International
Wie bitte?
Singapur ist Gigantomanie pur. Fast sechs Millionen Menschen erwirtschaften in dem südostasiatischen Stadtstaat eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte der Welt. Und weil Essengehen Teil der nationalen Identität ist, spiegelt sich das in einer unfassbar vielfältigen Gastroszene. Mittendrin: Vier Gastroprofis aus Österreich.
Das ist Asien light hier“, lacht Tanja Jesemann auf die Frage, warum so viele Ausländer in Singapur ihr Glück versuchen. Die Kärntnerin entschloss sich nach einer steilen Gastrokarriere in München vor mehr als fünf Jahren, mit ihrem Mann in den erst seit 1965 unabhängigen Stadtstaat am äußersten Zipfel von Malaysia zu ziehen: „Ich habe mich schon Anfang der 90er als Backpackerin in die Region verliebt. Daher wusste ich, dass Singapur der ideale Einstieg in Asien ist. Eigentlich funktioniert alles genauso geregelt wie in Deutschland, aber gleichzeitig gibt es diese kulturelle und ethnische Vielfalt. Alles ist sehr schnelllebig, gleichzeitig traditionell und absolut am Puls der Zeit“, schwärmt sie von ihrer neuen Heimat. Wie bunt die Blüten sind, die die kulinarische Offenheit der Singapurer hervorbringt, zeigt Jesemanns Job: Sie ist General Managerin des Paulaner Bräuhauses in Marina Center. Das Viertel liegt sehr zentral in unmittelbarer Nähe zu so futuristisch-verwegenen Bauwerken wie dem größten Riesenrad der Welt (Singapore Flyer), den fast 30 Meter hohen, grell leuchtenden Techno-Bäumen des OCBC Skyway oder dem Marina Bay Sands, auf dessen drei mächtigen Türmen ein riesiges Schiff gestrandet zu sein scheint.
Streetfood-Himmel
Der Kontrast zum Interieur des heuer 25-Jahr-Jubiläum feiernden Bräuhauses könnte nicht größer sein: Die Gäste des Erfolgskonzepts in 10.000 Kilometer Entfernung vom Oktoberfest sitzen um einen originalgetreuen Maibaum in Weiß-Blau und bestellen zur Stelze gerne eine direkt vor Ort gebraute Maß. Typisch Gastro in einem der reichsten Staaten der Welt: Alles kann, nichts muss. Die Paulaner-Wirtin führt diese Ausgeh- und Experimentierfreude auch auf mangelnde Freizeitalternativen und die beengten Wohnverhältnisse zurück: „Die Wohnungen hier sind winzig, oft leben mehrere Generationen zusammen. Deswegen sind die Menschen so wenig wie möglich zu Hause. Neben Shoppen und Sport ist gemeinsames Essengehen die beliebteste Aktivität. Das sieht man besonders in den Hawker Centers, die so eine Art verlängertes Wohnzimmer für die Einheimischen sind“, klärt sie auf.
Hawker Center sind Hallen, die so groß sein können wie ein ganzes Fußballfeld und bis zu 100 jeweils etwa neun Quadratmeter große Ministände beherbergen. Der Hong Lim, Newton oder Maxwell Food Center in China Town sowie der Geylang Serai Hawker und Amoy Street Food Market sind nur die bekanntesten. Dort wandert typisches Streetfood aus Singapur über die Tresen: Hainanese Chicken Rice, Chili Crab, Black Pepper Beef oder die lokale Süßspeise Putu Pirin. Das Besondere: Jeder Stand konzentriert sich auf ein einziges Gericht, das möglichst perfekt zubereitet wird. Selbst der Guide Michelin hat deshalb schon bei seiner ersten Stadtausgabe 2016 an Standler Chan Hong Meng einen Stern für sein in Soyasauce geschmortes Huhn mit Reis für rund drei Euro vergeben. Obwohl der Hype um Liao Fan Hong Kong Soya Sauce Chicken Rice & Noodle mittlerweile verebbt ist und der Stern verloren ging, zeigt das Beispiel dennoch, wie viel Wert die Menschen in der Millionenstadt auf gutes Essen legen. „Kulinarik und Gastronomie ist ein wesentlicher Teil unserer Identität“, meint dazu KF Seetoh, Gründer des Makansutra Food Guide und Kulinarik-Scout, der schon TV-Ikone Anthony Bourdaine in die Geheimnisse der lokalen Märkte eingeweiht hat. „Wir sind ein sehr junges Land, das von verschiedenen Einwanderergruppen und Kulturen geprägt ist. Wir haben keine eigene Sprache, keine alten Lieder und keine gemeinsamen Traditionen und Wurzeln. Wir haben nur das Essen“, unterstreicht er, wie wichtig die Kulinarik in Singapur als kleinster gemeinsamer Nenner einer extrem diversen ethnischen und religiösen Gemeinschaft ist.
Kulinarische Liebesheirat
Diese Besonderheit spiegelt sich in der so genannten „Peranakan“-Küche wider. Als „Peranakan“ oder „Nyonya“ bezeichnen sich die Einwohner Singapurs, die ihre Familiengeschichte auf die Beziehung von Immigranten aus Südchina mit Frauen aus Malaysia und Singapur zurückführen. Die malayischen Frauen begannen etwa ab dem 15. Jahrhundert für ihre Ehemänner Lieblingsspeisen aus Südchina nachzukochen, verwendeten dafür aber Kochtechniken und Zutaten aus ihrer eigenen malayischen Küche. So entstand ein spannender kulinarischer Hybrid, in den bald auch indische Elemente aufgenommen wurden. Denn über britische Händler fanden typisch indische Gewürzmischungen durch die Straße von Malaka nach Singapur.
Ein typisches Gericht dieser Küche ist „Laksa Lemak“. Basis dafür ist eine chinesische Nudelsuppe mit dicken Reisnudeln oder dünnen Reis-Vermicelli. Seinen unverwechselbaren Geschmack bekommt es über sein Rempah, eine Mischung aus malayischen und indischen Gewürzen, und die Zugabe von Kokosmilch, die die Suppe extrem reichhaltig macht. Getoppt wird dann meist mit Garnelen.
Mittlerweile nehmen sich auch gehobene Restaurants solcher Peranakan-Spezialitäten an. Im Coconut Club der Lo & Behold-Gruppe, die auch den französischen Dreisterner Odette im Portfolio hat, betreibt man dafür einen irren Aufwand. Der Basmatireis für die verschiedenen Gerichte wird dort mit der Milch aus täglich frisch in einer eigenen Plantage geernteten Premium-Mawa-Kokosnüssen gedämpft. Unglaublich. Mit dem Candlenut von Ausnahmekoch Malcolm Lee gibt es daneben sogar eine besternte Fine-Dining-Adresse, wo man die Hausmannskost der Nyonyas auf höchstem Niveau und mit modernem Spin verkosten kann.
Malayisch-südchinesische Omaküche Seite an Seite mit bayerischer Bierseligkeit: Dieser extreme Kontrast illustriert treffend, wie unglaublich vielfältig die Gastrokonzepte der Metropole am Südzipfel Asiens sind. Über 12.000 Restaurants soll es geben. Zum Vergleich: In Wien sind es auf etwas weniger Fläche gerade einmal 2.000. „Der Wettbewerb ist dadurch natürlich enorm“, ordnet Klaus Leopold ein, was das für Gastronomen konkret bedeutet. „In unserer Straße reiht sich ein Lokal ans andere und spätestens alle zwei Jahre wird alles komplett umgedreht – manche schaffen sogar nur ein Jahr.“ Diese Aussage macht erst wirklich fassbar, wie erfolgreich Leopold mit seiner gleichnamigen Gastrobar auf der Tanjong Pagar Road mitten in Singapurs China Town ist. Umgeben von koreanischen Barbecue-Restaurants serviert der Absolvent der Tourismusschulen von Bad Ischl und Krems hier schon seit 2014 sehr erfolgreich Schnitzel, Schweinsbraten, Backhendl und Co. „Ich profitiere von den fünf großen Hotels um uns herum und den vielen Expats, die auf ein Glas bei mir vorbeischauen“, meint der Vollblutgastronom, der 2011 mit 19 Jahren nach Asien kam. Leopold importiert über seine Vinothek seit 2015 nämlich auch österreichische Weine: „Das war eine Marktlücke in Singapur“, erzählt er. „Es gibt zwar 600 Importlizenzen für Wein, aber die meisten werden aus der neuen Welt eingeführt.“
„Wir haben kaum gemeinsame Traditionen oder Wurzeln. Wir haben nur das Essen.“(KF Seetoh, Streedfood Experte, Makansutra Food Guide, Singapur)
Teure Genüsse
Der Weindealer kann deshalb auch erklären, warum die Lebenshaltungskosten in Singapur nach wie vor zu den höchsten der Welt gehören. „Die Regierung besteuert Genuss extrem hoch. Auf jede Flasche Wein, die ich importiere, wird eine Alkoholsteuer von sechs bis sieben Euro fällig. Da sind die Transportkosten noch gar nicht eingerechnet.“ Selbst im Supermarkt kostet eine günstige Flasche deshalb meist jenseits der 20 Euro, im Lokal ab 70 Euro aufwärts. Ein Glas Bier schlägt mit sieben bis über 12 Euro zu Buche. Noch schlimmer seien aber die Kosten für Miete und Pacht, meint Leopold: „Ich habe das Gefühl, dass die Preise wieder gestiegen sind, und zwar jetzt nicht nur in der Innenstadt, sondern auch in den Randbezirken.“
8.000 Euro pro Monat für ein 120 Quadratmeter großes Lokal sind in Singapur selbst in Randlagen keine Seltenheit. Das liege auch daran, dass Miet- und Pachtverträge generell spätestens alle drei Jahre neu verhandelt werden, weiß Dr. Martin Bém. Der studierte Ökonom aus Wien mischt seit 1999 mit Konzepten wie seiner Brotzeit-Kette am Gastromarkt in Singapur kräftig mit. Sein neuester Streich ist die Mikro-Brauerei LeVel33 im 33. Stockwerk eines Towers des Marina Bay Financial Centers mit atemberaubendem Blick auf die Sahnestücke der Skyline. Für die höchstgelegene Brauerei der Welt ließ er sich die Brauanlage vom Wiener Spezialisten O.Salm & Co. via Kran in sein 156 Meter über dem Gehsteig gelegenes Stockwerk hieven. Vor allem wegen der speziellen Pachtregelungen ein gewaltiges finanzielles Risiko, wie er erklärt: „Die kurzen Pachtzeiträume bedeuten, dass man sein Restaurant innerhalb von drei Jahren bauen, am Markt bekannt, profitabel machen und dann noch Gewinn erwirtschaften muss. Es bleibt also keine Zeit, nachzujustieren oder die Positionierung zu verändern. Man muss vom ersten Tag an alles richtig machen!“
Wenn das gelingt, bleibt dafür aber genug in der Kasse. Singapur ist dank seiner bevorzugten Lage an der Meerstraße von Malaka nämlich nicht nur eine brummende Handelsnation mit dem größten Hafen der Welt und weit über 300 Milliarden Euro Exportvolumen jährlich. Es belegt auch Platz vier der 17 größten Steueroasen. So beträgt der Steuersatz für Expats maximal 22 Prozent und ein durchschnittliches Nettoeinkommen liegt über 4.400 Dollar. Außerdem besuchen jedes Jahr elf Millionen Touristen die Stadt.
Ideale Voraussetzungen für Gastrounternehmen, die zig internationale Top-Res-
taurantmarken und ausländische Spitzenköche anlocken. Plakativstes Beispiel dafür ist der Marina-Bay-Sands-Komplex, in dem Daniel Boulud ein Bistro mit Austernbar betreibt, Gordon Ramsay einen Ableger seiner Bread Street Kitchen und der australische Starkoch Tetsuya Wakuda seinen Zweisterner Waku Ghin. Selbst Wolfgang Puck ist mit dem Serial-Steakhouse Cut und einer Spago-Dependance vertreten.
„Die Regierung besteuert Genuss extrem hoch. Vor allem Alkohol ist teuer.“(Klaus Leopold, Eigentürmer, Leopold Gastrobar & Vinothek, Singapur)
Endloses Best of
Spannender als eines der Restaurants mit großem Namen, wo die Chefs selbst nur selten hinterm Herd stehen, ist aber die Neuinterpretation klassisch britischer Küche von Kirk Westaway im Jaan. Oder die moderne französische Haute Cuisine von Julien Royer im mit drei Sternen ausgezeichneten Odette. Auch nicht schlecht: die wilde Mischung japanischer Einflüsse und italienischer Tradition bei Seita Nakahara im Terra oder die indischen Sterneküchen von Rishi Naleendra und Mano Thevar im Cloudstreet beziehungsweise im Thevar.
Selbst die New-Nordic-Bewegung hat im schwülwarmen Asien mit dem Zén von Chefkoch Björn Franzén in einem bezaubernden dreistöckigen Shophouse auf der Bukit Pasoh Road einen Vertreter. Auf der Speisekarte des Dreisterners findet sich die Luxusvariante nordischer Küche mit einem Touch japanischen Einflusses. Bei Kreationen wie Abalone-Muscheln mit Foie Gras und schwarzem Trüffel oder gereifter Shima-aji (gestreifte Makrele) mit geröstetem Kaffeeöl muss man sich allerdings schon fragen, was das noch mit den ursprünglich hehren New-Nordic-Prinzipien zu tun hat.
Allein dieses noch beliebig verlängerbare „Best of“ zeigt aber auch: Es wird immer enger im begrenzten Gastromarkt des Stadtstaates mit seinen lediglich 728,6 km² Fläche. „Ich denke, wir steuern auf eine Marktbereinigung zu. So geht es nicht weiter“, meint etwa Tanja Jesemann. „Vor 15 Jahren war Singapur noch der Wilde Osten und die Regierung wollte Expats auch in der Gastronomie. Heute müssen wir 3,5 Singapurer beschäftigen, bevor wir einen Ausländer anstellen dürfen“, erklärt sie. Österreichisches oder deutsches Fachpersonal werde deshalb nur noch für Top-Positionen gesucht. „Der Aufwand für die Anträge und Arbeitsgenehmigungen ist einfach zu hoch. Außerdem müssen wir unabhängig von der Position für jeden Ausländer einen sehr, sehr hohen Mindestlohn bezahlen.“ Dabei könnte Jesemann die Unterstützung gut gebrauchen: „Auch wir in Singapur haben ein massives Mitarbeiterproblem. Der F&B-Markt ist riesig und alle kämpfen um den gleichen Talentepool.“
Fürs Aufhören ist ihr die Aufgabe im Betrieb aber doch zu spannend. „Ich konnte das Paulaner Bräuhaus in den letzten Jahren aus dem Dornröschenschlaf wecken. Außerdem habe ich noch viel vor. Wir wollen beispielsweise mehr Vegetarisches anbieten.“ Also doch für immer bleiben? Eher nicht, meint sie, denn: „In Rente gehen kann man sich hier schlicht nicht leisten.“
3 Konzepte
Singapur Swing
1– Candlenut
Omaküche mit Anspruch
Die Küche der Peranakan ist an sich einfache Hausmannskost, die ab dem 15. Jahrhundert von den malayischen Frauen südchinesischer Einwanderer entwickelt wurde.Malcolm Lee ist es zu verdanken, dass er mit seinem Sternelokal Candlenut beweist, welch geschmackliches Potenzial in ihren Rezepten steckt. Bei seinem „Amah-Kase-Menü“ spielt etwa die namensgebende Nuss eine Hauptrolle, die in Asien „Buah keluak“ heißt und eigentlich giftig ist. Ihre Samen werden erst durchs Kochen essbar und bilden dann die Basis für Currys oder Schmorgerichte. Durch den hohen Öl- und Glutamatanteil der Candlenut-Samen werden Gerichte wie Lees Schmorhuhn nicht nur knallig würzig-scharf, sondern umschmeicheln den Gaumen auch mit einer herrlich tief-nussigen Umami-Note. Ürigens: „Amah“ heißt Großmutter im chinesischen Hokkien-Dialekt. Nette Referenz an die Oma!
2 – Tai Hwa Pork noodle
Streetfood mit Stern
Hill Street Tai Hwa Pork Noodle ist nur einer von mehr als 6.000 Streetfood-Ständen in Singapur. Gegründet wurde er schon in den 30er Jahren von Tang Joon Teo, dessen Rezept von seinen Nachfahren noch heute originalgetreu nachgekocht wird. Für sein „Bak Chor Mee“ werden die für die Chaoshan-Region in China typischen gelben Nudeln durch schwarzen chinesischen Reisessig und Chili-Paste gezogen, die auch die Basis für die geniale Sauce bilden. Dazu gibt es in diesem Fall noch Schweinshack, Schweinsleber, Grieben und ein extrem knuspriges Stückchen getrocknete Scholle. Kaum zu glauben, dass der Guide Michelin dafür schon 2016 einen Stern vergeben hat. Seitdem sind die Schlangen vor dem Tresen so lang, dass man mindestens eine halbe Stunde warten muss. Meist länger.
3 – Paulaner Bräuhaus
Oktoberfest in Singapur
O´zapft is! Noch bis 31. Oktober können die Gäste im Paulaner Bräuhaus Oktoberfest feiern. Inklusive Indoor-Maibaum, Lederhosen und extrastarkem Salvator Bockbier. Letzteres wird auf eigenen Anlagen direkt vor Ort vom extra eingeflogenen Braumeister gebraut. Wer jetzt denkt: Nett, aber die werden mit dem Konzept in Asien keine zwei Jahre überleben, irrt. Parallel zur Oktoberfestsause begeht das Team um Tanja Jesemann nämlich 25-Jahr-Jubiläum. Die hohe Akzeptanz unter den asiatischen Gästen führt die General Managerin unter anderem auf die kulinarischen Schnittmengen zwischen ihrer alten und neuen Heimat zurück. Vor allem die Schweinshaxe aus dem Ofen mit dunkler Biersauce und „Dumplings“ wäre ein Renner auf der Karte, meint sie. Genauso wie die halbe „Munich Duck“. Dafür, dass bei solchen Gerichten die Qualität passt, sorgt übrigens ein Schweizer Metzger. Verrücktes Singapur!
Interview
„Das ist eine Stadt zum Arbeiten.“
Der Tiroler Stephan Zoisl lebt seit vielen Jahren in Singapur und betreibt seit 2015 dort sein Fine-Dining-Konzept Chef´s Table. FRISCH erzählt er, wie er in Asien zum Gastrounternehmer wurde und warum dort eine private Krankenversicherung so wichtig ist.
Seit wann leben und arbeiten Sie in Singapur, Herr Zoisl?
Ich bin 2007 nach einem Jahr als Sous-Chef im Gaumenspiel in Wien hergekommen und habe zuerst für das Novus Restaurant gearbeitet. Dazwischen war ich noch auf Stagier bei Heston Blumenthal im Fat Duck und im Alinea in Chicago. Aber seit 2013 bin ich selbstständig, habe Gastrokonzepte entwickelt und war F&B-Berater.
Ihr Chef´s Table by Chef Stephan gibt es nun schon seit sieben Jahren. Was ist das Besondere daran?
Wir servieren ein westliches Omakase-Menü mit jeweils 28 Zutaten, die sich mit der Saison ändern. Die Gäste sollen bei uns kein Gericht zweimal essen und uns in der offenen Küche bei der Zubereitung zuschauen können. Meine sechs Köche übernehmen außerdem den Service für die 34 Plätze selbst. So haben die Gäste ein besseres Gastroerlebnis und für mich reduzieren sich die Personalkosten.
Am Gastromarkt in Singapur herrscht eine riesige Konkurrenz. Konnten Sie Ihren Chef´s Table schnell etablieren?
Das erste Jahr war schon sehr hart. In meiner Straße gibt es links und rechts von mir noch zehn bis fünfzehn weitere Lokale. Da muss man erst einmal bestehen und auf sich aufmerksam machen. Außerdem lief mein Pachtvertrag nur über zwei Jahre. Ich musste mich also schnell etablieren. Aber durch Mundpropaganda sind immer mehr Gäste gekommen und nach sechs bis sieben Monaten habe ich gemerkt, dass sich der Umsatz in die richtige Richtung entwickelt.
Ist Gründen als Ausländer nicht generell sehr schwer in Asien?
In Singapur überhaupt nicht. Meine Eltern hatten ein Restaurant in Zirl/Tirol. Im Vergleich dazu, wie sich Gastronomen in Österreich mit Behörden rumplagen mussten, ist das hier überhaupt kein Problem. Englisch ist eine der offiziellen Amtssprachen und man kann alles online machen. Mein Unternehmen habe ich in zwei Stunden gegründet. Dann muss man noch ein Unternehmenskonto eröffnen und es kann losgehen.
Auch steuerlich gibt es einige Vorteile, habe ich gelesen …
Ja, die Körperschaftssteuer beträgt nur 17 %. Vor allem für neu gegründete Unternehmen gibt es außerdem viele zusätzliche Steuervergünstigungen. Bis zwei Millionen Singapur-Dollar Umsatz kann man sich beispielsweise entscheiden, ob man die Mehrwertsteuer von 7 % abführen möchte oder nicht. Man kann sie sich dann allerdings auch nicht von seinen Lieferanten zurückholen. Auch die Lohnnebenkosten sind viel niedriger als in Österreich. Es gibt keine doppelten Gehälter und für die Versicherung kommen für den Arbeitgeber nur 17 % zum eigentlichen Gehalt dazu.
Klingt nach einem Paradies für Gastrounternehmer …
So einfach ist es leider auch nicht. Mieten, Lebensmittel und Alkohol sind in Singapur nämlich extrem teuer. Vor allem die Mieten entwickeln sich in fast schon hirnrissigen Dimensionen. Meine Straße war vor zehn bis 20 Jahren noch eine Rotlicht-Meile. Heute gibt es fast nur noch Restaurants und ich zahle 12.500 Singapur-Dollar im Monat für die Pacht. Das entspricht fast 9.000 Euro. Außerdem muss ich alle zwei oder drei Jahre neu verhandeln. Dazu kommen die hohen Steuern auf Alkohol.
Was kostet denn ein Feierabendbier nach dem Service?
Ein einheimisches Asagi in der Bar bei mir ums Eck kommt auf neun
Dollar, also über sechs Euro. Ein gutes Hofbräu steht in besseren Lokalen mit 14 Dollar auf der Karte, dahinter stehen aber meist noch zwei Pluszeichen. Das bedeutet, dass die 14 Dollar nicht der Endpreis sind, sondern noch 7 % Steuer und eine Servicecharge von 10 % draufgerechnet werden. Damit landet man bei 16,50 Dollar, was fast 12 Euro entspricht. Wenn man besser essen gehen möchte, ist man also schnell ein paar hundert Euro los.
Das heißt auch, dass die Gehälter höher sein müssen?
Ja, ein Koch verdient bei uns ca. 4.000 Singapur-Dollar im Monat und die Einkommenssteuer liegt nur zwischen 15 und 22 %. Sonst könnte sich das Leben hier wohl niemand leisten.
Wie konnte das während der Lockdowns im letzten Jahr gutgehen?
Der Staat hat uns sehr unterstützt. Drei Viertel aller Gehälter wurden von der Regierung beglichen und wir haben außerdem zwei Monatsmieten nicht zahlen müssen. Mir hat Covid in meinem Restaurant deshalb sogar geholfen. Wir haben ein Drei-Gang-Menü entwickelt, das man zu Hause nur noch finalisieren musste. Dazu gab es jeweils ein Video, das zeigte, wie das funktioniert. Die Menschen haben das sehr gut angenommen und sind teilweise sogar chic angezogen zum Abholen gekommen. Außerdem haben wir uns mit einem Limousinenservice zusammengetan, der unser Essen ausgeführt hat. Das hat uns sogar mit einem positiven Ergebnis über diese Zeit gebracht.
Hat die Regierung also erkannt, wie wichtig die Gastro für die Stadt ist?
Das kann ich so leider nicht unterschreiben. „Automation“ ist derzeit in Singapur ein großes Schlagwort. Man möchte, dass Dienstleistungen auch im F&B-Bereich weniger personalintensiv sind, und fördert Digitalisierung und Automatisierung. Die Regierung ist da sehr zahlengetrieben und sieht, dass 7 % der Singapurer im F&B-Sektor arbeiten, er aber nur 1 % zum BIP beiträgt. Das macht für uns die Personalsuche natürlich noch schwieriger. Denn gleichzeitig möchte man über Quotenregelungen sicherstellen, dass primär Singapurer Jobs bekommen. Wenn ich einen österreichischen Koch beschäftigen will, muss ich ihm seit kurzem ein Mindestgehalt von 8.500 Singapur-Dollar pro Monat zahlen. Die ganze Situation macht es deshalb schwierig, Personal zu finden.
Werden Sie trotzdem bleiben?
Vorerst sicher. Meine Frau ist aus Singapur und wir haben Kinder. Nachdem ich erst zweimal abgelehnt wurde, bin ich jetzt außerdem „Permanent Resident“. Aber natürlich ist Singapur primär eine Stadt zum Arbeiten. Die Gesundheitsvorsorge ist ganz anders organisiert als in Österreich und man sollte sich auf jeden Fall privat versichern. Für die Geburt meiner Kinder musste ich beispielsweise jeweils 20.000 Singapur-Dollar bezahlen. Und Pension gibt es auch keine. Darauf sollte man immer vorbereitet sein. Schon als ich vor über 15 Jahren in Singapur ankam, meinte der Taxifahrer, der mich vom Flughafen in die Stadt fuhr: In Singapur kann man sehr schön leben, aber man sollte auf gar keinen Fall krank werden.
Stephan Zoisl
Stephan Zoisl wurde in Zirl in Tirol in einen Gastrobetrieb hineingeboren. Nach Stationen im Steirereck, bei Do&Co, in der Villa Joya und als Sous-Chef im Gaumenspiel kam er 2007 nach Singapur. Dort war er er erst Sous-Chef, Head-Chef und Executive Chef für das Novus Restaurant, bevor er sich als F&B Consultant selbstständig machte. Seit 2015 führt er sein eigenes Restaurant Chef´s Table by Chef Stephan: www.chefstable.sg