Moriz Piffl-Percevic, „aber auch unsere herzhaften Pendants wie die pikante Linzertorte und der Grammelstreuselkuchen haben viele Fans.“ Neben einem ja nach Saison wechselnden Kuchen- und Tortenangebot gibt es in der Vollpension auch köstliche Aufstriche, Eierküchlein, frisches Gebäck, herzhaften Kaffee, leckere Hauslimo und alles, was es sonst noch an einem üppigen Frühstücks- und Jausentisch braucht. Und wie bei Omas früher üblich, wird im Anschluss auch gerne mal am Eierlikör genippt.
„Unser Generationencafé hat es sich zur Aufgabe gemacht, Altersarmut und Einsamkeit im Alter zu bekämpfen“, erzählt Moriz Piffl-Percevic, „darum haben wir in der Pandemie an alternativen Konzepten gearbeitet, um unseren Omas und Opas auch in diesen harten Zeiten eine Beschäftigung geben zu können.“ Der Pop-up-Store „Buchteln to go“ und die BackAdemie, bei der Omas und Opas ihr Wissen online an Interessierte weitergeben, wurden von den Kunden so gut angenommen, dass diese Konzepte auch weiterhin zum fixen Angebot zählen werden. Im Sommer übrigens komplettieren gefüllte Picknickkörbe und Beachnicks zum Ausleihen die kulinarische Vollpension.
Backen und tratschen
Auch für Katharina Mayer aus München stehen Omas Kuchen über allen anderen. Weil sie während ihres Studiums ständig große Sehnsucht danach hatte, daraus ein Geschäftsmodell aufzubauen, startete sie 2014 nach erfolgreichem Abschluss den sogenannten Kuchentratsch. Backomas und -opas backen ihre Lieblingskuchen nach Familienrezepten, die dann Kunden in München abholen können oder sich zustellen lassen. „Auf der Hitliste ganz oben stehen Oma Irmgards Karottenkuchen und Oma Hildegards Schoko-Geburtstagskuchen“ verrät Katharina Mayer. „Selbstverständlich haben wir auch für Veganer und Menschen mit Unverträglichkeiten köstliche Kuchen im Angebot, wie zum Beispiel den veganen Mini-Schokokuchen mit Roter Beete von Oma Anni.“ Kuchentratsch ist ein soziales Start-up und mittlerweile ganz schön gewachsen. „Wir wollen das Leben lebenswerter machen“, sagt die junge Unternehmerin, „einerseits das Leben unserer Kunden, indem wir ihnen die besten Kuchen Münchens liefern. Aber andererseits auch das Leben unserer Backomas und -opas, die in unserer Backstube wieder einer sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen können, die merken, dass sie gebraucht werden und die neue Kontakte knüpfen können.“ Heute beschäftigt Katharina Mayer rund 50 Backomas und -opas, obwohl die Pandemie auch ihre Businesspläne spürbar verändert hat. „Früher belieferten wir an die 40 Cafés in München, jetzt versenden wir stattdessen an Privatkunden in Deutschland und haben Großaufträge für Firmen sogar europaweit.“
Im Frühsommer folgt der nächste große Schritt, die Eröffnung des neuen Kuchentratsch-Erlebniscafés mit moderner Schauküche an der Münchener Theresienwiese. „Schon bald können unsere Kunden ihre Oma-Lieblingskuchen vor Ort genießen, in gemütlicher Atmosphäre und mit einer Tasse Tee oder Kaffee. Das wird ein Ort der Begegnung der Generationen und unsere Backomas und -opas bekommen das positive Feedback direkt von den Gästen“, freut sich Katharina Mayer. Langfristig plant sie weitere Kuchentratsch-Filialen in ganz Deutschland.
Oma-Kuchen und die guten alten Zeiten sind also wieder ganz modern, in München, Wien und auch in Zürich. Voll retro, sagen die Jungen. So wie früher, schwärmen die Älteren. Es scheint gerade so, als ob je schneller und rastloser die Welt sich dreht, umso intensiver und bewusster die Menschen nach Plätzen und Momenten suchen, in denen sie das Rad der Zeit mal kurz zurückdrehen können. In den Oma-Cafés ist das möglich.
Interview
„OMA HAT MIT ANGEPACKT.“
Katharina Mayer, Gründerin von Kuchentratsch, über glückliche Omas und Opas, ihr Social Business und warum sie vom Viktualienmarkt träumt.
Social Business in der Gastronomie – war das immer Ihr Plan?
Ich habe BWL studiert mit Schwerpunkt auf Sozialmanagement, das war mir also immer schon wichtig. Dass es am Ende so gekommen ist, war nicht der große Plan. Aber ich bin sehr glücklich darüber. Es ist ein unheimlich schönes Gefühl, zu sehen, mit welcher Freude unsere Backomas und -opas bei Kuchentratsch ans Werk gehen.
Wie verlief die Startphase?
Anfangs hatte ich einen Tag pro Woche eine stillgelegte Kantine gemietet. Meine Oma hat gleich begeistert mitangepackt und gemeinsam haben wir den ganzen Tag gebacken. Die Kuchen gingen weg wie die warmen Semmeln, dann halfen uns ein paar Freundinnen meiner Oma und so kam eines zum anderen. Zuerst verkauften wir die Kuchen über Mundpropaganda und auf Events. Dann wurden es immer mehr Events, immer größere Stückzahlen, immer mehr Backomas und -opas. Die Anmietung der eigenen Backstube war der nächste große Entwicklungsschritt und spätestens mit unserem Auftritt in der TV-Sendung „Höhle der Löwen“ und den folgenden Investitionen wurde auch die Presse auf uns aufmerksam.
Melden sich denn noch genügend Backomas und -opas?
Das ist ja das Großartige, es gibt so viele Senior*innen, die gerne für uns backen würden, dass wir gar nicht so schnell wachsen können. Und wenn du siehst, mit welchem Eifer diese Menschen hier arbeiten, wie erfüllend das für viele ist, dann bin ich unendlich dankbar für dieses Projekt. Eine unserer Backomas ist erst für ihre Enkelkinder nach München gezogen und hat durch Kuchentratsch sofort neue Freundschaften geschlossen. Eine weitere hat erst kürzlich ihren Mann verloren und die anderen kümmern sich jetzt liebevoll um sie.
Gibt es Expansionspläne?
Pläne gibt es natürlich, aber wir machen immer einen Schritt nach dem anderen, zumal wir aktuell flexibel reagieren mussten. Aber im Frühsommer ist es endlich so weit, dann eröffnen wir unser neues Kuchentratsch Erlebniscafé an der Theresienwiese. Das wird ein Ort der Begegnung von Jung und Alt, die Großen können Kaffee und Kuchen genießen, die Kleinen dürfen auch mal Teig naschen und die großzügige Glasfront gewährt Einblick in unsere Backstube. Dazu werden unsere Backomas und -opas auch Backkurse anbieten und die Räumlichkeiten werden für Firmenevents und private Feiern vermietet.
Warum bieten Sie eigentlich auch Backmischungen im Supermarkt an?
Das stand so nicht auf unserem Plan. Aber die Pandemie hat unseren Umsatz von einem Tag auf den anderen einbrechen lassen. Unsere Backstube war fünf Monate lang geschlossen, wir mussten ja unsere Backomas und -opas schützen. Also nutzten wir die Pause, um das für deutlich später geplante Projekt Backmischungen einfach vorzuziehen. Tage- und nächtelang haben wir die Mischungen perfektioniert und jetzt sind sie im Handel erhältlich. Das hilft uns umsatzmäßig, denn anstatt wie früher 100 Kuchen am Tag backen wir derzeit nur 40 bis 50 Kuchen.
Gibt es noch berufliche Träume?
Wenn ich weiß, dass es unseren Backomas und -opas gut geht, bin ich eigentlich schon wunschlos glücklich. Aber ein Ziel habe ich schon noch, und ich hoffe, dass dieser Traum dann auch Realität wird: Wir möchten irgendwann ein Kuchentratsch-Café am Münchner Viktualienmarkt eröffnen. Da sind immer viele Menschen, da ist was los, das stelle ich mir gerade für unsere Backomas und -opas ganz toll vor. Mal sehen, wie lange das noch dauert.
Katharina Mayer
Die deutsche Unternehmerin studierte in Salzburg Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt auf Sozial- und Gesundheitsmanagement und beschäftigte sich dabei intensiv mit gesellschaftlicher Verantwortung in der Wirtschaft. Weil sie am Studienort kein Café und keine Konditorei fand, deren Marmorkuchen sich geschmacklich mit jenem ihrer Oma vergleichen ließ, beschloss sie 2014, daraus ein Geschäftsmodell zu etablieren.