Panorama

Scherbenpoesie

Auch in Europa begeistern sich immer mehr Menschen für die Jahrhundertealte japanische Handwerkskunst Kintsugi. Im Atelier von Yamuna Valenta in Wien wird greifbar, wie viel Poesie darin steckt, wenn die Scherben zerbrochenen Geschirrs mit Hilfe von Urushi-Lack und Metallstaub wieder zusammenfinden.

„JEDES KINTSUGI-STÜCK IST UNVERWECHSELBAR UND EINZIGARTIG. DAS MACHT SEINEN WERT AUS.“ (YAMUNA VALENTA, KINTSUGI-KÜNSTLERIN ATELIER KINTSUGI & URUSHI, WIEN)

Knall, Krach, Schepper: Gastronomen kennen das Geräusch, wenn wieder mal edle Teller am Boden zerdeppern. Wohl auch deshalb ist die aus Japan stammende Kintsugi-Technik bereits in den heimischen Top-Restaurants angekommen. Helmut Rachinger vom Mühltalhof war einer der Ersten, der ausgeschlagenen Stücken ein zweites Leben gönnte. Heute praktiziert man die fernöstliche Keramikreparatur aber auch im Steirereck, im Hamburger 100/200 oder in Lukas Kienbauers Izakaya in Schärding.

Wörtlich bedeutet Kintsugi „mit Gold fügen“. Dabei müssten die Bruchlinien auf Tellern, Tassen und Vasen gar nicht unbedingt mit dem teuren Metall veredelt werden, meint Yamuna Valenta. Die Wienerin ist eine der ganz wenigen in Österreich, die in ihrem Atelier Geschirr mit der sehr aufwändigen traditionellen Technik aus Japan repariert und kein Epoxidharz verwendet: „Für mich ist echter Urushi-Lack beim Kleben entscheidend“, erklärt die Keramikerin, die an der Universität für angewandte Kunst Industriedesign studiert hat: „Meine Beschäftigung mit dem Thema begann damit, dass ich einen Kleber suchte, der lebensmittelecht ist.“ Diese Recherche führte sie sogar ins Labor von Henkel. Aber keiner der modernen Hochleistungskleber konnte sie richtig überzeugen. „Für mich geht es bei Kintsugi neben dem ästhetischen Aspekt sehr stark um den Nachhaltigkeitsgedanken. Deswegen ist es mir wichtig, Urushi-Lack zu verwenden. Er wird aus dem Saft des Urushi-Baumes gewonnen und ist extrem beständig, wenn er richtig verwendet wird. Es gibt Kintsugi-Schalen, die damit schon tausend Jahre zusammenhalten“, erklärt sie.

Die Fertigkeiten und das Wissen, die es für solche Langlebigkeit braucht, hat Valenta von gleich mehreren Studienaufenthalten in Japan mitgebracht. An der Tokyo University of the Arts und der Universität Kyoto lernte sie beispielsweise, wie wichtig die richtige Luftfeuchtigkeit für das Trocknen des Lacks ist, der in mehreren Schichten aufgebracht wird, um die Klebestellen zu verbinden. „Urushi braucht hohe Luftfeuchtigkeit, damit er langsam aushärten kann. Ich habe mir sogar einen Schrank eingerichtet, in dem ein spezielles Gerät die Luftfeuchtigkeit bei etwa 75 – 80 % hält.“

Veredelung in vielen Tönen

Die Veredelung mit Goldstaub, die die meisten Menschen mit Kintsugi in Verbindung brächten, brauche es dagegen nicht zwangsläufig, meint sie. „Man kann die Linien auch schwarz lassen oder einen rötlichen Urushi-Ton wählen. Aber natürlich sind neben Goldstaub auch Silber oder Bronze möglich – je nachdem, was besser zum jeweiligen Stück passt“, erzählt sie, während sie mit einem dünnen Pinsel Silberstaub auf die noch vor 10 Minuten mit Urushi-Lack bearbeitete Bruchstelle tupft. Dadurch, dass die Stücke im Humidor trocknen, haften die Silberpartikel ganz von allein auf der Oberfläche des Lacks. Sie sinken sogar in ihn ein und verbinden sich damit. Durch einige gekonnte Striche finden die verschiedenen Oberflächen schließlich wunderbar homogen zueinander.

Ein aufwändiger Prozess, der für den Lack ca. 3 Euro pro Zentimeter Bruchlinie kostet. Je nachdem, ob gar nicht, mit Silber, Gold oder Platin veredelt wird, kommt noch einiges dazu. Für eine Goldveredelung beispielsweise 10 Euro pro Zentimeter Naht. Generell hänge es aber auch immer von der Komplexität der Brüche ab, auf welchen Preis sich Valenta mit ihren Kunden schließlich einigt.

Geduld müssen sie allerdings jedenfalls mitbringen. Eine aufwändige Reparatur könne schon mal ein Monat oder länger dauern. Die Objekte gewinnen dabei aber auch an Wert. „In Japan bringt man Kintsugi-Keramik hohe Wertschätzung entgegen“, erzählt die Restauratorin. „Sie bekommen durch die Reparatur und die intensive Beschäftigung damit eine ganz eigene Geschichte. Außerdem werden die Objekte absolut einzigartig, denn keines bricht exakt gleich. Jedes Kintsugi-Stück wird dadurch unverwechselbar und speziell. Darin drückt sich eine ganze Philosophie aus.“

Diese Ästhetik des Unperfekten und der Ansatz, Brüche nicht zu verbergen, sondern ihnen mit Hilfe von Goldstaub echten Wert zu geben, spricht auch in Europa immer mehr Menschen an. Denn Probleme, Brüche und Herausforderungen hatten Gastronomen wie Gäste in den letzten Jahren wohl einige zu meistern.

„ICH MERKE, DASS SICH DIE MENSCHEN SEIT ZWEI ODER DREI JAHREN VERSTÄRKT FÜR KINTSUGI INTERESSIEREN.“ (YAMUNA VALENTA, KINTSUGI-KÜNSTLERIN ATELIER KINTSUGI & URUSHI, WIEN)

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