Branche
Meer Bauern
Für viele Köche ist Wildfang bei Fisch und Meerestieren das Maß der Dinge. Doch kann es sich die Gastronomie angesichts von Überfischung und Meeresverschmutzung heute überhaupt noch leisten, auf Produkte aus Aquafarming zu verzichten? FRISCH hat die Fakten und hält ein Plädoyer für das wachsende Qualitätsbewusstsein der Meeresbauern.
Ausgerechnet das Mittelmeer! Direkt vor unserer Haustüre lässt sich seit vielen Jahren beobachten, was exzessiver Fischfang bewirkt. Eine EU-Studie bewertete schon vor über vier Jahren 90 % der Bestände in diesem Gebiet als überfischt. Auch global gelten über ein Drittel der kommerziell genutzten Fische als gefährdet und über 50 % als maximal genutzt. Um dagegen etwas zu unternehmen und gleichzeitig den weltweiten Proteinbedarf zu bedienen, bedarf es also neuer Wege.
Ist weniger Fisch essen die Lösung? Keineswegs, meint der niederländische Chefkoch und Fischexperte Bart van Olphen, der sich seit Jahren für einen nachhaltigen Fischkonsum einsetzt. Er plädiert dafür, „bewusste Entscheidungen zu treffen“ und jene Fischer zu stärken, die nachhaltig und umweltbewusst arbeiten. Doch es gibt eine weitere Möglichkeit: den Umstieg auf Aquakultur, also die kontrollierte Aufzucht von im Wasser lebenden Organismen zum Verzehr – insbesondere Fischen, Muscheln, Krebsen und Algen.
Nur so sei der weltweite Proteinbedarf in Zukunft überhaupt noch abzudecken, meint deshalb auch Hanni Rützler. Aquakultursysteme betrachtet die Foodtrend-Forscherin angesichts eines weiter steigenden Fischkonsums als alternativlos. Das vorhandene Datenmaterial stützt diese These: Laut einem 2020 veröffentlichten Report zum Status der globalen Fischerei und Aquakultur (SOFIA) der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hatte die weltweite Aquakultur-Produktion 2018 bereits einen Anteil von 46 % an der globalen Fischerei. In Summe bedeutet das, dass bereits 82,1 Millionen Tonnen Fisch und Meerestiere in Aquakulturen groß werden. Während die Anzahl an in offenen Gewässern gefischten Wasserlebewesen seit den späten 1980ern relativ stabil bleibt und 2018 mit 96,4 Millionen Tonnen einen vorläufigen Höhepunkt erreichte, hat sich der Anteil von Aquakultur-Fischen im Betrachtungszeitraum 2000 bis 2018 fast verdreifacht. Bis ins Jahr 2030 soll er bereits 58 % des gesamten Fischkonsums abdecken. Tendenz weiter steigend.
Hoher Preisdruck
Doch diese neuen Geschäftschancen bedeuten auch eine verstärkte Industrialisierung der Branche. Das führt zu Preisdruck und kann sich in mangelnder Qualität niederschlagen. Während die EU etwa besonderes Augenmerk auf gesunde, sichere und hochwertige Erzeugnisse legt und Normen in den Bereichen Tiergesundheit, Tierschutz und Umweltverträglichkeit aktiv fördert, gehen andere Länder diesbezüglich laxer vor. „Die Türkei ist beispielsweise ein großer Lieferant für billigen Fisch. Während es innerhalb der EU viele gesetzliche Vorgaben für Züchter gibt, existieren in der Türkei keinerlei Regelungen. Trotzdem darf die Ware eingeführt werden. Durch die Verarbeitung des Fisches in Polen ist er dann plötzlich ein europäisches Produkt“, schildert Fischzüchter und Chefkoch Franz Kulmer die Situation und rät daher, als Käufer die Herkunft genau unter die Lupe zu nehmen. Was die Forellen-Zucht betreffe, so gäbe es Kulmer zufolge in Europa ausreichend Ressourcen für mehr Zucht, doch günstigere Ware aus dem Ausland erschwere Züchtern, konkurrenzfähig zu arbeiten. Wer als Käufer also allein auf den Preis achtet, trägt langfristig dazu bei, dass die Qualität generell schlechter wird.
Auf Nummer Siegel
Laut der deutschen Albert Schweitzer Stiftung sei allgemein zu beobachten, dass der wirtschaftliche Druck direkt proportional zur Höhe der notwendigen Investition und des technischen Aufwands steige. Daraus folgt: Je ertragsintensiver eine Tierhaltung, desto eher werde der Schutz und das Wohlbefinden der gehaltenen Tiere dem Streben nach möglichst hohen Erträgen untergeordnet, so die Organisation. Was etwa die Verwendung von Antibiotika betrifft, so dürfe man „nicht blauäugig sein“, sagt Fischzüchter Kulmer: „Natürlich geht der Trend dahin, sie ganz wegzulassen, aber wenn ein wertvoller Tierbestand krank ist und es die Möglichkeit gibt, ihn mit Antibiotika zu behandeln, dann wird das der Züchter tun. Natürlich achtet er auf die Behalte- und Wartefrist, bis sich das Antibiotikum wieder abgebaut hat. Das gibt es auch in der Bio-Zucht, nur ist dort die Frist doppelt so lang. Es ist noch immer besser, als die Tiere zu töten.“
Wer auf Nummer sicher gehen will, ist somit gut beraten, sich zu informieren oder Profis zu fragen. „Ich rate immer, von Produkten aus gewissen Regionen unserer Erde, die es mit Vorschriften nicht eng nehmen, zu verzichten“, meint dazu Fisch-Sommelier Marvin Tidili und nennt als Negativbeispiel Chile. Orientierung geben können diesbezüglich Siegel, ergänzt Tidili: „Ein erstes Indiz für ökologisch nachhaltige Aquakultur ist das Gütesiegel ASC (Aquaculture Stewardship Council) auf internationaler Ebene. Für Wildbestände ist das MSC (Marine Stewardship Council)-Siegel am bedeutendsten. Bei uns in Deutschland gibt es außerdem die Gütesiegel Naturland und Bioland. Von Produkten ohne Siegel sollte man Abstand nehmen.“
Zu betrachten ist ebenfalls, dass Aquakultur nicht automatisch in natürlichem Gewässer erfolgt. Während dies bei Meeresfischen fast immer der Fall ist, werden Süßwasserfische oft in künstlich angelegten Becken gezüchtet. Anders ist es heute kaum noch möglich, erklärt Kulmer: „In Österreich ist es mittlerweile sehr schwer, eine wasserrechtliche Bewilligung für eine Fischzucht mit natürlichen Wasserressourcen zu bekommen.“ Hier geht es für den Fischexperten daher um Bewusstmachung: „Man wird aufgrund des Bevölkerungswachstums künftig bestimmte Arten und Trends der Fischzucht einfach akzeptieren müssen.“
Faktor Transparenz
Auch weil aufgrund verschmutzter Meere eine hohe Qualität von Wildfang nicht mehr weltweit garantiert werden kann, spricht also einiges für Aquakultur.
Entscheidend ist letztlich aber die Frage nach der Art und Weise, wie Aquakulturen betrieben werden. „Da muss man differenzieren und kann nicht von Aquakulturen generell sprechen“, meint Marvin Tidili: „Der Produzent muss seine Zuchtmethoden transparent machen, damit wir Massentierzucht von guter Aquakultur unterscheiden können. Der Austausch mit Branchenkollegen über ihre Erfahrungen mit verschiedenen Produzenten hilft mir dabei zusätzlich“, erklärt der Fisch-Sommelier, dessen Familie seit über 70 Jahren einen Fischhandel auf Wochenmärkten betreibt: „Am liebsten ist mir nach wie vor Wildfang. Leider ist ein solches Angebot heute nicht immer vertretbar. Aber wer auf Fanggebiete und Meere achte, auf Laichzeiten, Saisonen und die Fangart, könne durchaus auch Wildfang anbieten, meint er und ergänzt dann: „Oder man hat einen Lieferanten, der diese aufwändige Qualitätskontrolle verlässlich übernimmt.“ KRÖSWANG hat beispielsweise einen großen Teil seines Meeresfisch-Sortiments auf MSC-Qualität umgestellt. „Auch wir wollen damit einen Beitrag leisten, die Überfischung der Meere zu stoppen“, erklärt die Maßnahme Manfred Kröswang. Ihm geht es dabei auch um die Qualität für den Kunden: „Die meisten Großhändler kaufen Meeresfische bei Importeuren. Das ist zwar einfacher, allerdings gibt man damit die Qualitätskontrolle aus der Hand. Aus diesem Grund beziehen wir viele Meeresfische im Direktimport containerweise aus Asien. Wir haben dazu jeden Produktionspartner vor Ort selbst unter die Lupe genommen und beschäftigen einen eigenen Qualitätsmanager, der jeden Container kontrolliert, bevor er verschifft wird. Damit können wir unseren Kunden die Sicherheit geben, ausschließlich beste Qualität zu liefern.“
Nachhaltige Entwicklungen
Entscheidende Faktoren für die Fischqualität sind auch bei Aquakulturen Besatzdichte und Wasserqualität. Während bei Netzgehegen im Meer die Meeresströmung und bei Durchflussanlagen Bäche und Flüsse für stetig frisches, nährstoffreiches Wasser sorgen, erfolgt die Reinigung in Kreislaufanlagen mit Maschinen und chemischen Zusätzen. Sauberes Wasser ist für die Tiere aber essenziell zum Atmen, zur Fortbewegung, Fortpflanzung sowie zur Futteraufnahme. Schlechte Wasserqualität macht sie anfälliger für Krankheiten und hinsichtlich der Besatzdichte gilt vereinfacht ausgedrückt: Je mehr Tiere pro Kubikmeter Wasser, umso schneller muss das Wasser getauscht oder gereinigt werden. Ist die Besatzdichte zu hoch, wie beispielsweise in den riesigen Garnelen-Farmen in Vietnam und Thailand, kann sich das in mehrerlei Hinsicht negativ auf das Wohlbefinden der Tiere und die Qualität des Fleisches auswirken. Denn die Monokulturen mit dichtem Besatz in engen Betonbecken machen häufig den Einsatz von Antibiotika, Fungiziden, Parasitiziden, Algiziden und Pestiziden notwendig, um Krankheiten vorzubeugen. Das kann dazu führen, dass Rückstände von Antibiotika im Endprodukt verbleiben.
Happy Black Tigers
Deshalb spielen auch bei Aquakultur Art und Herkunft eine immer wichtigere Rollen. Dabei haben es Großhändler wie KRÖSWANG und die Gastronomie selbst in der Hand, umweltverträglichen Fischkonsum zu fördern. Plakatives Beispiel für die Verbindung von naturnaher Aquakultur und Nachhaltigkeit sind die bei KRÖSWANG erhältlichen Black Tiger Garnelen der Marke Blue Label. Sie wachsen in von Meerwasser gespeisten Mangrovenwäldern der vietnamesischen Provinz Cá Mau heran. Dort legen sie in den Zuchtkanälen versorgt mit natürlicher Nahrung wie Kleintieren, Plankton und Pflanzen ehrliches Gewicht zu. Eine zusätzliche Fütterung ist unnötig. Das hat den Vorteil, dass Blue Label Garnelen im Gegensatz zu Billigware, die mittels spezieller Fütterungsmethoden oftmals künstlich „aufgepumpt“ wurde, nur einen minimalen Garverlust aufweisen. Durch die geringe Besatzdichte von maximal 25 Shrimps pro m³ Wasser braucht es auch keine Antibiotika-Zugabe. Die Ernte erfolgt ausschließlich zu Vollmond und Neumond, wenn die Tiere in Richtung Meer wandern, um sich dort zu vermehren. Auf ihrer Wanderung werden sie in den Zuchtkanälen gefangen. Weiterer Vorteil: Im Vergleich zum sonst üblichen Fang mittels Schleppnetzen wird bei dieser schonenden Fangmethode der Meeresgrund nicht beschädigt.
Natur nutzen
Ist nun also Frischfang oder Aquakultur nachhaltiger und umweltschonender? Falsche Frage meint Koch und Fischexperte Markus Kieslich. Letztlich seien für die Beantwortung immer Fang- und Tötungsmethoden und/oder Aufzuchtbedingungen sowie Fütterungsart ausschlaggebend. Wenngleich er bei Fisch und Meeresfrüchten grundsätzlich auf Regionalität setzt, greift er deshalb nach wie vor gerne auf Meeresfische zurück. Die genannten vier Kriterien gelten für ihn dabei gleichermaßen. Als Beispiel nennt Kieslich den Cobia aus der panamaischen Aquakultur von Open Blue™, eine weniger bekannte Fischart aus der Familie der Stachelmakrelen. Der Premiumfisch wird in sogenannter Marikultur, fernab der küstennahen Ökosysteme, in Tiefwasser-Plattformen mit natürlicher Ernährung, ohne Antibiotika oder Hormonen aufgezogen. Das dank starker Meeresströmung sauerstoffreiche Wasser des atlantischen Ozeans sowie eine maximale Besatzdichte von 25 kg pro m³ bieten ihm optimale Bedingungen in seiner angestammten Umgebung. Das Schwimmen in der Strömung macht ihn außerdem „stark“. Zudem belastet diese Kilometer von der Küste entfernte Aquakultur in einer Tiefe von 30 Metern weder das lokale Ökosystem noch die Fische.
Verantwortung am Teller
Am Ende macht sich also eine artgerechte und weitgehend natürliche Haltung und sorgsame Pflege der Tiere immer positiv im Geschmack und der Fleischqualität bemerkbar. Das gilt für Marikulturen genauso wie für landbasierte Farmen.
Soll es dennoch Wildfang sein, dann plädiert Fischzüchter und Restaurantbesitzer Kulmer dazu, artspezifisch zu entscheiden: „Wir tragen Verantwortung am Teller und gehen Kompromisse aus gesellschaftlicher Ethik ein. Ich kann nicht einfach alles wegfischen, nur weil es ein Wildfang sein soll.“ Dennoch könne man auch bei Wildfang nicht alles über einen Kamm scheren: „In der Ostsee haben sich gebietsfremde Krabben angesiedelt, die die angestammten Tiere fressen und das Ökosystem durcheinanderbringen. Da habe ich keine Scheu, auf Wildfang zurückzugreifen.“ Kulmer zufolge gehe es darum, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass nicht mehr geerntet werden könne, als die Natur hergibt. Dem stimmt auch Fisch-Sommelier Tidili zu: „Die Aquakultur ist die Zukunft und ihr sollte man künftig mehr Beachtung und Wertschätzung entgegenbringen, sonst wird es leider in 50 Jahren keine Wildbestände mehr geben.“
Interview
„Nachhaltige Aquakulturen sind ein Gewinn.“
Wenn bei Markus Kieslich Fisch auf den Teller kommt, dann hat er ein klares Motto: zuerst regional, dann aus nachhaltiger Aquakultur und wenn Wildfang, dann Handgeangelt.
Was spricht generell für Fische und Meeresfrüchte aus Aquakultur? Was spricht (noch) für Wildfang?
Aus meiner Sicht spricht ganz viel für eine verantwortungsvolle Aquakultur. Von der Aufzucht bis zum Verkauf kann hier ein gutes Lebensmittel für den Verbraucher erzeugt werden, ohne die ohnehin schon belasteten Meere weiter zu schröpfen. Vor allem der Beifang und die Zerstörung des natürlichen Lebensraums sind für mich inakzeptabel.
Bezüglich Qualität und Geschmack: Ist Aquakultur heute schon der bessere Wildfang? Kann Aquakultur mithalten?
Ganz klar ja. Bei einer verantwortungsvollen Aquakultur, wo ausschließlich bestes Bio-Futter eingesetzt wird, die Garnelen viel Platz haben und langsam unter perfekten Wasserbedingungen aufwachsen können, entsteht dieser schön süße und nussige Geschmack – ein absolutes Gourmeterlebnis. Aquakulturen sind deshalb ein echter Gewinn für uns Menschen. Die Züchtung von Meeresfrüchten auch in regionaler Aquakultur ist deshalb ein Trend, der die letzten Jahre stark zugenommen hat.
Was Fische aus Mari-Aquakultur betrifft, so liebe ich den Ora King Lachs aus Neuseeland – sein orangerotes Fleisch ist ein wahrer Traum – und den Cobia, auch „Black Kingfish“ genannt, von Open Blue™ aus Panama. Beide Produzenten haben hervorragende Offshore-Aquakulturen.
Welche Fische und Meeresfrüchte würden Sie heute noch aus Wildfang beziehen und warum?
Ich beziehe wirklich nur in absoluten Ausnahmefällen Wildfang für meine Kochschule oder über meinen Freund, den Fisch-Sommelier Marvin Tidili vom Gelsenkirchener Fischhandel Tidili. Bei ihm bekomme ich zu 100 % einen handgeangelten Wildfang und das ist für mich sehr gut vertretbar.
Grundsätzlich lautet mein Motto beim Fischeinkauf ganz klar, regional, wo regional geht, und ansonsten darauf zu achten, wie und wo die Fische gefangen wurden. Ist die Population schon bedroht, lieber Finger weg. Zerstören dabei Schleppnetze den Meeresgrund, dann auch Finger weg. Wir haben in Deutschland, Österreich oder auch der Schweiz den Luxus, hervorragende Fische aus heimischen Gewässern fast flächendeckend zu bekommen, so sollten wir auch darauf zurückgreifen.
Würden Sie regionale Aquakultur internationaler Aquakultur vorziehen?
Beides hat seine Qualitäten. Das A und O sind die Aufzuchtbedingungen, das eingesetzte Futter, eine respektvolle Tötung und absolute Frische. Für mich ist da eher zu entscheiden, wie beziehungsweise womit gefüttert wird. Wie sehen die Haltungsbedingungen aus? Ist die Besatzdichte nicht zu hoch? Wird nachhaltig gezüchtet? Das sind für mich wichtige Fragen. Da gibt es national wie international vorbildliche Anbieter mit super Anlagen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Markus Kieslich
Ist Koch, Kochkursleiter, Showkoch, Eventcaterer und Inhaber einer Gewürzmanufaktur. Erfahrung sammelte er unter anderem bei Alfons Schuhbeck und Feinkost Käfer, wo er die Leitung der Frisch-Fisch-Abteilung innehatte. Bei Crusta Nova, Betreiber einer landbasierten Farm für Salzwassergarnelen sowie einer Seafood Boutique, war er für die Leitung des Weißbereiches zuständig.